In Jordanien haben soziale Proteste den Rücktritt des Ministerpräsidenten Hani al-Mulki erwirkt. Was sind die Hintergründe?

Auslöser der Demonstrationen und Streiks ist ein von der Regierung vorgelegtes Steuerreformpaket, das dem Parlament zur Abstimmung vorliegt. Der Entwurf sieht Erhöhungen bei der Lohnsteuer, eine Ausweitung der Steuerpflicht auf bislang steuerbefreite mittlere Einkommen, die Einführung einer Umsatzsteuer auf Agrarprodukte und die Erhöhung von Umsatz- und Gewinnsteuern bei Banken und Industrie vor, aber auch die Bekämpfung von Steuerhinterziehung. Gewerkschaften, Berufsverbände, NGOs und Wirtschaftsverbände reagierten ungewohnt schnell und heftig: Letzten Mittwoch kam es zum ersten Mal in der jordanischen Geschichte zu einem Generalstreik, der große Teile des öffentlichen Dienstes lahm legte. Den Premier traf die Intensität des Widerstands offensichtlich unvorbereitet. Er reagierte undiplomatisch. Kritik am Gesetzesentwurf wurde kategorisch zurückgewiesen. Es wurde behauptet, dass die Aufregung unangemessen sei, da diese Reformen nur wohlhabende Jordanier treffen würden. Das wurde umgehend von Aktivisten der Zivilgesellschaft via Facebook mit Infografiken und Erklär-Videos widerlegt. Die Umsatzsteuer auf Obst, Gemüse und Fleisch träfe die Armen am stärksten; Steuererhöhungen bei den Banken würden Investitionen hemmen und das Wirtschaftswachstum lähmen. Das arrogante Auftreten des Premiers brachte vor allem Jugendliche aus der Mittelschicht auf die Straßen, landesweit demonstrierten letzte Woche täglich circa 50 000 Jordanier. Interessant dabei: Die Vertreter des politischen Islam spielen bei diesen Protesten keinerlei Rolle, was ihnen übel genommen wird.

Beziehen sich die Proteste allein auf die Steuererhöhungen oder entlädt sich hier eine generelle Frustration?

Jordanische Regierungen versprechen seit 2011 regelmäßig, dass sich die Wirtschaftslage „bis zum nächsten Sommer“ verbessern wird. Tatsächlich stagnieren aber die Einkommen, bei gleichzeitig steigenden Kosten. Die Ungleichheit in der Gesellschaft nimmt zu, die Arbeitslosigkeit – insbesondere unter gut ausgebildeten jungen Erwachsenen - steigt. Der Economist hat letzte Woche eine Studie veröffentlicht, der zufolge Amman die teuerste aller arabischen Hauptstädte ist – die Lebenshaltung seien teurer als in Dubai oder Doha. Das wurde breit rezipiert und schlug ein. Das durchschnittliche Monatseinkommen beträgt hierzulande lediglich 500 Euro. Ein Liter Milch kostet 1,50 Euro, eine Kinderzahnbürste drei Euro und die Monatsmiete für eine einfache Familienwohnung nicht unter 400 Euro. Nicht umsonst lautet der populärste Hashtag zu den Protesten derzeit #manaash - „wir haben nichts mehr“. In dieser Situation sind Steuererhöhungen, auch wenn die Regierung gute Gründe dafür hat, ohnehin schon schwierig. Premier, Finanzminister und Regierungssprecher müssen sich mindestens vorwerfen lassen, dass sie die Gründe für die Steuerreform unzureichend erklärt haben. Das Fass zum Überlaufen brachte die Ankündigung der Regierung vom letzten Donnerstag, dass auch Strom und Benzin verteuert würden. Dieses Vorhaben hat der König inzwischen kassiert und seine Solidarität mit den Nöten der Bevölkerung zum Ausdruck gebracht. Die Regierung ist vorgestern komplett zurückgetreten.

