Zuletzt zeigte sich der deutsche Unterhändler Ruprecht Polenz optimistisch, dass die Verhandlungen zwischen Deutschland und Namibia bis zum Jahresende abgeschlossen werden könnten. Der Weg dahin sieht die Anerkennung des Völkermords durch eine Erklärung des Bundestages, eine Entschuldigung des Bundespräsidenten und die Schaffung einer gemeinsamen Versöhnungsinstitution vor, die „zukunftsgewandte Projekte“ fördern soll. Die Ausgestaltung dieser Projekte wird dann wahrscheinlich einer noch einzurichtenden Arbeitsgruppe überlassen, die zusätzliche Zeit benötigt, bis die Projektideen der Öffentlichkeit in Deutschland und Namibia vorgestellt werden können. Damit, so das Ziel, soll am Ende eine Versöhnung erreicht werden. Ein mögliches Scheitern oder die Ablehnung dieser Vorgehensweise scheint bisher nicht mitgedacht worden zu sein.
Dabei sollte ein Blick in die namibischen Zeitungen eigentlich zum Nachdenken verleiten. Kaum einer der fast täglich erscheinenden Artikel zum Völkermord bewertet die Verhandlungen positiv. Fast mantrahaft werden seit Jahren Forderungen nach deutschen Zahlungen in Milliardenhöhe verbreitet. Wenn man sich tiefer mit den namibischen Positionen zum Versöhnungsprozess beschäftigt, werden die Gründe für die kritische Bewertung des Verhandlungsprozesses deutlicher.
Die von der Mehrheitsethnie (den Ovambos) dominierte SWAPO-Regierung hat mit Dr. Zed Ngavirue einen erfahrenen Diplomaten zum Verhandlungsführer ernannt, der zum einen Herero und zum anderen kein Mitglied der SWAPO ist. Das Verhältnis zwischen Ovambo und Herero ist seit langem angespannt. Herero-Politiker verbreiten den Eindruck, dass die SWAPO-Regierung sich nicht nachdrücklich genug für einen Versöhnungsprozess eingesetzt hat und Entwicklungshilfeleistungen besonders den mehrheitlich von Ovambos bewohnten Regionen hat zukommen lassen.
Dem namibischen Verhandlungsführer steht eine Beratergruppe zur Seite, die sich fast nur aus Personen zusammensetzt, die sich „positiv und konstruktiv“ zum Versöhnungsprozess geäußert haben. Kritische Stimmen wie das „Nama Genocide Committee“ oder das „Herero Genocide Committee“ gehören mit Ausnahme der Parlamentsabgeordneten Ida Hoffmann dieser Gruppe nicht an.
Damit sind wichtige Interessengruppen nicht in den Verhandlungsprozess einbezogen. Gerade diese Gruppen haben aber zu einer Erwartungshaltung bei Herero und Nama beigetragen, die nicht zu erfüllen ist. Spricht man mit Herero und Nama in Windhoek, sind Äußerungen wie „Von meiner Entschädigung kaufe ich mir einen LKW oder mache ein Geschäft auf“ keine Seltenheit. Den Herero-Vertretern in der SWAPO-Regierung wird häufiger Misstrauen als Vertrauen entgegengebracht.
So nachvollziehbar die Schwerpunktsetzung der deutschen Seite auf „zukunftsgewandte Projekte“ auch sein mag, die immer wieder vorgebrachte deutsche Position, dass „individuelle Entschädigungen“ nicht erfolgen können, erreicht die Mehrheit der betroffenen Ethnien nicht. Dabei sollte man doch aus der 2004 nach Heidemarie Wieczorek-Zeuls Entschuldigungsrede begonnenen „Special Initiative“ Lehren gezogen haben. Die Herero haben die „Special Initiative“ massiv kritisiert, da sie nur unzureichend in die Entscheidungsstrukturen des Projekts eingebunden worden seien und das Projekt mangels Absorptionsfähigkeit vor allem konsumtive Effekte gehabt habe, jedoch keine langfristige Wirkung entfalten konnte.
Ziel der „zukunftsgewandten Projekte“ kann und muss also sein, Zukunftsinvestitionen zu identifizieren, die langfristige Entwicklungswirkung entfalten. Dies dürfte aber kaum gelingen, wenn man die gegenwärtige Landverteilung in Namibia nicht in die Diskussion um die „zukunftsgewandten Projekte“ einbezieht. Nama und Herero besitzen in der überwiegenden Mehrheit kein Land, siedeln in ländlichen Kommunen und verfügen weder über notwendige Qualifikationen noch die benötigten Ressourcen.
Sambia als Vorbild?
