Es ist heiß, heiß, heißer! Und das ist alles andere als erfreulich – zumindest abseits schattiger Badeseen und beschaulich-kühler Meeresbuchten. Nicht nur für den Einzelnen, sondern auch insgesamt. Denn auch die Hitze - das mag jetzt überraschen - ist nicht privat, sondern durchaus politisch. Aus aktuellem Anlass könnte man fragen: Gibt es ein richtiges Leben im heißen?

Sicher, schon Plato, Aristoteles und Montesquieu fabulierten klimadeterministischen Unsinn, wenn der Tag mal wieder lang war. Gesellschaftliche, wirtschaftliche und soziale Entwicklung? Alles eine Frage der „gemäßigten Breiten“ und ihrer wohltuenden Einflüsse auf den „Esprit General“. Rein zufällig wurden diese stets in der jeweiligen Heimat der großen Denker als optimal präsentiert.

Doch auch die aktuelle Forschung hat Aufschlussreiches zum Thema Hitze beizusteuern - wenngleich nur wenig Erfreuliches. So verweist etwa die Fachzeitschrift Nature Climate Changein einer aktuellen Untersuchung vom Juli 2018 auf einen Zusammenhang zwischen Temperaturanstieg in Nordamerika und der Gewalt – genauer der Selbstmordrate. Die Forscher beobachten einen Anstieg der Selbsttötungen von 0,7 Prozent für jeden Grad Temperaturanstieg. Anhaltender Klimawandel, so fürchten sie, könnte bis zum Jahr 2050 annähernd 40 000 Selbstmorden in den USA und Mexiko den Weg ebnen.

Ebenfalls zu beobachten: Hitzebezogene Gewalt richtet sich immer wieder auch gegen Außenstehende - gerade wenn diese weiblich sind. Das jedenfalls belegen Forschungsergebnisse, die jüngst von der Zeitschrift Science of the Total Environment veröffentlicht wurden. Die Ergebnisse einer zwischen 2008 und 2016 von Psychologen der spanischen Polizei durchgeführten Studie mit dem Titel „Heat wave and the risk of intimate partner violence“ geben zu denken. Kernpunkt der Untersuchung: 61 000 Notrufe, 38 000 Polizeibeschwerden und 23 Mordfälle begangen von derzeitigen oder ehemaligen Partnern alleine in den Monaten Mai bis September der untersuchten Jahre belegen einen Zusammenhang zwischen Hitzewellen und männlicher Gewalt gegen Frauen. Mit jedem Grad Temperaturanstieg über 34 °C wächst demnach das Risiko für Mord in der Beziehung um 28,8 Prozent, fassen die Forscher den grausigen Befund zusammen.

Selbst Polizeibeamte können sich dem Effekt steigender Aggression in Zeiten großer Hitze augenscheinlich kaum entziehen. Auf diesen Umstand jedenfalls verweist ein aktueller Beitrag der Zeitschrift Observer. Er bezieht sich auf Untersuchungsergebnisse, denen zufolge niederländische Polizeibeamte in einer sommerlich-überhitzten Trainingssituation sehr viel aggressiver auf Bedrohungen reagierten als bei typisch niederländischem Schmuddelwetter. Regelten die Forscher die Temperatur des Versuchs-Setups um einige Grad Celsius nach oben, zogen statt 59 Prozent plötzlich 85 Prozent der Beamten in einer brenzligen Situation die Schusswaffe. Der Begriff „Hitze des Gefechts“ erhält da eine ganz eigene Bedeutung.

Nicht zuletzt kritisch zu bewerten: Derlei Effekte lassen sich zumindest einigen Forschungsergebnissen nach durchaus von Einzelpersonen auf Menschengruppen übertragen. So verweist eine Studie des Journal of Peace Research auf einen Zusammenhang zwischen sozialen Unruhen in afrikanischen und asiatischen Städten und meteorologischen Faktoren. Beruhend auf einer Auswertung von Daten aus 50 Großstädten Afrikas und Asiens zwischen 1960 und 2006 stellen die Forscher einen „signifikanten aber begrenzten Zusammenhang zwischen Hitze und urbanen sozialen Unruhen“ fest. Am deutlichsten wird dieser Effekt übrigens, wenn die Temperaturen die 30-Grad-Grenze nicht überschreiten. Auch für dieses Muster findet sich eine wissenschaftliche Erklärung: So verweist das US-amerikanische Magazin Wired auf Untersuchungsergebnisse, denen zufolge ab einer bestimmten Höchsttemperatur die eigentlich angefeuerte Aggressionsbereitschaft durch hitzeinduzierte „Lethargie“ wieder abgefedert wird. Irgendwann – das klingt durchaus plausibel – ist es einfach zu heiß für Bambule.

