Victoria Sandino ist Senatorin der Farc-Partei. Als Mitglied der Verhandlungsgruppe der Farc nahm sie am Friedensprozess in Havanna teil. Sandino trat 2000 in die kolumbianische Guerillaorganisation ein und war dort bis zu deren Auflösung 2017 Kommandantin.

Der Friedensprozess in Kolumbien hat in den vergangenen Wochen neue Rückschläge erlitten, Sie kritisieren seine Umsetzung als wenig effizient. Ist der Prozess aus Ihrer Sicht gescheitert?

Nein, das glaube ich nicht. Es handelt sich um einen Prozess, der mit extrem vielen Problemen behaftet ist. Wir haben aber auch sehr positive Ergebnisse erzielt, zum Beispiel haben wir unsere Verpflichtung zur Waffenniederlegung erfüllt und sind absolut bereit, den Frieden voranzutreiben. Es gibt einige Abweichler, aber der Großteil unserer Mitglieder ist weiterhin bereit, daran zu arbeiten.

Der Friedensprozess würde dann scheitern, wenn die vorgesehenen Maßnahmen, etwa die Wiedereingliederung der ehemaligen Farc-Kämpfer ins Zivilleben, nicht umgesetzt würden. Wenn man beispielsweise unseren Leuten kein Land gäbe, das sie bearbeiten könnten, wenn es weiterhin Gewalt gegen unsere Mitglieder gäbe und die Morde an den ehemaligen Guerilleros weitergingen. Das würde tatsächlich ein Scheitern bedeuten.

Wie steht es gerade um die Wiedereingliederung der ehemaligen Guerillakämpfer und die Verteilung des Landes?

Die Situation ist schwierig, weil diese Punkte noch nicht umgesetzt wurden. Unsere Leute können noch nicht arbeiten und sich selbst ernähren. Unsere Mitglieder in den Reintegrationslagern sind skeptisch, haben aber noch Hoffnung, dass von Seiten der Regierung und des gesamten Staates guter Wille vorhanden ist. Wir hoffen konkret, dass die aktuelle Regierung in den ihr verbliebenen Wochen Garantien zur Umsetzung der besprochenen Punkte und zur Wiedereingliederung gibt. Wenn aber nichts dergleichen geschieht und die nächste Regierung dem Friedensprozess gegenüber nicht positiv eingestellt ist, dann werden wir ernsthafte Probleme bekommen.

Bei der Verteilung des Landes geht um zwei Dinge: Einmal die Landreform, die vom Kongress verabschiedet werden muss, um den Bauern Land zu übereignen, die durch die Kämpfe vertrieben wurden. Der andere Teil betrifft das Land, das unseren ehemaligen Kämpfern übergeben werden muss. Das sind etwa 8000 Personen. Wir reden hier nicht von Millionen Menschen, sondern nur von 8000, denen man gemeinschaftliches Land bereitstellen soll. Die Regierung kann es kaufen und es Gruppen von 200 bis 300 Menschen für die Landwirtschaft übergeben. Wir lösen das mittels Kooperativen. Das ist leicht und machbar.

Viel Zeit dafür bleibt der aktuellen Regierung vor den Präsidentschaftswahlen am 27. Mai nicht mehr.

Wenn Präsident Santos einhält, was er versprochen hat, sind diese Schritte noch möglich. Das würde den Prozess zum jetzigen Zeitpunkt wirklich retten. Was gerade in Kolumbien geschieht, ist sehr schwerwiegend, vor allem aufgrund der Verhaftung von Jesús Santrich. (Anm. d. Red. Am 9. April 2018 wurde der Farc-Politiker Jesús Santrich verhaftet. Man wirft ihm vor, in Drogenhandel verwickelt zu sein. Santrich, der an den Friedensverhandlungen beteiligt war, streitet die Vorwürfe ab und befindet sich in einem Hungerstreik.) Wenn die Regierung, um die Situation etwas zu beruhigen, schon mit der Landverteilung beginnen könnte, wäre das eine sehr gute Botschaft. Eines muss ich allerdings klarstellen: Wir tauschen hier nicht die Freiheit von Santrich gegen Land. Was ich sagen will ist, dass derzeit große Unruhe und Besorgnis in den Reintegrationslagern herrscht. Die Menschen dort sagen, sie würden weggehen. Das heißt nicht, dass sie aus den Lagern in den Krieg ziehen werden. Sie wollen irgendwo hin, wo sie nicht verhaftet werden. Wenn man ihnen Land gibt, werden sie bleiben, um es zu bearbeiten.

