Keine Frage, ein Leisetreter ist der renommierte US-Klimaforscher Michael E. Mann nicht. Provokation gehört zu seinen Stilmitteln und das macht die Lektüre seines jüngsten Buches geradezu unterhaltsam. In „The New Climate War“ – im Deutschen etwas zahmer mit „Propagandaschlacht ums Klima“ – bricht der Autor mit einigen gängigen Erwartungen. Dass er sich die Machenschaften großer Energiekonzerne und ihrer Hintermänner über die vergangenen Jahrzehnte bis heute vorknöpft, das war zu erwarten. Doch es geraten auch unerwartete Akteure in sein Visier.

Die Klimakrise leugnen? Damit ist die Bevölkerung rund um den Globus nicht mehr zu beeindrucken. Entschieden ist der Klimakrieg damit aber mitnichten. Er wird im neuen Gewand geführt. Den Krieg gegen die Wissenschaft haben die Fossil-Lobbyisten verloren; ihr Feldzug richtet sich jetzt gegen entschiedenes Handeln. Das Leugnen ist der Ablenkung gewichen. Heute wird verharmlost, gespaltet, verzögert oder Endzeitstimmung verbreitet.  

Michael Mann zeigt auf, welcher Mittel sich die Lobby der fossilen Brennstoffe aus Industrie und Petro-Staaten einst bediente und wie sie heute agiert. Pate standen dabei immer wieder Waffenlobby, Tabak- und Getränkeindustrie; von ihnen lernen hieß lange siegen lernen. Manns Abrechnung mit Wissenschaftlern, die der Brennstoffindustrie früher beim Leugnen und heute beim Ablenken tatkräftig zur Seite standen, mutet manchmal wie eine private Fehde an. Doch das sollte man einem Autor nachsehen, der seit Jahrzehnten persönlichen Angriffen und Diffamierungen von dieser Seite ausgesetzt ist.

Mann richtet seinen Blick aber nicht nur auf die Interessen der Fossilindustrie, sondern auch auf Regierungen und Staaten, deren Wohl und Wehe am Export fossiler Brennstoffe hängt. So hätten Saudi-Arabien, Australien und Russland ein Interesse daran, Maßnahmen gegen den Klimawandel zu verhindern – die mauen Ergebnisse der jüngsten COP lassen grüßen. In seinen Augen hat dieses fossile Eigeninteresse sowohl bei der russischen Unterstützung des Brexits als auch der Wahl Trumps eine zentrale Rolle gespielt. Russiagate ist für ihn ein Synonym für fossile Brennstoffe.

Manns Streifzug durch die Praktiken des Lobbyismus ist erhellend – und er macht deutlich, wie sehr in den letzten Jahren die Klimadebatte auch in Europa die falsche Abzweigung genommen hat. Das gilt für Deutschland ebenfalls, wie ein Blick zurück auf den Bundestagswahlkampf zeigt. Flugscham und Schnitzelneid, darüber wurde intensiver debattiert als über strukturelle Fragen. Die Protagonisten der Ablenkung waren erfolgreich.

Die Ablenkungskampagne geht so: Die Verantwortung wird von Unternehmen und Branchen weg auf den Einzelnen abgewälzt, persönliches Verhalten und individuelle Entscheidungen kritisch unter die Lupe genommen.

Die Ablenkungskampagne geht so: Die Verantwortung wird von Unternehmen und Branchen weg auf den Einzelnen abgewälzt, persönliches Verhalten und individuelle Entscheidungen kritisch unter die Lupe genommen. Der Kampf am Buffet oder am Flugschalter wird als Schlachtplatz bedeutsamer als die internationalen Finanzmärkte oder die Rohstoffbörse. 