Dabei zeigt ein Blick in das Nachbarland Sambia, wie eine Lösung aussehen könnte. Dort hat der damalige Präsident Levy Mwanawasa in Simbabwe enteignete Farmer zu einem Neubeginn in Sambia überredet. Die britische Regierung hat durch ein auf diese Situation zugeschnittenes Kreditprogramm die notwendige Anfangsfinanzierung bereitgestellt. Auf Namibia übertragen würde dies bedeuten, dass verkaufswilligen (weißen) Farmern ihr Land über ein Programm der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) abgekauft wird und dieses auf Kreditbasis an (produktive) Herero- oder Nama-Kleinbauern weitergegeben wird. Dadurch könnte die Absorptionsfähigkeit für die geplanten „zukunftsgewandten Projekte“ erhöht werden und die Akzeptanz bei Herero und Nama für die Verhandlungsergebnisse deutlich erhöht werden.
Sollte die Landverteilung nicht in den Verhandlungsprozess einbezogen werden, drohen die Herero- und Nama-Vertreter, die den derzeitigen Prozess unterstützen, zu tragischen Figuren zu werden, weil eine Ablehnung der zu erwartenden Verhandlungsergebnisse eine nachhaltige Aussöhnung unmöglich machen würde. Insbesodere die zurzeit noch nicht in den Prozess einbezogenen Gruppen würden sich gegen die Ergebnisse aussprechen.
Der gegenwärtige Verhandlungsstand erweckt in Namibia somit nicht den Eindruck, dass die deutsch-namibischen Beziehungen nach Abschluss der Verhandlungen auf eine neue Grundlage gestellt werden können. Dabei sollte von dem Abschluss der Verhandlungen doch eine Initialzündung für eine wesentliche Verbesserung der Beziehungen ausgehen. Die Regierungsvereinbarungen könnten beispielsweise durch Partnerschaften von Kommunen, zivilgesellschaftlichen Organisationen oder Forschungseinrichtungen ergänzt werden. Das deutsch-namibische Verhältnis könnte so zu einem Muster für das europäisch-afrikanische Verhältnis werden, was auch angesichts des zunehmenden chinesischen Einflusses in Namibia und der Region von Bedeutung wäre.
Willy Brandts Aussage, dass internationale Beziehungen viel zu wichtig sind, um sie alleine Regierungen zu überlassen, könnte hier als Leitlinie dienen. Es sollte zudem überlegt werden, wer nach Abschluss einer Vereinbarung den Versöhnungsprozess weiter voranbringen kann. Fast alle großen europäischen Versöhnungsprozesse wurden von Staatsoberhäuptern oder Regierungschefs vorangetrieben. Dies ist hier nicht der Fall. Sollte auf dem SWAPO-Kongress 2017 der bisherige Präsident Hage Geingob nicht wieder nominiert werden, würde vermutlich ein weniger pragmatischer Politiker die namibische Politik prägen. Zurzeit sieht es also wieder einmal danach aus, dass eine Chance zur nachhaltigen Aussöhnung nicht vollständig genutzt wird. Der „worst case“ des laufenden Versöhnungsprozesses wäre sicherlich ein reibungsloser Abschluss, der dann von den Nama- und Herero-Gruppen abgelehnt wird.
6 Leserbriefe
Ca. 62.000ha weißen Farmlands wurden Ende der 1960er Jahre aufgekauft und i.d. 1970er Jahren an qualifizierte (26) Baster-Farmer erst zur Pacht, dann zum Kauf vermittelt. Die Durchschnittsgröße war 2400ha. MfG Connie Lang
Apropos Verteilungsgerechtigkeit: Bislang profitieren schwarze Namibier ohne Unterscheidung nach Volksgruppen von der Landreform, darunter zahlreiche SWAPO-Funktionäre. Oft sind die Neufarmer als Landwirte im Nebenerwerb weniger produktiv als die erfahrenen Altfarmer. Radikale Herero und Nama wollen das Land ihrer Ahnen nun ganz für sich alleine haben. Sie wollen darauf weder Deutsche noch Ovambos sehen.
Ist es nach 130 Jahren geteilter Gechichte an der Zeit für alle Namibiadeutschen, ihrer Heimat den Rücken zu kehren, bevor neue Gewalt um sich greift?
Es kann sich doch höchstens um einen symbolischen Preis handeln, um das Eigentum dann juristisch abzusichern. Dies könnte mit einer vorher stattfindenden Ausbildung zum sustaining farming einhergehen.
Aber dass sich diejenigen, die ihr Land beackern wollen sich verschulden müssen, um das Land zu erwerben, finde ich unmöglich!
Eine Neu- oder Umverteilung des Landes mit der Erwartung zu verbinden, am Markt Geld zu machen, heißt die umfassende Enttäuschung vorzuprogrammieren.
Ich glaube eher, dass viele - besonders die radikaleren unter der Namas und Hereros - eher einen Ort suchen, an dem sie zu Hause sein und ihre kulturelle Identität entwickeln können