Es sagt viel über den Zeitgeist aus, wenn ein soziologisches Sachbuch zum Bestseller avanciert. Eine als zunehmend ungemütlich empfundene Gemengelage befeuert die Suche nach Orientierung und schlüssigen Antworten. Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser bieten in Triggerpunkte: Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft eher unzeitgeistmäßig eine – zumindest gemessen an der soziologischen Konkurrenz – noch vergleichsweise beruhigende Sicht auf den aktuellen Stand der Dinge. Verharmlosend allerdings sind sie keinesfalls unterwegs. Gefahren für die Zukunft zeigen sie deutlich auf. Und wie nah ihre Szenarien eines ungünstigen Verlaufs der Geschehnisse tatsächlich liegen, zeigen die aktuellen Proteste der Landwirtschaft. Diese wurden auch mächtig angetriggert. Apropos – sicher, auch der Titel ist schlau gewählt. Getriggert fühlen wir uns umgangssprachlich ja längst ständig und aus diversen Anlässen.
So leicht verdaulich wie der Titel ist das Werk indes nicht gehalten. Immerhin, es ist eine soziologische Studie und keine Belletristik. Es spricht für die Autoren und für unser Bedürfnis nach Klarheit und Beruhigung, dass das Werk dennoch auf dem Weg zum Bestseller ist. Sprachlich ist es keine leichte Kost, doch immer sprachgewaltig und voller einprägsamer Bilder.
Es ist sicher auch die zentrale Aussage, die hier begierig aufgenommen wird. Denn die Studie will aufräumen mit einigen Annahmen, die uns zwischenzeitlich bereits als gewiss galten. Im Fokus: die Erzählung der beständig wachsenden und inzwischen bedrohlichen Polarisierung, kulturell, politisch und materiell. Die Lagerbildung zwischen oben und unten, zwischen Städtern und Landbevölkerung, zwischen Arbeitern und Akademikerinnen. An dieses Szenario haben wir uns längst gewöhnt. Die Unterscheidung in zwei Lager macht es übersichtlich. Zutreffend ist sie nicht, so die Autoren.
Denn sie sind der Meinung: Nein, so zerstritten sind wir gar nicht. Deutschland sei noch immer eine Gesellschaft der Mitte, die Lagerbildung eher schwach. Und die Mitte, das sei noch immer die Mehrheit. Die Gesellschaft spalte sich nicht, aber „die Außenbezirke der Meinungslandschaften beschallen zunehmend das Zentrum“. Die Mitte dagegen sei entideologisiert und nur noch schwach parteipolitisch gebunden. Das schwäche ihre Mobilisierungs- und Artikulationsfähigkeit. Aber die Meinungsführenden, sie kommen nicht aus der Mitte.
Die Unschärfe ideologischer Positionen und das Aufweichen von Parteibindungen öffneten Türen für „stimmungsgetriebene Affektpolitik“. Diese könnten Polarisierungsunternehmer gewinnbringend zum Einsatz bringen – politische Akteure, die sich über die Erzeugung und Nutzung polarisierter Auseinandersetzungen profilieren und vagabundierende Unzufriedenheiten zusammenführen. Nicht eingehegte gesellschaftliche Konflikte bezeichnen die Autoren als „Gelegenheitsmärkte für Polarisierungsunternehmer“. Welche Themen hier im Mittelpunkt stehen? Neben der Migrationspolitik ist es die Klimapolitik, die Gefahr läuft, ein solcher Markt zu werden.
Es ist nichts gewonnen mit der breiten Übereinstimmung darüber, dass der Klimawandel ein drängendes Problem ist.