Sicher, ad-hoc Reaktionen und niedrigere Aggressionsschwellen aufgrund akuten Hitzestresses sind das eine. Davon zu unterscheiden jedoch sind die langfristig negativen Trends, die von höheren Temperaturen und ausbleibenden (oder übermäßigen) Niederschlägen ausgelöst werden. Einerseits auf globaler Ebene in Zeiten von Klimamigration aber auch gewissermaßen auf der mittleren Ebene konkreter weltpolitischer Ereignisse. US-Präsident Barack Obama stellte im Mai 2015 höchst selbst einen Zusammenhang zwischen ausbleibenden Regenfällen und politischen Aufständen her: „Schwere Dürre verschärfte die Instabilität in Nigeria, die von der terroristischen Boko Haram Gruppe ausgenutzt wurde“, erklärte Obama in einer Ansprache vor der US-Küstenwache und ergänzte: „Wir gehen davon aus, dass Dürre und Ernteausfall sowie hohe Lebensmittelpreise auch die Unruhen in Syrien anfeuerten.“ Der Arabische Frühling als Wetterphänomen? Zwar wiederspricht die Zeitschrift Political Geographyin einer aktuellen Ausgabe in Abwesenheit „klarer und verlässlicher Belege“, doch wurde nicht sogar die Französische Revolution letztlich durch eine Periode gravierend schlechten Wetters ausgelöst? Wobei „schlecht“ in Kontinentaleuropa eben nicht als zu heiß, sondern als zu kalt zu bewerten ist?

Eine Darstellung dieser These jedenfalls findet sich im Blog der Zeitschrift Scientific American, die Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit letztlich dem Ausbruch des isländischen Vulkans Laki zuschreiben. Dessen Eruption im Jahre 1783 kostete nicht nur ein Drittel der Bevölkerung Islands das Leben, sondern bescherte Europa auch ein Jahrzehnt völlig verregneter Sommer. Diese wiederum führten zu Ernteausfällen, sozialer Unzufriedenheit und letztlich zur zumindest temporären Abwicklung der französischen Sonnenkönig-Monarchie. Voilà.

Nun wäre Wissenschaft nicht Wissenschaft, wenn all diese Theorien unwidersprochen blieben. Denn so umfangreich die Studien, die negative Effekte steigender Quecksilbersäulen auf Einzelpersonen und Gemeinschaften konstatieren, so klar vernehmbar sind doch auch die Stimmen der Optimisten. So verweist ein Aufsatz in der Zeitschrift Frontiers in Psychology aus dem Juni 2017 darauf, dass hohe Temperaturen nicht nur zu negativem, sondern auch zu „positivem kollektiven Verhalten“ führen – die Bilanz also differenziert ausfallen müsse. Die Forscher beziehen sich auf eine Auswertung der amerikanischen Präsidentschaftswahlen von 1960 bis 2016. Dabei stellten sie fest, dass hohe Temperaturen das politische Engagement an der Wahlurne eben nicht reduzierten, sondern beförderten. Je wärmer das Wetter, desto stärker die Beteiligung. Je stärker die Beteiligung aber, desto stärker die Demokratie, gewissermaßen. Das kann durchaus konkrete Folgen zeitigen: „Ein Temperaturanstieg von nur einem Grad Celsius  hätte statt George W. Bush den demokratischen Kandidaten Al Gore zum 43. Präsident der Vereinigten Staaten gemacht“, glauben die Forscher. Offen bleibt allerdings, wieviel Extra-Sonnenschein Donald Trump aus dem Weißen Haus gehalten hätte und ob auch ein Präsident Gore so eindringlich auf die Folgen des Klimawandels aufmerksam gemacht hätte, wie der Dokumentarfilmer Gore in An Inconvenient Truth.

Doch die Kritik wird auch grundsätzlicher. So warnt ein Autorenteam in einem Meinungsbeitrag für Nature dringend davor, den direkten Einfluss extremer Wetterphänomene auf politische Ereignisse überzubetonen. Stichwort: Agency. „Gewalt durch extremes Wetter und Klimawandel zu erklären, könnte einer neuen Form von Umwelt-Determinismus Vorschub leisten“, mahnen die Wissenschaftler. Die Gefahr: Tradierte eurozentrische Vorurteile schleichen durch die Hintertür zurück in die Debatte, während komplexe politische Ramenbedingungen unbeachtet bleiben – ein Argument, das kaum von der Hand zu weisen ist. Und noch einen Aspekt betonen die Forscher: den der Kooperation. Denn obwohl die kritischen Effekte steigender Temperaturen offenkundig sind, ist das Reaktionsspektrum der betroffenen Menschen durchaus vielschichtig. Tatsächlich nämlich seien „in Zeiten des ökologischen Stresses Kooperation und Hilfe, nicht Gewalt, die vorherrschende Antwort der Betroffenen“. Womit die eingangs aufgeworfene Frage nach dem richtigen Leben in Zeiten der Hitze nunmehr auch abseits von Badestränden zumindest vorsichtig optimistisch beantwortet werden kann. Und zwar wissenschaftlich fundiert.