Lesen Sie diesen Artikel auch auf Englisch undRussisch.

Wegen der Covid-19-Pandemie wird das Jahr 2020 als ein Wendepunkt in die Geschichte eingehen, hat sie doch (nicht nur) EU-Vertreter gezwungen, nie dagewesene Maßnahmen zur Wiederbelebung einer maroden Wirtschaft vorzunehmen. Besonders für einige osteuropäische Länder wird 2020 aber das Jahr sein, in dem die nächste wirtschaftliche Transformation begann.

Der letzte wirtschaftliche Wandel in der Region, der vor dreißig Jahren einsetzte, stand unter dem Zeichen der Befreiung des Individuums und der Rückkehr zur liberalen Demokratie. Der Übergang von der zentralen Planwirtschaft zur Marktwirtschaft verstärkte die soziale und wirtschaftliche Ungleichheit nicht nur individuell, sondern auch regional. Am stärksten betroffen waren Regionen, die von der Schwerindustrie gelebt hatten. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass in der Tschechoslowakei vor gut dreißig Jahren ausgerechnet Proteste gegen die Umweltverschmutzung in den Kohleregionen den Zusammenbruch der Einparteienregierung beschleunigten und ein Generalstreik ihn besiegelte.

Die sich anschließenden Privatisierungen hatten oft eher den Charakter eines Ausverkaufs. Wegen der Währungsabwertung lohnte es sich für ausländische „Investoren“, ein Unternehmen zu kaufen, zu zerschlagen und billig wieder abzustoßen. Arbeitslosigkeit und Ungleichheit griffen um sich, die Zukunftsperspektiven verdüsterten sich. In diesem Umfeld galten Arbeitsplätze in der Kohleindustrie als letzter, wenn auch prekärer Quell sozialer Sicherheit. Bis heute haben sich diese Regionen von der ungeordneten Transformation der 1990er Jahre nicht erholt.

Dreißig Jahre später steht wieder ein wirtschaftlichen Umbruch an, angekurbelt diesmal von den Bemühungen und der Notwendigkeit, die Treibhausgasemissionen zu senken. Und wieder sind vor allem die Menschen in den von der Schwerindustrie abhängigen Regionen betroffen.

Bis heute haben sich diese Regionen von der ungeordneten Transformation der 1990er Jahre nicht erholt.

Im Rahmen des „Europäischen Green Deal“, klimapolitisches Vorzeigeprojekt der Europäischen Kommission, hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer heutigen Rede zur Lage der Union ein von 40 auf 55 Prozent erhöhtes Emissionsreduktionsziel verkündet. Gleichzeitig werden jedoch die Mittel des Fonds für einen gerechten Übergang, der eingerichtet wurde, um kohleabhängige Regionen im Osten Europas für den Green Deal zu gewinnen, in den jüngsten EU-Verhandlungen über den Aufbaufonds und den EU-Haushalt von 40 auf nur noch 10 Mrd. EUR gekürzt. So ist es kein Wunder, dass die nächste wirtschaftliche Transformation mit Sorge, Misstrauen und einer Skepsis gegenüber der Klimapolitik erwartet wird, zumal auch nationale Regierungen nicht die dringend benötigte Unterstützung gewähren.

Von der Leyens Green Deal ist zweifellos ein ehrgeiziges Unterfangen, mit dem die EU klimapolitisch zu einer globalen Führungsmacht aufsteigen will, damit auch andere große Weltmächte in das Wettrennen einsteigen. Zumindest rhetorisch klingt auch das Engagement für die sozialen Aspekte der Transformation ehrgeizig. Das ist vor allem der Gewerkschaftsbewegung zu verdanken, die das Prinzip eines sozial gerechten Übergangs (Just Transition) erfolgreich vertreten und dafür gesorgt hat, dass es in die Präambel des Pariser Klimaschutzabkommens einging und nun zu einem Eckpfeiler der europäischen Klimatransformationspolitik wurde.

Mehr ist aber leider nicht zu erwarten vom Green Deal, geht es doch lediglich um die Gerechtigkeitsfrage in der Transformation. Natürlich ist es richtig, sich der betroffenen Arbeitnehmer anzunehmen, aber Gerechtigkeit bedeutet nicht, nur die Geschädigten in den Blick zu nehmen. Hier geht es nicht nur um den Prozess, sondern auch um das Ergebnis, und die Green-Deal-Transformation kann im Ergebnis die Treibhausgasemissionen durchaus verringern, doch für Beschäftigte und Kommunen dürfte sich nichts ändern.

Was geschieht, wenn die entlassenen Menschen auch nach einer Umschulung (sei es wegen ihres Alters, Geschlechts, ihrer familiären Situation oder Hautfarbe) keinen Arbeitsplatz bekommen? Oder wenn sie eine Anstellung finden, aber weniger Geld erhalten? Wenn die neue Arbeit prekär ist? Wenn sie umziehen müssen und ihre sozialen Bindungen verlieren? Wie wird sich der Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und sozialer Sicherheit verändern, allesamt Faktoren, die über den Erfolg auf dem Arbeitsmarkt entscheiden? Ein gerechter Übergang sollte mehr Gerechtigkeit mit sich bringen. Der Green Deal aber bedient sich öffentlich-privater Partnerschaften nach alter Rezeptur, ohne auf eine gerechtere und demokratischere Gesellschaft und Wirtschaft hinzuarbeiten.

Ein gerechter Übergang sollte mehr Gerechtigkeit mit sich bringen. Der Green Deal aber bedient sich öffentlich-privater Partnerschaften nach alter Rezeptur, ohne auf eine gerechtere und demokratischere Gesellschaft und Wirtschaft hinzuarbeiten.

