Mit dem Amtsantritt von Donald Trump zum US-Präsidenten sind massive Zweifel an den amerikanischen Beistandszusagen für Europa laut geworden. Den Kern der transatlantischen Sicherheit bildet der von den USA bereitgestellte „Atomschirm“. Jegliche Bemühungen, ihn durch eine rein europäische atomare Abschreckung ersetzen zu wollen, dürften zum Scheitern verurteilt sein.

Amerikanischer Schirm und nukleare „Teilhabe“

Die Sicherheit der NATO-Mitglieder, die keine Atomwaffen besitzen, hängt davon ab, dass die USA ihr Versprechen einhalten, ihre Nuklearwaffen im Ernstfall auch zum Schutz ihrer Bündnispartner einzusetzen. Um dieses „nukleare Band“ möglichst stark zu knüpfen, lagern die Vereinigten Staaten seit den 1950er Jahren einen Teil ihres Atomwaffenarsenals auf den Territorien ausgewählter Allianzpartner. Ferner stellen diese europäischen Nationen im Rahmen der „nuklearen Teilhabe“ Trägersysteme (heute ausschließlich Kampfflugzeuge) für den Einsatz dieser US-Atomwaffen im Kriegsfall zur Verfügung. In Friedenszeiten bleibt der Zugriff auf die Atombomben hingegen strikt auf die US-Streitkräfte beschränkt. Unter diesem Arrangement lagern auch heute noch amerikanische Atomwaffen auf dem Luftwaffenfliegerhorst in Büchel sowie auf Stützpunkten in Belgien, den Niederlanden, Italien und der Türkei.

Kein Atomschirm aus London und Paris

Derzeit besitzen in Europa nur Großbritannien und Frankreich eigene Atomwaffen. Anders als das Arsenal der USA tragen diese Waffen zwar zur Sicherheit der atlantischen Allianz bei, doch weder London noch Paris spannen einen Atomschirm über Europa. Sie könnten es auch nicht: Zum einen würden ihre im Vergleich zu den USA kleinen Arsenale dazu gar nicht ausreichen. Zum anderen verfügen sie nur über eine begrenzt glaubwürdige Flexibilität. Denn bei den französischen und britischen Waffen handelt es sich nahezu ausschließlich um auf U-Booten stationierte Raketen mit hoher Sprengkraft. Damit sind begrenzte Nuklearschläge, etwa auf Streitkräftekonzentrationen des Gegners, kaum möglich. Mit anderen Worten: Im Falle des Versagens der Abschreckung bliebe nur die Möglichkeit der Eskalation auf die Stufe eines umfassenden Atomkrieges.

Ein Ausbau der britischen und französischen Nuklearkapazitäten zu Arsenalen mit aufgefächerten nuklearen Optionen dürfte diese beiden Staaten finanziell überfordern.

Für eine nationale nukleare Abschreckung mag dies glaubwürdig sein. Aber es ist so nicht möglich, auch Bündnispartner mit zu schützen. Jeder Gegner würde darauf spekulieren, dass London oder Paris im Falle eines Angriffs auf ein nuklear nicht bewaffnetes Allianzmitglied lieber klein beigeben würden, statt auf die Stufe eines umfassenden Atomkriegs zu eskalieren. Ein Ausbau der britischen und französischen Nuklearkapazitäten zu Arsenalen mit aufgefächerten nuklearen Optionen dürfte diese beiden Staaten finanziell überfordern.

Eine europäische Teilhabe?

Weitere europäische Atomwaffenstaaten, gar eine „deutsche Bombe“, sind nicht wünschenswert. Außer Frankreich und Großbritannien haben alle anderen europäischen Staaten für immer völkerrechtlich verbindlich auf den Besitz von Atomwaffen im Rahmen des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrags (NVV) verzichtet. Ein Ausstieg aus dem Vertrag würde womöglich zu einem weltweiten nuklearen Wettrüsten führen. Eine solche atomare Weiterverbreitung widerspricht aber europäischen Sicherheitsinteressen, wie sie zu recht seit vielen Jahrzehnten formuliert wurden.

Da London und Paris allein mit dem Aufspannen eines Atomschirms über Europa jedoch überfordert wären, könnte der einzig gangbare Weg sein, die Praxis der nuklearen Teilhabe auf Europa zu konzentrieren. Europäische Nicht-Atomwaffenstaaten könnten im Kriegsfall künftig statt wie bisher amerikanische nun britische oder französische Kernwaffen mit eigenen Trägersystemen ins Ziel bringen.

