Militärische Muskelspiele und Säbelrasseln gelten nach wie vor als Ausweis von Stärke und entschlossener Politik. Die Diplomatie hingegen genießt nicht erst seit der Ukraine-Krise einen schlechten Ruf. In manchen (Journalisten-)Kreisen gehört es längst zum guten Ton, sich über die Schwäche der (meist europäischen) Vermittler lustig zu machen und sie als „machtlose Schwätzer“ zu verspotten. Dabei sind die Bilanzen der militärischen Interventionen der letzten Jahrzehnte nahezu ausnahmslos negativ. Sicher, die politische Verständigung über die Begrenzung des iranischen Atomprogramms wird erst zum Erfolg, wenn das Abkommen unter Dach und Fach ist. Doch zweifelsohne ist es ein wichtiger Etappensieg der internationalen Diplomatie.

Seit mehr als zwölf Jahren versuchen die fünf Veto-Mächte des UN-Sicherheitsrates und Deutschland – zunächst gegen den erbitterten Widerstand von George W. Bush – den Iran davon abzubringen, Atommacht zu werden. Fast genauso lange gab es parallel dazu auch auf parlamentarischer Ebene entsprechende Bemühungen und Initiativen.

Nach einem achttägigen Verhandlungsmarathon ist es Amerikanern, Iranern, Russen und Europäern am 2. April endlich gelungen, im schweizerischen Lausanne einen Kompromiss zu finden. Auch wenn nur wenige den wörtlichen Inhalt des Dokuments kennen, sind die darin vereinbarten Punkte wohl um einiges konkreter ausgefallen als selbst wohlmeinende Beobachter vorherzusagen gewagt hätten. Dies ist sicher auch ein Verdienst des iranischen Präsidenten Hassan Rohani und seines Außenministers Sarif, die den Obersten Führer Ali Chamenei offenbar dafür gewinnen konnten, die radikalen Gegner eines Atomdeals in die Schranken zu weisen und weitgehende Konzessionen zuzulassen.

So ist der Iran offenbar dazu bereit, sein Atomprogramm drastisch einzuschränken und zwei Drittel seiner fast 20.000 Zentrifugen zur Urananreicherung in den nächsten zehn Jahren abzubauen. Der Anreicherungsgrad soll von derzeit 20 Prozent auf rund 3,5 Prozent begrenzt werden. Diese Beschränkungen sollen sicherstellen, dass Iran – statt bisher zwei Monate – künftig mindestens ein Jahr brauchen würde, um genug Uran für einen atomaren Sprengsatz zu produzieren. Die Urananreicherung soll zudem auf die Anlage in Natans begrenzt werden. Auch der Weg zur Plutoniumbombe soll künftig verbaut werden. So stimmte Außenminister Sarif in Lausanne zu, den in Bau befindlichen Schwerwasserreaktor in Arak zu modifizieren und dauerhaft auf Technologie zur Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennstäbe zur Plutoniumgewinnung zu verzichten.

Das Abkommen von Lausanne ist aus Erschöpfung und Ernüchterung geboren. Es ist aber auch ein Erfolg der internationalen Sanktionspolitik.

Überhaupt sind in dem Abkommen bislang präzedenzlose Transparenz- und Überprüfungsmaßnahmen vereinbart worden. So verpflichtet sich Iran, das Zusatzprotokoll zum Atomwaffensperrvertrag wieder anzuwenden und gewährt den Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) darüber hinausgehenden Zugang etwa zu den Produktionsstätten. Teheran hat zugestimmt, sein Atomprogramm in den kommenden 25 Jahren streng durch Beobachter der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) überwachen zu lassen. So soll Teheran nicht nur das Zusatzprotokoll zum Nichtverbreitungsvertrag in Kraft setzen, welches weitgehende, auch unangemeldete Kontrollen durch die IAEA ermöglicht, sondern hat offenbar auch darüber hinausgehenden Transparenzverpflichtungen wie dem Zugang zu Uranminen und die Kontrolle der Abbaumenge durch die IAEA zugestimmt.

Im Gegenzug sollen schrittweise und unter strengen Auflagen die Wirtschaftssanktionen aufgehoben werden – das Waffenembargo bleibt weiterhin in Kraft. Dies hat allerdings die russische Regierung nicht daran gehindert, bereits jetzt die eingefrorene Lieferung von Raketenabwehrsystemen in Aussicht zu stellen.  Aber auch viele westliche und chinesische Firmen warten sehnsüchtig darauf, endlich wieder Zugang zum iranischen Markt zu erhalten.

 

Sanktionen: Und sie wirken doch!