Hier steht eine unangenehme Wahrheit bereit. Dass die gesellschaftliche Mehrheit für ambitionierten Klimaschutz steht, keine Frage. Aber gleichzeitig heißt das wenig. Es ist nichts gewonnen mit der breiten Übereinstimmung darüber, dass der Klimawandel ein drängendes Problem ist. Denn wie dieses Problem zu bewältigen ist, dazu gehen die Meinungen weit auseinander. Und die anvisierten Richtungen weisen laut Mau, Lux und Westheuser durchaus klassenspezifische Züge auf. Wenn es kontrovers wird, werden Klasse und Bildung durchaus relevant. Weitaus mehr, als dies bei Geschlecht oder Wohnort der Fall ist. Der Wutpegel korreliert mit Einkommen, Klasse und Bildung. Die Autoren sprechen bei der Klimapolitik von „einem Klassenkonflikt im Werden“. Denn Klassenunterschiede kommen dort zum Tragen, wo Wohlstandsgefährdung befürchtet wird. Unterdurchschnittlich verdienende Arbeiterinnen und Arbeiter fürchten naturgemäß den Wohlstandsverlust am meisten. Ob die Klimapolitik tatsächlich zum Klassenkonflikt werde, das hänge ab von der Geschwindigkeit und der Tiefe der klimapolitischen Lösungen sowie ihrer Verkopplung mit der sozialen Frage.
Nun ist die enge Verbindung zur sozialen Gerechtigkeit als conditio sine qua non inzwischen politischer Glaubenssatz. Aber auch hier gilt: Das heißt noch gar nichts. Die Überzeugung, das Bekenntnis, dass Klimaschutz mit sozialer Gerechtigkeit in Einklang gebracht werden muss, sagt wenig über das Wie. Mau und Co. bezeichnen dies als das „Ja, aber“ – ja, aber wie, wo und bei wem? Die Autoren hinterfragen, inwieweit das auf politische Mehrheiten angewiesene System überhaupt hinreichend Möglichkeiten bereithält, sowohl die ökologische Frage als auch den Konflikt drum herum angemessen und rechtzeitig zu bearbeiten. Die Gleichzeitigkeit aktuellen Ungemachs, etwa in Form steigender Mieten, hoher Inflation und finanzieller Zumutungen durch die Transformation, sei ein Gelegenheitsfenster für Rechtspopulisten, sich zu Bannerträgern der Veränderungserschöpften zu stilisieren und die Klimapolitik in die Blockade des Kulturkampfs zu steuern.
Vorsicht ist also geboten. Denn die Sorgen um die ökonomische Zukunft verdrängen die Sorgen um die ökologische Zukunft. Wir haben es mit einem Dilemma der Geschwindigkeit zu tun: Eine möglichst schnelle Reduktion der klimaschädlichen Emissionen ist wichtig für einen erfolgreichen Kampf gegen den Temperaturanstieg. Aber ebendiese Schnelligkeit bedroht gleichzeitig den Erfolg – Klimapolitik wird umso stärker als Zumutung wahrgenommen, je entschiedener sie vorangetrieben wird. Denn Klimapolitik bedroht den ohnehin prekären Lebensstandard. Die politische Lenkung durch Steuern und Preise werde schnell wahrgenommen als Bevorteilung derer, die sich das leisten können. In Europa steht die CO2-Besteuerung im Mittelpunkt der Klimastrategie. Wer dazu die Triggerpunkte liest, dem kann nur mulmig werden, wenn nicht gleichzeitig zum steigenden CO2-Preis ein zeitnaher und klar als klimapolitisches Instrument erkennbarer Ausgleich insbesondere für niedrige Einkommensgruppen erfolgt. Umverteilung oder die Sicherung des sozialen Standards sind dezidiert wichtig – ohne sie wird Klimapolitik scheitern.
Die Sorgen um die ökonomische Zukunft verdrängen die Sorgen um die ökologische Zukunft.
Das ist schon schwierig genug. Aber auch hier gilt: Obacht. Denn es geht keineswegs nur um materielle Unterschiede. Es geht auch um die Anerkennung unterschiedlicher Lebensstile. Und um ein ausgeprägtes Unrechtsbewusstsein aufgrund verletzter Leistungs- und Anerkennungsvorstellungen. Die Sorge ist groß, zu kurz zu kommen – materiell und hinsichtlich der gesellschaftlichen Anerkennung, so die Autoren. Die aktuellen Bauernproteste lassen grüßen.
Mau, Lux und Westheuser warnen vor einem impulsiven Zurückweisen moralisch-ökologischer Ansprüche. Kurz gesagt: vor Wut. Von Bildungseliten vorangetriebene kulturelle Veränderungen würden als übergriffig und den eigenen Lebenserfahrungen fremd wahrgenommen. Wut und Veränderungserschöpfung würden auf den unteren Sprossen der sozialen Hierarchie deutlich stärker empfunden. Ihre Ursachen zu adressieren und ihnen politisch Ausdruck zu verleihen, das sei eine dringende demokratische Aufgabe.