Über systemische Veränderungen diskutiert es sich eben nur halb so leidenschaftlich wie über die individuellen Verfehlungen des Nachbarn. Nichts eignet sich besser zur Spaltung als eine Kritik am Lebensstil, ist dieser doch direkt an das eigene Identitätsgefühl gebunden. Das Bloßstellen des anderen wird als eine Art Belohnung empfunden, als Beweis der eigenen moralischen Überlegenheit. Das aber ist gefährlich, so Michael Mann.

Nicht nur, dass die Lobby der Fossilindustrie sich hier weitestgehend unbemerkt vom Acker schleichen kann, es wird auch ein falsches Dilemma in die Welt gesetzt und künstlich gepäppelt. Individuelle Verhaltensänderungen stellen keine Alternative zum systemischen Wandel dar, macht Mann klar. Wir brauchen sicher beides, aber über den Ausgang der Wette auf die Zukunft des Planeten entscheidet allein die Stellschraube am System.

Bei der Kritik am individuellen Verhalten gerät nicht nur leicht das eigentliche Ziel aus den Augen, es droht auch eine Schwächung der gesamten klimabewegten Gemeinschaft. Das „Gezeter über Ernährungs- und Reiseentscheidungen“, so Mann, über Reinheit und Tugendhaftigkeit sei geeignet, einen Keil in die Klimabewegung zu treiben und sie damit nachhaltig zu schwächen. Plötzlich gehen Menschen, die eigentlich das gleiche wollen, aufeinander los, verlieren sich in erbitterten Grabenkämpfen – und dabei das eigentliche Ziel aus den Augen.

Viele dringend benötige Mitstreiterinnen stößt man so vor den Kopf. Mit dem Fokus auf persönliche Opfer werden viele Menschen der politischen Mitte vergrault, die zu gewinnen wären und die es für einen erfolgreichen Umbau des Wirtschaftssystems in einem demokratischen System dringend braucht.  

Individuelle Verhaltensänderungen stellen keine Alternative zum systemischen Wandel dar.

Allerdings, auch das macht Mann zu Recht deutlich, verfolgen manche eben doch noch andere Ziele als „nur“ die Ausbremsung des Klimawandels. Er macht sein Misstrauen gegenüber all jenen deutlich, die aus dem Kampf gegen die Erderwärmung im Handstreich einen Kampf für allgemeinen Veganismus oder gegen den Kapitalismus machen. Dem Vorwurf, dass man mit technischen und wirtschaftlichen Lösungen der neoliberalen Politik auf den Leim gehe, erteilt Mann eine Absage. Der Ruf nach einem asketischen Leben spiele Untätigkeitspredigern in die Hände, die Klimaverfechter zu gern als freiheitshassende Totalitaristen darstellen wollen.

Mann ist die Technologie dabei nicht einerlei. Er warnt vor Pseudolösungen wie dem Geoengineering. Auch das Auffangen und Einlagern von CO2 ist für ihn nur dort akzeptabel, wo einzelne Sektoren schwer zu de-karbonisieren sind, beispielsweise in der Zementproduktion. Die Brückentechnologie Erdgas ist für ihn wegen des Methanschlupfs eine Brücke ins Nirgendwo, die nukleare Option wegen hoher Kosten und drohender Gefahren keine Alternative. Für Mann kann die Lösung eines durch fossile Brennstoffe geschaffenen Problems nicht in einem fossilen Brennstoff liegen. Solche Scheinlösungen würden vielmehr nötige Investitionen in die Erneuerbaren Energien verdrängen.

Mit dieser Überzeugung liegt er ganz auf Linie der jugendlichen Klimaschützer rund um Fridays for Future. Und doch dürfte ihnen die Lektüre nicht durchgehend schmecken. Mann bescheinigt ihnen, das Thema auf der politischen Tagesordnung weit nach oben gerückt zu haben und den öffentlichen Druck aufrechtzuerhalten. Doch er warnt auch davor, den Bogen zu überspannen. Die Warnungen vor dem Ende der Menschheit, das aggressive Verächtlichmachen eines jeden Verhandlungsergebnisses als „Bla Bla Bla“ und das Einfordern drastischer Maßnahmen schaden letztlich dem Klimaschutz. Es drohe ein Boomerang-Effekt – der aggressive und schuldbasierte Dialog behindere damit den Fortschritt. Es gelte stattdessen, die Vorteile des Erwünschten zu betonen, um möglichst viele Menschen für diesen Weg zu begeistern, anstatt die rhetorische Knute zu schwingen oder die Apokalypse an die Wand zu malen.