Das Abkommen von Lausanne ist aus Erschöpfung und Ernüchterung geboren. Es ist aber auch ein Erfolg der internationalen Sanktionspolitik. Zwar ist der Iran trotz der jahrzehntelangen Sanktionen politisch derzeit der stabilste Staat der gesamten Region und hat sein Atomprogramm auf- und ausbauen können. Aber die iranische Wirtschaft liegt dennoch am Boden. Deswegen ist das Land dringend auf die Aufhebung der Sanktionen und den Wiederanschluss an die Weltwirtschaft angewiesen. Denn es nützt dem Iran nur wenig, wenn er zwar über zigtausende Zentrifugen verfügt, aber seiner in der Regel gut ausgebildeten und selbstbewussten Jugend keine Perspektive bieten kann. Es wäre deshalb naiv anzunehmen, dass der Sinneswandel in Teheran ohne die sich über die Jahre verschärfenden Sanktionen der Amerikaner und Europäer möglich gewesen wäre. Die Doppelstrategie, Sanktionen mit einem ernst gemeinten Angebot für Verhandlungen zu verknüpfen, ist aufgegangen. Acht Jahre Konfrontationspolitik des für seine antisemitischen Ausfälle und seine Brachialrhetorik bekannten Präsidenten Ahmadinedschad (2005–2013) haben das Land an den Rand des Ruins geführt. Insofern bewies Barack Obama Weitblick, als er bereits vor dem Machtwechsel in Teheran diskrete direkte Gespräche mit Iran initiierte und zuließ.

Sollten die Wirtschafts-, Finanz- und Öl-Sanktionen der Amerikaner und Europäer ausgesetzt werden, würde dies dem Land pro Jahr zweistellige Milliardenbeträge an US-Dollar bringen. Sollte Iran allerdings gegen das Abkommen verstoßen, würden diese automatisch wieder in Kraft treten. Auf den Straßen von Teheran feierten die Menschen jedenfalls zu Zehntausenden die Lausanner Einigung und haben keinen Zweifel daran gelassen, dass sie auf ein besseres Leben hoffen. Ein prosperierender Iran würde zweifelsohne in der Region noch mehr an Gewicht gewinnen als er ohnedies schon hat. Dies kann sowohl eine gute, als auch eine schlechte Nachricht sein – abhängig vom Blickwinkel und der Region.

Insofern kann man durchaus die These wagen, dass – neben Südafrika – auch der Iran (im Falle eines endgültigen Abkommens) als eines der wenigen Beispiele für eine erfolgreiche Sanktionspolitik gelten kann. Beide Fälle zeigen aber auch, dass diese einen langen Atem brauchen und stets kombiniert werden müssen mit substantiellen politischen Verhandlungen und Initiativen.

 

Kritiker und Saboteure

Erwartungsgemäß stieß die Lausanner Einigung nicht überall auf Wohlwollen. Gegner des Rahmenabkommen gibt es auf allen Seiten mehr als genug. Die iranischen Revolutionsgarden gehören ebenso dazu wie die republikanische Partei, die in beiden Häusern über eine Mehrheit verfügt und mit ihrer Nebenaußenpolitik drauf und dran ist, Amerikas Diplomatie an den Rand der Handlungsunfähigkeit zu bringen. Man kann nur hoffen, dass diese beispiellose Desavouierung eines amerikanischen Präsidenten bei einem wichtigen außenpolitischen Thema den Republikanern bei den nächsten Präsidentschaftswahlen 2016 auf die Füße fallen wird. Jedenfalls werden die Atomverhandlungen mit Iran in Form innenpolitischer Ränkespiele sowohl in Washington wie auch in Teheran weiter geführt. Auch Saudi-Arabien und Israel werden nichts unversucht lassen, um das Abkommen zu boykottieren.

Für Israels frisch wiedergewählten Ministerpräsidenten Netanjahu ist das Abkommen ein „Teufelspakt“. Er verweist – nicht zu Unrecht – auf Teherans Terror-Unterstützung. Und er wird auf seine republikanischen Verbündeten im Kongress hoffen. Darüber hinaus wirft er der Staatengemeinschaft „Appeasement-Politik“ gegenüber Teheran vor. Sie verschließe vor der aggressiven Politik Irans genauso die Augen wie einst gegenüber Nazideutschland

Dabei hat Benjamin Nethanjahu womöglich mit seinem Widerstand unfreiwillig zu dem Abkommen beigetragen. Vermutlich wäre es ohne israelischen Druck und Drohungen gar nicht zustande gekommen. Den Triumph eines Scheiterns allerdings wollte ihm wohl weder die iranische noch die amerikanische Seite gönnen. Denn Israel hat durch seine Fundamentalopposition zu jedem Kompromiss selbst seine besten Freunde verprellt. Die israelische Regierung sollte deshalb schon allein aus rationalem Eigennutz diesen Kurs nicht weiter sabotieren, sondern unterstützen.

Die Kritiker bleiben jedoch die entscheidende Antwort auf die Frage schuldig, was denn eigentlich die Alternativen wären. Ein Krieg gegen Iran?

Nicht nur in Israel und auf Seiten der US-Republikaner bestehen weiterhin grundsätzliche Differenzen darüber, ob ein Abkommen mit Iran die regionalen Spannungen reduziert oder eine Situation herbeiführt, die den Mittleren Osten weiter destabilisieren könnte. Viele Argumente der Kritiker und Gegner des Rahmenabkommens sind nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen. In der Tat spielt Iran in der Region eine zwiespältige Rolle. Sie bleiben jedoch die entscheidende Antwort auf die Frage schuldig, was denn eigentlich die Alternativen wären. Ein Krieg gegen Iran? Die Fortsetzung oder Verschärfung der Sanktionen? Iran verfügt schon heute über das Wissen und ein Großteil des Potenzials, die Bombe zu bauen. Keine Sanktion der Welt könnte daran etwas ändern. Denn man kann Irans Nuklearanlagen zwar bombardieren, aber das Know-how zu ihrem Wiederaufbau bliebe dennoch in den Köpfen.