Was also konkret tun? Die Autoren stehlen sich hier keinesfalls vom Acker, sie unternehmen durchaus einen Versuch, diese Frage zu beantworten. Die Hinweise scheinen allerdings anteilsmäßig etwas dürftig, gemessen an den zuvor auf 400 Seiten geschilderten Herausforderungen. Dies sollte man ihnen nicht anlasten. Auch dies entspricht dem Geist der Zeit. Und das sollte uns als Leserschaft durchaus beunruhigen.
Analytisch gehe es nun darum herauszufinden, warum sich um bestimmte Themen Gegnerschaften formieren und welche Anliegen in unterschiedlichen Statuslagen geteilt und abgelehnt werden. Nur so ließen sich Klimakonflikte verstehen und nur so könne man über Reformkonzepte nachdenken, die eine Chance auf breite Zustimmung haben. Ganz allgemein gilt: Die Wahl der Mittel hat große Auswirkungen auf die Bündnisfähigkeit und die Sicherung gesellschaftlicher Unterstützung. Plakativ gesprochen: Golfplätze zubetonieren ist besser, als Berufspendler zu behindern. Den Klimaklebern möge das zu denken geben. Für den Staat treten geeignete Strategien nicht so deutlich zutage. Denn zwar lassen sich die Gefahren gesellschaftlichen Verdrusses mindern durch Entschädigungen und die Beteiligung der Transformationsverlierer. Aber die Autoren weisen gleichzeitig auf die Gefahr hin, die kompensatorischen Fähigkeiten des Staates zu überdehnen. Beim Erkaufen von Zustimmung drohe eine Erschöpfung fiskalischer Möglichkeiten (und dabei wurde das Werk noch vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts und der wiederaufgeloderten Debatte um die Schuldenbremse geschrieben). Zudem fehlten die zur Besänftigung eingesetzten Mittel dann bei der Finanzierung der Transformation. Aus diesem Dilemma weist keine einfache Lösung.
Die Wahl der Mittel hat große Auswirkungen auf die Bündnisfähigkeit und die Sicherung gesellschaftlicher Unterstützung.
In der Transformation angelegte Chancen und Gewinne müssten so verteilt werden, dass sie Mehrheiten erreichen können. Möglich sei dies etwa über die Entwicklung breiter aufgestellter Teilhabemodelle und durch Beteiligung an der Wertschöpfung. Die Autoren kritisieren, dass das bisher politisch unterbelichtet sei. Es brauche zudem eine Gerechtigkeitsvorstellung, die sozial gestufte Verantwortlichkeiten und Ressourcenausstattungen berücksichtigt. Man sollte meinen, dass solche Lösungsansätze der Sozialdemokratie naheliegen. Dieser Logik zufolge machen individuelle CO2-Budgets, sozial oder regional gestaffelt, und ein privater Emissionshandel durchaus noch mehr Sinn als ein pauschales Klimageld. Ärmere Leute verursachen unabhängig von sämtlichen Moralappellen in aller Regel weniger Emissionen als Wohlhabende inklusive der Akademiker.
Konkrete Projekte sollten den Autoren zufolge zudem so organisiert werden, dass unmittelbare Beteiligung möglich wird – (finanzielle) Teilhabe in überschaubaren lokalen und sozialen Zusammenhängen und mit greifbarem Nutzen. Wenn Windrad vorm Dorf, dann mit finanzieller Beteiligung der Gemeinde an den Einnahmen, könnte das wohl heißen. Oder bessere Rahmenbedingungen für Energiegenossenschaften.
Gerade für die unteren Schichten brauche es programmatische Angebote, die politische Selbstwirksamkeit, Gerechtigkeitsfragen und Klimaschutz verbinden. Das konkret auszugestalten, ist wahrlich eine epochale Aufgabe – unter hohem Zeitdruck. Um des gesellschaftlichen Friedens und der demokratischen Stabilität willen aber führt daran kein Weg vorbei.