Zahlreiche demobilisierte Farc-Kämpfer haben die Reintegrationslager bereits aus einem Mangel an Perspektiven verlassen. Manche schließen sich in der Folge kriminellen Gruppen an. Hat die Farc noch Einfluss auf diese Menschen?

Viele unserer Leute haben seit dem Waffenstillstand, der fast zwei Jahre her ist, Familien gegründet. Diese Menschen denken an Frieden, nicht an Krieg, und sie werden sich keinen Banden anschließen. Das ist die Mehrheit unserer Leute.

Was aber ist mit denen, die kriminell werden? Kann die Farc sie noch erreichen?

Die Partei hat Einfluss auf diejenigen, die in den Lagern sind und auf diejenigen, die bei ihren Familien arbeiten. Aber mit den Abweichlern gibt es weder Kontakt noch haben wir Einfluss auf sie.

Bei den anstehenden Präsidentschaftswahlen gilt der rechtskonservative Kandidat Iván Duque, ein entschiedener Gegner des Friedensprozesses, als Favorit. Was würde sein Sieg für die Umsetzung des Prozesses bedeuten?

Wir hoffen, dass der Prozess dann nicht eine Kehrtwende macht. Wenn Präsident Santos die Schritte unternimmt, die wir von ihm fordern, sprich die notwendigen Garantien gibt, das Friedensprogramm in Gang setzt und strukturiert hinterlässt, kann Duque, sollte er gewinnen, den Prozess nicht einfach wieder rückgängig machen.

Wie steht es um die politische Zukunft der Farc? Bei den Parlamentswahlen im März hat die Partei schlecht abgeschnitten. Historisch sieht sie sich zwar auf der Seite der armen Bevölkerung, scheint aber für diese Gruppe nicht relevant zu sein. Woran liegt das?

Das könnte man so sehen, aber die Situation ist viel komplexer, als es den Anschein hat. Unser Wahlergebnis war tatsächlich schlecht. Doch einer der Gründe dafür ist, dass es keine Reform des politischen Systems und des Wahlrechts gegeben hat, die das gegenwärtige System verbessert hätte. Es handelt sich dabei um ein sehr klientelistisches System, in dem der Kauf von Wählerstimmen und Korruption an der Tagesordnung sind. Außerdem muss man sich klar machen, dass es im Land über 155 000 Wahllokale gibt. Die Parteien müssen die Auszählung der Wählerstimmen überwachen, indem sie eine Person pro Wahllokal stellen. Es gibt Parteien, die das können, wir hatten jedoch nicht einmal 1000 Beobachter.

Zudem sind Wahlkampagnen sehr teuer. Die politischen Parteien werden hierfür zum Teil vom Privatsektor finanziert, aber auch der Staat stellt Mittel zur Verfügung. In unserem Fall hat der Staat die Mittel erst zwei Tage vor Ende des Wahlkampfes überwiesen, also am 9. März, und die Wahlen waren am 11. Die Bank hat das Geld immer noch nicht freigegeben, so dass wir momentan völlig verschuldet sind.

Was sind Ihre nächsten Ziele?

Ich fühle mich der Partei, den Menschen, den Frauenrechten und dem Frieden bedingungslos verpflichtet. Aufgrund meiner Persönlichkeit bin ich in der Lage, mit vielen Leuten in Kontakt zu kommen, unabhängig von ihrer politischen Position. Daran habe ich die ganze Zeit gearbeitet und ich merke, dass die Menschen das anerkennen. Daher glaube ich, dass ich in der Partei weiterhin eine wichtige Rolle innehaben werde.