Die Außenminister von Deutschland und Frankreich sind gemeinsam nach Mali gereist. Was bedeutet diese gemeinsamen Reise?

Symbolisch kommt dem gemeinsamen Besuch von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier und seinem französischen Amtskollegen Jean-Marc Ayrault eine große Bedeutung zu. Deutschland unterstreicht an der Seite Frankreichs seine Solidarität mit Mali und bekundet das unmittelbare Interesse der gesamten EU an Sicherheit und Entwicklung im Sahel.

Gleichwohl geht mit der Zusage weiterer Unterstützung auch eine Mahnung einher. Trotz intensivierten internationalen und vor allem europäischen Engagements gibt es kaum Fortschritte bei der Verbesserung der Sicherheitslage und beim Kampf gegen Armut, Hunger und Perspektivlosigkeit. In Mali kommt die Umsetzung des vor fast einem Jahr zwischen der malischen Regierung und den aufständischen Gruppen unterzeichneten Friedensvertrags nur sehr schleppend voran.

Wie steht es um den Friedensvertrag?

Laut einer landesweiten Umfrage „Mali Mètre“ vom Dezember 2015 sind die Inhalte des Friedensvertrags für 82 Prozent der Befragten unbekannt, und eine Friedensdividende ist für die Bevölkerung weiterhin kaum spürbar. Die Gespräche dürften daher auch Gelegenheit sein, die Erwartungen an die malische Regierung zu verdeutlichen und Taten einzufordern: Das Friedensabkommen zügiger  umzusetzen, die Regionalisierung des malischen Staates umgehend anzugehen, Kommunal- und Regionalwahlen durchzuführen, die Rebellen in die Armee einzugliedern, die endemische Korruption zu bekämpfen und die in Teilen dysfunktionale staatliche Verwaltung endlich zu reformieren beziehungsweise wiederaufzubauen. Außenminister Steinmeier hatte vor einigen Tagen diese Botschaft in einem Meinungsbeitrag bereits auf den Punkt gebracht: Der Schlüssel zu einem prosperierenden Mali liegt in den Händen der Malier selbst.

Die Reise steht unter den Schlagworten der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus und der Migrationsursachen. Welche Ansätze sind hierfür erforderlich?

Es stimmt, dass Mali in den letzten Jahren zu einem Operationsgebiet für Terroristen, die unter dem Deckmantel der Religion operieren, geworden ist. Gleichwohl ist der malischen Gesellschaft als solcher Terrorismus oder auch religiöser Extremismus sehr fremd. Terroristische Organisationen und Agitatoren haben allerdings aufgrund des geringen Bildungsstands und der großen Armut in Mali leichtes Spiel gerade bei der jungen Bevölkerung. Nur zur Erinnerung: Die Analphabetenrate liegt auch heute noch bei etwa 62 Prozent, etwa die Hälfte der Bevölkerung lebt in absoluter Armut. In einem solchen Klima aus Frustration und Perspektivlosigkeit fällt es terroristischen Organisationen leicht, Nachwuchs zu rekrutieren, indem sie für die Teilnahme an terroristischen oder auch kriminellen Akten verhältnismäßig gut zahlen und darüber hinaus sinnstiftende Deutungsangebote unterbreiten. Die Terrorismusbekämpfung muss also unbedingt von einem zivilen Ansatz ausgehen, der den Institutionenaufbau, die Schaffung von Perspektiven und Beschäftigung sowie eine Bildungsoffensive in den Mittelpunkt rückt. Ohne eine militärische Komponente und eine tiefgreifende Sicherheitssektorreform wird es allerdings nicht gehen. Terroristische Gruppen wie al-Qaida im Maghreb, MUJAO oder Ansar Dine sind selbst militärisch hochgerüstet und haben kein oder kaum Interesse an einem Dialog oder einer Beilegung des Kampfes. Vielmehr profitieren sie von dem begrenzten Gewaltmonopol des malischen Staates und dem sicherheitspolitischen Vakuum in weiten Teilen der Sahara-Sahel-Region.

Was müsste im zivilen Sektor geschehen, um Migrationsursachen zu bekämpfen?

