In ihrem jetzigen Zustand ist die Eurozone anfällig für ökonomische Krisen und für populistische Parolen von links wie von rechts; außerdem mangelt es ihr an demokratischer Legitimation. Während es nach vielen Beiträgen in der Hochzeit der Krise jüngst still geworden war um die Debatte zur Zukunft des Euros, ist sie mit dem Fünf-Präsidenten-Bericht, als seit langem wichtigsten Beitrag der EU-Institutionen, wieder weit oben auf der Agenda. Die Präsidenten von Europäischer Kommission, Europäischem Parlament, Euro-Gipfel, Euro-Gruppe und Europäischer Zentralbank präsentieren darin einen Zeitplan, der ein strategisches Vorgehen innerhalb der nächsten Jahre vorsieht. Zunächst muss verlorengegangenes Vertrauen zurückgewonnen, müssen die Möglichkeiten innerhalb der bestehenden Verträge genutzt werden. Im Anschluss kann aufbauend auf diese möglichen Erfolge der zweite Schritt erfolgen: hin zu einer vertieften Wirtschafts- und Währungsunion.

Um das Vertrauen der Menschen zurück zu gewinnen, sollten aus meiner Sicht folgende drei Punkte – neben der Flüchtlingspolitik – Priorität haben: eine engere Koordinierung der Haushalts- und Finanzpolitik, die effektive Bekämpfung von Steuerdumping und die Umsetzung des Juncker-Plans für mehr reale Investitionen.

 

Engere Koordinierung der Haushalts- und Finanzpolitik

Zur engeren Koordinierung schlägt der Bericht einen beratenden Fiskalausschuss vor. Dieser würde unabhängig von den nationalen Fiskalpolitiken darauf hinwirken, dass statt „schwarzer Null für alle“, die Mitgliedstaaten Haushalte beschließen, die den unterschiedlichen Konjunkturverläufen gerecht werden und damit für die Eurozone insgesamt wachstumsfördernd sind. Eine solche Politik braucht aber auch die Mitverantwortung der nationalen Regierungen und Parlamente. Deswegen muss parallel auch das Europäische Semester intensiviert werden. Die jetzt begonnene Präsentation der länderspezifischen Empfehlungen der EU-Kommission in den nationalen Parlamenten ist daher ein erster Schritt.

 

Gegen Steuerdumping

Die Glaubwürdigkeit europäischer Einigung hängt auch davon ab, dass der Steuerdumping-Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten endlich beendet wird. Hier sind in besonderer Weise die Benelux-Staaten gefordert. Es muss der Grundsatz gelten: Gewinne werden dort besteuert, wo sie erwirtschaftet werden. Hierzu kann eine Harmonisierung der Körperschaftssteuer einen wichtigen Beitrag leisten.

Daneben hätte die Einigung auf eine europäische Finanztransaktionssteuer neben seiner fiskalischen Bedeutung insbesondere eine große symbolische Bedeutung. Es wäre ein entscheidender Schritt, jene an den Kosten der Krise zu beteiligen, die sie maßgeblich mitverursacht haben. Die Einnahmen könnten dann zukünftig genutzt werden, um im zweiten Schritt eine Basis für eine eigene Fiskalkapazität der Eurozone zu schaffen.

 

Mehr Investitionen

Die möglicherweise wichtigste Aufgabe für Europa ist derzeit, die Wirtschaft in den Krisenländern zu beleben. Neben Reformen in den Mitgliedstaaten und auf europäischer Ebene ist dabei das Investitionsprogramm der Juncker-Kommission von zentraler Bedeutung. Insbesondere die mediterranen Länder leiden seit Jahren unter mangelnden Investitionen. Der Europäische Fonds für Strategische Investitionen (EFSI) unterstützt private und staatliche Investitionen, wo sie durch Kreditklemmen, enorme wirtschaftliche Unsicherheit und Sparmaßnahmen gefährdet sind. Es ist deshalb sehr wichtig, dass sich die Mitgliedstaaten aktiver engagieren, damit ausreichend Projekte gefördert werden können.

 

Erst Vertrauen dann Reformen

Es besteht die Chance, dass wir mit sichtbaren Fortschritten auf den genannten Feldern die Unterstützung der europäischen Bevölkerung für weitere Integrationsschritte wieder erhöhen können. Hierbei ist es meines Erachtens nun wichtig, die Debatte breiter als bisher auf politischer Eben zu führen. Es zeichnet sich eine Kontroverse entlang zweier Positionen ab: auf der einen Seite stehen diejenigen, die darauf abzielen, Aufgaben zu vergemeinschaften und hierdurch eine stabilere, gerechtere und demokratischere Union zu schaffen. So haben sich die beiden Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Emmanuel Macron in ihrem gemeinsamen Beitrag für eine weitere Vertiefung der Eurozone und mehr Kompetenzen auf europäischer Ebene ausgesprochen, die letztlich in eine Wirtschafts- und Sozialunion münden.

Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die nach dem Prinzip „ein jeder kehre vor seiner eigenen Türe“ verfahren. Der Sachverständigenrat und auch der deutsche Finanzminister fordern striktere Regeln und Durchgriffsrechte eines europäischen Finanzministers. Länder, die straucheln, sollen nicht Solidarität erfahren, sondern – dank Insolvenzmechanismus – die disziplinierende Wirkung der Märkte. Angesichts der Tatsache, dass das Versagen der Märkte und die Fehlentscheidungen privater Investoren der Auslöser der Finanzmarktkrise waren, überrascht dieser Vorschlag – fordert er uns doch dazu auf, die Zukunft Europas von den Volatilitäten anonymer Märkte abhängig zu machen.

Statt eines Aufweichens der Währungsunion sollten wir alles tun, für Stabilität zu sorgen: auf institutioneller, ökonomischer und politischer Ebene. Denn an Stelle der erhofften Konvergenz waren die letzten Jahre von einem Auseinanderdriften der ökonomischen und sozialen Realitäten geprägt. Daraus folgt, dass die Eurozone Reformen braucht, um den ökonomischen Anforderungen an eine Währungsunion gerecht zu werden. Wir brauchen europäische Institutionen, die für mehr Zusammenhalt sorgen. Aus meiner Sicht sollten wir den Fünf-Präsidenten-Bericht deshalb zum Anlass nehmen, auf drei zentralen Feldern politischen Lösungen zu entwickeln: der Fiskalunion, der Bankenunion und der Sozialunion.

 

Euro-Kommissar statt Finanzminister

Es muss uns gelingen, die Eurozone institutionell besser auszugestalten. Dazu brauchen wir eine stärkere Zentralisierung von Entscheidungsbefugnissen, etwa durch einen Euro-Kommissar, der dann aber auch mehr tut, als nur Regeln zu überwachen, wie es der von Konservativen ins Spiel gebrachte „Finanzminister“ tun würde. Stattdessen benötigt der Euro-Kommissar ein Budget, das Rezessionen in einzelnen Mitgliedstaaten wirksam entgegenwirken kann. Diese fiskalische Stabilisierungsfunktion benötigt aber auch stärkere parlamentarische Mitwirkungsrechte – sowohl durch eine Euro-Kammer im Europäischen Parlament als auch durch eine engere Beteiligung der nationalen Parlamente. Im Sinne der Gemeinschaftsmethode sollte ebenfalls geprüft werden, den Europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM) in einen Europäischen Währungsfonds zu überführen. So könnte einerseits die demokratische Kontrolle des Krisenmechanismus erfolgen und andererseits eine vom Internationalen Währungsfonds unabhängige Lösung künftiger Krisen sichergestellt werden.

Des Weiteren ist die wachsende ökonomische Ungleichheit, nicht nur innerhalb, sondern gerade auch zwischen den Mitgliedstaaten, besorgniserregend. Wir sollten deshalb die Sozialunion voranbringen, um einerseits das Leben der Bürgerinnen und Bürger zu verbessern und andererseits den Populisten von rechts und links das Wasser abzugraben. Denkbar sind etwa Mindestlohnkorridore oder die Förderung des Aufbaus effektiver Sozialsysteme.

Und schließlich hat uns die griechische Krise vor Augen geführt, dass wir den Teufelskreis zwischen Banken- und Staatskrisen zwar vermindert, aber nicht aufgelöst haben. Wir müssen deshalb weiter um eine Lösung für einen euroweiten Einlagensicherungsfonds ringen, um eine echte Bankenunion zu schaffen.

Wir müssen das richtige Maß zwischen europäischer Solidarität und Kontrolle auf der einen- und Regeln und politischen Institutionen auf der anderen Seite finden. Weder kann es ein Zurück in vergangene Maastricht-Tage geben, noch sollten wir uns allzu naive Hoffnungen auf einen europäischen Föderalstaat machen. Im Oktober werden die Staats- und Regierungschefs den Fünf-Präsidentenbericht diskutieren. Sie sollten dies zum Anlass nehmen, eine progressive Reform der Eurozone mit neuem Elan zu beginnen.