Deshalb würde ein vom UN-Sicherheitsrat abgesegnetes Abkommen natürlich  mehr Sicherheit gegenüber den iranischen Atommacht-Ambitionen bieten als der Jetztzustand, da es die – zumindest unmittelbare – Gefahr einer iranischen Atombombe erheblich mindern würde. Hingegen wäre ein präventiver Militärschlag, wie er in Israel immer wieder gefordert wird, ein weiterer Rückschritt für die Sicherheit und Stabilität im Nahen Osten.

 

Hoffnungsschimmer für Rüstungskontrolle und die NVV-Überprüfungskonferenz

Machen wir uns nichts vor. Auch nach Lausanne befinden sich Abrüstung und Rüstungskontrolle in einer tiefen Krise. Nicht zuletzt die Verletzung des Budapester Abkommens von 1994 war ein weiterer Rückschlag. In dem hatte Russland im Gegenzug für die Atomwaffenfreiheit der Ukraine (zusammen mit Großbritannien und den USA) deren territoriale Integrität garantiert. Die vorläufige Einigung über das iranische Atomprogram ist deshalb nicht mehr als ein kleiner Hoffnungsschimmer für die im nächsten Monat in New York stattfindende Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages. Immerhin zeigt das Abkommen, dass es prinzipiell möglich ist, einen Staat, der die Regeln verletzt hat, auch ohne regime change wieder auf die Grundlagen des Atomwaffensperrvertrages zurückzuführen.

Sollte Ende Juni tatsächlich ein Abkommen unterschrieben werden, wäre das auch ein Fortschritt für die nukleare Rüstungskontrolle und ein wichtiges Signal, dass die Nichtverbreitungspolitik noch am Leben ist. Vielleicht könnte es auch dazu beitragen, ein atomares Wettrüsten in Nahost zu verhindern. Dies ist auch der Hauptgrund, weshalb Russland, China und die USA zumindest hier eng zusammenarbeiten. Sie eint das gemeinsame Ziel, die Zahl der Nuklearmächte möglichst klein zu halten. Dies ändert freilich nichts an der Notwendigkeit einer Konferenz über eine von Massenvernichtungswaffen freie Zone im Nahen Osten, auf der es dann auch um die Frage der israelischen Atomwaffen gehen muss. Und Lausanne zeigt: Abrüstung und Rüstungskontrolle sind auch unter schwierigsten Bedingungen möglich. Ihre Zukunft hängt nicht von einer Strukturreform im Auswärtigen Amt ab, sondern vom politischen Willen der beteiligten Staatsführungen und ihrer Bereitschaft und Fähigkeit, Geduld und einen langen Atem aufzubringen. Sollte Russland bei der Umsetzung des Abkommens eine konstruktive Rolle spielen, könnte dies für sein Verhältnis zum Westen insgesamt positive Folgen haben. Denn auch in der Ukraine gibt es zur Diplomatie keine Alternative bzw. nur eine – und die heißt Krieg. 

 

Der Sieg des Realismus

Die Einigung von Lausanne lässt begründet auf ein umfassendes Abkommen hoffen, mit dem ehrlicherweise nur noch wenige gerechnet haben. Die diplomatische Lösung stellt naturgemäß nicht alle Seiten zufrieden. Sie ist aber grundsätzlich zu begrüßen – zumal wenn man sich vor Augen führt, welches die anderen Optionen sind. Kluge Außen- und Sicherheitspolitik kann sich nicht danach richten, was wünschenswert wäre, sondern was erreichbar ist. Dieser Realismus hat sich letztlich durchgesetzt – in Washington wie in Teheran.

Das Abkommen kann nicht nur dazu beitragen, die seit 1979 bestehende „Erbfeindschaft“ zwischen Teheran und Washington zu beenden. Es bietet den USA auch die Chance, ihre einseitige Abhängigkeit von Saudi-Arabien zu reduzieren. Die bedingungslose Unterstützung der USA für die saudische Autokratie hat den Hass der Dschihadisten auf den Westen mit erzeugt. Im besten Fall könnte ein besseres Verhältnis der USA zu Teheran und Riad dazu beitragen, die Stellvertreterkriege zwischen Schiiten und Sunniten in der Region einzudämmen. Obama kann sich jedenfalls im Falle einer Einigung auf die Fahnen schreiben, dass er nicht nur die jahrzehntelange Eiszeit mit Kuba beendet hat, sondern auch eine neue Ära in den Beziehungen zwischen den USA und dem Iran eingeläutet hat. Falls es gelingen sollte, das Abkommen von Lausanne mit Leben zu füllen, hat sich Barack Obama den Friedensnobelpreis nachträglich betrachtet vielleicht doch noch verdient.