Die Staatsverschuldung in Jordanien ist nicht viel dramatischer als in vielen EU-Staaten auch. Wieso hat sich die Regierung zu so unpopulären Maßnahmen entschieden. Hat sie die Situation im Land verkannt?

Die Regierung handelt unter dem Druck des Internationalen Währungsfonds (IWF). Der IWF hat eine drastische Erhöhung des jordanischen Steueraufkommens zur Bedingung für die Fortsetzung seines Jordanienprogramms gemacht. Das ist an sich auch gut begründet. Zurzeit zahlen effektiv nur drei Prozent der Bevölkerung Einkommenssteuer. Deshalb besteht ganz klar Handlungsbedarf, zumal Jordanien kaum über Rohstoffe verfügt und auf Steuereinnahmen angewiesen ist, um sich perspektivisch aus der Abhängigkeit internationaler Zuwendungen lösen zu können. Ein Ende des IWF-Programms hätte zum jetzigen Zeitpunkt drastische Folgen. Die Währung würde sofort fallen, der öffentliche Dienst wäre von ausbleibenden Gehaltszahlungen bedroht. Die Staatsverschuldung liegt in etwa auf französischem Niveau, man muss aber bedenken, dass das Land keine starke Wirtschaft hat und von Konflikten umgeben ist. Die traditionell wichtigen Märkte in Irak und Syrien sind als Handelspartner weggebrochen und Saudi-Arabien hat seine nicht unerheblichen Hilfs-Zahlungen wegen der Jordanischen Position in der Jerusalemfrage eingestellt. Das sind geopolitische Probleme, die Frankreich oder Italien nicht haben. Eine bessere Steuerbasis und solide Einnahmen sind daher wichtig. Die Regierung hat nur leider zu wenig unternommen, um die Notwendigkeit von Steuererhöhungen zu erklären. Und sie hat ein Gesetz vorgelegt, das keineswegs wie behauptet nur die Reichen in die Verantwortung nimmt.

Jordaniens Wirtschaft leidet auch unter der schwierigen Situation in den Nachbarländern Syrien und Irak. Welche Alternativen hat das Land zu Steuererhöhungen?

Steuererhöhungen wären grundsätzlich gut für Jordanien, wenn sie sozial ausgewogen sind und mit Programmen gegen Korruption und Steuerflucht verknüpft werden. Der IWF verlangt zwar eine Verbesserung des Steueraufkommens, schreibt aber nicht vor, wie dieses Ziel zu erreichen ist. Die aktuellen friedlichen Proteste werden von einer gebildeten Mittelschicht getragen, die versteht, dass das Land ein Problem hat, und die bereit ist, Verantwortung zu übernehmen. Gewerkschaften und Berufsverbände haben im Kern - neben dem erreichten Teilziel des Rücktritts der Regierung drei Forderungen: Die wirtschaftspolitische Neuausrichtung des Landes, die gemeinsame Erarbeitung der bevorstehenden Steuerreform in einem nationalen Dialog und die effektive Bekämpfung von Korruption und Vetternwirtschaft. König Abdallah hat den als Reformer bekannten bisherigen Bildungsminister Dr. Omar Razzaz mit der Regierungsbildung beauftragt. Er bringt drei Schlüsselqualifikationen mit, die hoffen lassen: Er kommuniziert gut, ist Wirtschaftsexperte und hat im jahrelang von der Muslimbruderschaft dominierten Bildungsministerium sinnvolle Reformen durchgesetzt, die kaum jemand für möglich gehalten hätte. Es ist zu hoffen, dass er für die vor ihm liegende schwierige Aufgabe international Unterstützung erhält - auch aus Deutschland und Europa. Jordanien ist eines der wenigen stabilen Länder in der Region und hat eine aktive und lebendige Zivilgesellschaft. Das muss uns etwas Wert sein.

 

Die Fragen stellte Hannes Alpen.