Da sind Institutionenaufbau, Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung auch Schlüsselelemente einer nachhaltigen Migrationspolitik in Mali. Sie würden deutlich mehr zu einer Verringerung der Migration nach Europa beitragen als Grenzkontrollen oder Abschreckung, denn in aller Regel fliehen Menschen aus Mali und Westafrika vor sozialem und wirtschaftlichem Elend. Engmaschigere Grenzkontrollen, wie sie die EU fordert, sind dagegen in einem Staat wie Mali, der mehrere tausend Grenzkilometer mitten in der Sahara realistischer Weise nicht „sichern“ kann, wenig Erfolg versprechend.

Die anlässlich eines Treffens zwischen der EU und der malischen Regierung am 15. April 2016 geäußerte Position, dass die „Sicherung“ der malischen Grenzen gleichzeitig den internationalen Terrorismus und die irreguläre Migration bekämpfe, ist in diesem Sinne nicht nur politische Augenwischerei, sondern auch eine unzulässige Vermischung zweier sehr unterschiedlicher Phänomene, die auch im derzeit politisch aufgeladenen Diskurs unbedingt getrennt bleiben sollten.

Der Bundestag hat im Januar die Entsendung von bis zu 650 deutschen Soldaten im Rahmen der UN-Friedensmission MINUSMA in den Norden Malis beschlossen. Zudem ist eine Ausweitung der europäischen Ausbildungsmission EUTM vorgesehen. Wie sind die Bundeswehreinsätze zu bewerten?

Die Bundeswehr leistet mit ihrer Beteiligung an MINUSMA und EUTM einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung Malis. Mit dem derzeit laufenden Aufbau eines deutschen Kontingents an der Seite niederländischer UN-Verbände im nordmalischen Gao wird die Handlungsfähigkeit der MINUSMA in einer Region wesentlich gestärkt, die auch weiterhin von Auseinandersetzungen zwischen bewaffneten Gruppen, organisierter Kriminalität und einer auf die urbanen Zentren begrenzten Staatlichkeit geprägt ist. Vorerst ist hier nur die MINUSMA in der Lage, für Stabilität und den Schutz von Zivilisten zu sorgen. Zugleich ist die deutsche Beteiligung auch als eine politische Unterstützung für die verlustreichste UN-Mission zu verstehen. Auch kann Deutschland, das in Mali einen hervorragenden Ruf als integrer und glaubwürdiger Partner genießt, über den Beitrag im Rahmen von MINUSMA durchaus zu einer Stärkung der Akzeptanz der UN-Mission bei der Bevölkerung beitragen.

Gleichzeitig versucht die europäische militärische Ausbildungsmission EUTM, die malischen Streitkräfte zu befähigen, die Sicherheit ihres Landes langfristig wieder in die eigenen Hände zu nehmen. Die EUTM hat hier bereits Erfolge vorzuweisen. Die Ausweitung ihrer Einsatzgebiete ist sinnvoll, vor allem um die malische Armee an ihren Standorten nachhaltiger schulen und beraten zu können.

Werden die Militäreinsätze auch von ziviler Unterstützung flankiert?

Deutschland hat sein entwicklungspolitisches Engagement bereits ausgeweitet und wird zukünftig auch stärker in Gao tätig sein. Für eine langfristige Befriedung und Stabilisierung Malis wird es entscheidend auf entwicklungspolitische Maßnahmen ankommen, um den Menschen eine Perspektive zu bieten. Dieser Notwendigkeit hat auch der Friedensvertrag Rechnung getragen. Jetzt kommt es darauf an, die Zusagen mit einem kohärenten Entwicklungsprogramm zur Bekämpfung der Armut umzusetzen, ohne dass dabei der Süden Malis vernachlässigt wird.

Die internationale Gemeinschaft täte gut daran, die Umsetzung ihrer Unterstützung ausgehend von einer selbstkritischen Analyse engmaschiger zu überwachen und zu koordinieren. Der Zusammenbruch der „Musterdemokratie Mali“ 2012/2013 hat auch eine erschreckende Blindheit der Geber gegenüber Misswirtschaft und Korruption offengelegt. Insofern muss auch die internationale Gemeinschaft Lehren aus der Krise ziehen, um nicht erneut die gleichen Fehler zu machen. Fest steht aber auch: Es wäre ein Irrtum zu glauben, dass die multidimensionale Krise der Jahre 2012/2013 bereits überwunden sei.

 

Die Fragen stellte Hannes Alpen.