Der Umgang mit der aktuellen Covid-19-Krise hat den Blick auf eine völlig andere, eine nicht-meritokratische Gesellschaft geöffnet. Alle Menschen kommen für Hilfen in Frage, weil sie meist nicht selbst daran schuld sind, wenn sie keinen Job und/oder kein Geld für die Miete haben. Die Lehren aus dieser Krise sollten wir beherzigen. Übertragen auf eine gerechte Transformation wäre es fairer (und effektiver), den von der Dekarbonisierung betroffenen Menschen schlicht ein dauerhaftes Einkommen zu zahlen, statt sie umzuschulen, damit sie auf dem Arbeitsmarkt ihr Glück versuchen können. In diesem Punkt sind sich Gewerkschaften und Umweltorganisationen einig.

Ein weiteres Instrument eröffnen die Bedingungen, unter denen Unternehmen EU-Gelder erhalten. Hier bietet sich eine ganze Reihe von Maßnahmen an, die den Übergang gerechter machen würden, von einem verpflichtenden nationalen Gesellschaftsdialog über eine stärkere Beteiligung der Arbeitnehmerschaft und eine inklusivere Personalpolitik bis hin zu kürzeren Arbeitszeiten und einer besseren Finanzierung öffentlicher Dienstleistungen.

Wenn der Verzicht auf eine ehrgeizige soziale Transformation der Preis für eine ehrgeizige Klimapolitik ist, dann kann es mit dem Ehrgeiz nicht weit her sein. Der Green Deal verlangt keine verbindlichen Kohleausstiegspläne. Die Förderung der Erdgasinfrastruktur wurde nicht abgeschafft. Die Emissionsziele bleiben hinter denen des Pariser Abkommens zurück. Und den größten Klimasünder nimmt der Green Deal gar nicht ins Visier: eine Wirtschaftsform, die mit ihrem endlosen Wachstum mit dem Prinzip der Nachhaltigkeit unvereinbar ist.

Manchmal gewinnt man in der Debatte über eine gerechte Transformation den Eindruck, als stünden soziale Interessen im Widerspruch zu klimapolitischen Zielen. Aus dieser Perspektive werden Defizite auf beiden Seiten als Kompromisse gewertet, die Teilfortschritte bringen. Abgesehen davon, dass wir uns den Luxus von Teilfortschritten nicht leisten können, ist dieser Antagonismus aber auch falsch. Die Arbeitnehmer tragen so oder so die Nachteile.

Wenn der Verzicht auf eine ehrgeizige soziale Transformation der Preis für eine ehrgeizige Klimapolitik ist, dann kann es mit dem Ehrgeiz nicht weit her sein.

Am Ende ist es egal, ob jemand kein erfülltes Leben führen kann, weil die Arbeitsbedingungen schlecht sind oder die Umweltbedingungen. Nicht zufällig protestierten vor 30 Jahren Umweltaktivisten und Beschäftigte gemeinsam. Wenn diese beiden Interessen, Soziales und Klima, jetzt gegeneinander ausgespielt werden, dann von denen, die aus der Ausbeutung natürlicher wie auch menschlicher Ressourcen Profit schlagen, und genau von diesen Personen muss man soziale und klimapolitische Gerechtigkeit einfordern.

Aber davon ist im Green-Deal-Entwurf keine Rede. Im Gegenteil könnten die Unternehmenseigentümer auf dem Markt der fossilen Brennstoffe an der Transformation sogar noch verdienen, sei es unmittelbar durch Hilfspakete (wie es bereits geschieht) oder durch andere Maßnahmen, etwa im Zusammenhang mit der Abwicklung fossiler Infrastruktur oder öffentlichen Investitionen. Wenn es sich beim Green Deal also um einen Kompromiss handelt, und davon kann man in der Politik immer ausgehen, so ist es kein Kompromiss zwischen sozialer und klimapolitischer Gerechtigkeit, sondern zwischen Gerechtigkeit und Wirtschaftsmacht.

In diesem Kampf sind die osteuropäischen Länder benachteiligt, denn sie liegen in der Wertschöpfungskette auf einer niedrigeren Ebene als ihre westlichen Nachbarn – und auch als sie selbst vor der letzten Transformation. Doch damit – und mit den Beziehungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, dem Kräfteverhältnis zwischen Arbeit und Kapital – steht und fällt das Wohl der Beschäftigten. Die Auswirkungen der Dekarbonisierung auf das Wertschöpfungsketten-Ranking der osteuropäischen Volkswirtschaften und auf die Sozialpartnerschaft bestimmen daher unmittelbar, wie stark wir uns dafür einsetzen und welche Forderungen wir stellen sollten.

Natürlich gibt es auf einem toten Planeten weder Arbeit noch Gerechtigkeit, aber wenn Europa nicht insgesamt wohlhabender, gerechter und geeinter aus dieser Transformation hervorgeht, dann wird wohl auch der Rest der Welt unserem Beispiel nicht folgen. Wer nun also den Fonds für einen gerechten Übergang kürzt und die Reduktionsziele für die Emissionen erhöht, will mehr haben und weniger dafür tun. Doch wenn wir nicht in diesen Übergang investieren, wenn wir uns keine Gedanken machen über die Zeit nach der Dekarbonisierung, wird am Ende wieder nur eine wirtschaftliche Transformation stehen, die weder global noch lokal etwas gebracht hat.

Aus dem Englischen von Anne Emmert