Weder NATO noch EU

Doch in welchem politisch-militärischen Rahmen könnte diese europäische nukleare Teilhabe erfolgen? Die NATO könnte nicht genutzt werden. Erstens: Eine funktionierende atlantische Allianz bliebe in atomaren Fragen amerikanisch geprägt. Der Oberbefehlshaber Europa ist immer ein US-General. Das passt nicht zu einer europäisierten Nuklearabschreckung. Zweitens: Sollte auf die USA kein Verlass mehr sein, wäre das Bündnis politisch tot. Es könnte daher nicht als Anker einer europäischen Abschreckung dienen.

Konsequent wäre es daher, eine europäische atomare Abschreckung in der Europäischen Union zu verankern. Doch auch dies ist nicht möglich. Zum einen tritt Großbritannien gerade aus der Union aus. Zum anderen engagieren sich neutrale EU-Mitglieder wie Österreich und Irland seit Jahren an vorderster Front einer internationalen Bewegung zur Abschaffung aller Atomwaffen. Die große Diskrepanz in nuklearen Fragen zwischen Wien und Dublin einerseits sowie London und Paris andererseits führt seit Jahren immer wieder zu massivem Streit. Ferner hat die Union zu viele andere Probleme wie die Eurokrise, die Flüchtlingsproblematik oder unterschiedliche strategische Orientierungen ihrer Mitglieder zu bewältigen, als dass sie auch nur annähernd in der Lage wäre, eine so komplexe Aufgabe wie die Übernahme nuklearer Verantwortlichkeiten zu meistern.

Könnte man einen gänzlich neuen politisch-militärischen Rahmen jenseits von NATO und EU schaffen? Theoretisch möglich wäre dies. Doch ein solcher Schritt käme einer Neukonzipierung der gesamten europäischen Sicherheitsarchitektur gleich. Die Auslagerung einer europäischen nuklearen Abschreckung aus der EU würde nur Sinn ergeben, wenn gleichzeitig die konventionelle Verteidigungsplanung ebenfalls außerhalb der EU erfolgte. Dies wäre aber das Ende der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU.

Was wollen die Staaten?

Bleibt die Frage, ob Frankreich und Großbritannien überhaupt das nukleare Rückgrat Europas bilden wollen. Die Ausweitung des Schutzes der eigenen Kernwaffen auf andere Länder würde eine Revolution ihres militärpolitischen Denkens voraussetzen. Dazu gehörte auch, untereinander eine sehr viel engere Kooperation in Nuklearfragen anzustreben, bis hin zu gemeinsamen britisch-französischen Kommandostäben für Atomwaffeneinsätze. Dies vor dem Hintergrund, dass Großbritannien hinsichtlich der Aufrechterhaltung seiner nuklearen Infrastruktur stark von der Zusammenarbeit mit den USA abhängig ist. Auch Frankreich profitiert von amerikanischem nuklearem Wissen.

Eine rein europäische nukleare Abschreckung wäre teuer und aufwändig und würde ungewollte politische Konsequenzen nach sich ziehen.

Welche europäischen Nationen würden sich als nicht-nukleare Partner beteiligen? Sicherlich ginge es nicht ohne Deutschland. Aber Berlin würde sich, anstatt die nukleare Zusammenarbeit mit der Weltmacht USA zu pflegen, als nuklearer Juniorpartner von Paris und London umdefinieren müssen. Andere Staaten wie Polen würden sich hingegen womöglich gern im Rahmen einer europäischen nuklearen Teilhabe engagieren. Dies könnte jedoch massive Konflikte mit Russland heraufbeschwören, denen die Europäer allein vielleicht nicht gewachsen wären. Überdies stellte sich die Frage, ob die europäischen Nationen eine von den USA unabhängige nukleare Abschreckungsfähigkeit überhaupt finanziell, technisch und auch militärpolitisch-bürokratisch schultern könnten. Jedenfalls würde es keinen Sinn ergeben, die erforderlichen nuklearen Trägersysteme in den USA zu ordern.

Eine rein europäische nukleare Abschreckung wäre teuer und aufwändig und würde ungewollte politische Konsequenzen nach sich ziehen. Daher sollten sich die Europäer erst gar nicht auf ein solches waghalsiges Projekt einlassen. Es sei denn, das transatlantische Bündnis erweist sich als dauerhaft nicht mehr tragfähig. Dann aber müsste in der Tat europäische Sicherheit auch nuklear völlig neu buchstabiert werden.