Es wäre tatsächlich traurige Ironie, wenn ausgerechnet das engagierte progressive Lager selbst zum Hindernis würde, indem es sich weigert, sich auf Kompromisse und Konsens einzulassen oder diese als Fortschritt anzuerkennen. Leider folgen viele Klimaschützer hier dem Zeitgeist, der jeden Kompromiss wahlweise als verlogenen Vorwand fürs Nichtstun oder Feigheit vor dem Feind interpretiert statt seine zentrale Bedeutung für das friedliche Miteinander in einer demokratischen und pluralen Gesellschaft anzuerkennen.

Einige Aktivisten glauben offensichtlich, dass Menschen erst schockiert und verängstigt sein müssen, um den Klimawandel ernstzunehmen. Angst aber motiviert nicht; sie führt vielmehr dazu, dass Menschen sich distanzieren. Für Mann ist das Schüren einer Endzeitstimmung inzwischen ein wichtiges Instrument der Fossillobby. Doch auch überzogene Forderungen und Übertreibungen seitens klimabewegter Menschen spielten den Bemühungen der Verzögerer in die Hände. Mann spricht vom Climate Doom Porn – der Klimaendzeitpornographie. Entsprechende Lektüre vom nahenden Untergang verkauft sich gut, hilfreich im Kampf gegen den Klimawandel ist sie nicht.

Leider folgen viele Klimaschützer hier dem Zeitgeist, der jeden Kompromiss wahlweise als verlogenen Vorwand fürs Nichtstun oder Feigheit vor dem Feind interpretiert.

Der beständige Verweis auf das uns erwartende dystopische Höllenszenario trifft darüberhinaus aber, so Mann, auch schlicht die aktuelle Lage nicht. Klar, es besteht dringender Handlungsbedarf. Aber die Weltgemeinschaft ist handlungsfähig. In dieser Hinsicht kann Mann auch mit Greta Thunbergs Schelte wenig anfangen, bei allen Verdiensten um die öffentliche Debatte, die er ihr und ihrer Bewegung zuschreibt. Ihr Vorwurf, es werde so gut wie nichts getan, sei falsch. Er empfindet solche Vorwürfe als herablassend gegenüber all‘ den Anstrengungen, die weltweit unternommen werden. Manns Buch hilft einem in diesem Sinne durchaus auch bei der Bewertung der Ergebnisse der jüngsten Klimakonferenz von Glasgow. Das Glas ist halbvoll.

Wachsamkeit ist dennoch geboten. Das gleiche Hexengebräu, das 2016 Donald Trump an die Macht brachte – die Einmischung böswilliger staatlicher Akteure sowie der Zynismus und die Empörung auch unter Linken, die verkündeten, zwischen Trump und Clinton gebe es keinen Unterschied, man könne sich das Wählen entsprechend auch sparen – bedroht Mann zufolge auch den Kampf für den Klimaschutz.

Bei der Lektüre von Manns „Klimakrieg“ wird deutlich, dass man es den Leugnern und den Gegnern der Klimapolitik zu lange zu einfach gemacht hat – offenkundig waren sie häufig schlicht gewitzter, was die öffentliche Kommunikation betrifft. Diesen Vorteil sollte man ihnen nicht länger auf dem Silbertablett darbieten. Auch in dieser Hinsicht ist Manns Buch erhellend. Die Lektüre ist trotz des ernsten Themas unterhaltsam, sie sensibilisiert und stimmt gleichzeitig optimistisch. So lässt der Kampf ums Klima sich aufnehmen.