Die Banalität des Bösen

Im Auftrag der Zeitschrift „The New Yorker“ verfolgte die Philosophin Hannah Arendt in Jerusalem den Prozess gegen Adolf Eichmann. Vor 50 Jahren erschien erstmals die deutsche Übersetzung ihres Berichts unter dem Titel: „Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen.“ Arendts Thesen stießen nicht nur auf Zustimmung. Sie lösten vielmehr einen Sturm der Entrüstung aus, wie ihn sich Verleger nur wünschen können. Vor Beginn des Prozesses hatte die Prozessbeobachterin Hannah Arendt – wie die ganze Welt – ein diabolisches Monstrum erwartet. Eichmann zu verstehen, meinte sie, sei notwendig, um Nationalsozialismus und Holocaust begreifen zu können. Der Eichmann, den sie in Jerusalem im Prozess beobachtete, war aber ein ganz anderer. Ihre Schrift über den „erschreckend normalen“ Menschen Adolf Eichmann, der während des Nationalsozialismus die Deportationen und ihren „Verwaltungsmassenmord“ an Millionen Juden maßgeblich organisiert hatte, legte eine bis dahin verkanntes Moment offen: die Banalität des Bösen. Hannah Arendt hat gezeigt, dass es ein Böses gibt, dass sich gar nicht als solches versteht oder verstehen will, sondern in Gefühlslosigkeit, Verantwortungslosigkeit, Gleichgültigkeit und nicht vorhandener Zivilcourage besteht. Diese bittere Erkenntnis ist auch als Mahnung zu verstehen.

 

Die Ohrfeige

Der 2008 erschienene Roman „The Slap“ des australischen Schriftstellers Christos Tsialkos erzählt die Geschichte einer Ohrfeige und ihrer Folgen (auf Deutsch erschienen unter dem Titel „Nur eine Ohrfeige“). Diese Geschichte beginnt auf einer heiter-ruhigen Grillparty in einem Garten in einer Melbourner Vorstadt. Als einer der Gäste ein dreijähriges Kind ohrfeigt, zerbricht das vermeintlich harmonische australische Vorstadtidyll jedoch rasch. Die Protagonisten müssen Stellung beziehen, es zeigen sich Konfliktlinien, es bilden sich Allianzen. In diesen Konflikten zeichnet der Roman die australische Gesellschaft nach, skizziert die Anatomie einer neuen, sehr multikulturellen australischen Mittelklasse. Es geht um die Spannungen zwischen selbstbewusster werdenden Immigranten und den weißen englischsprachigen Australiern, um die Animositäten zwischen einzelnen Ethnien eines Einwandererlandes, um die Widersprüchlichkeit des australischen Selbstverständnisses, um konservative und um liberale Wertvorstellungen. So entsteht das Bild einer Gesellschaft, die sich theoretisch als multikulturell, liberal und aufgeklärt versteht, deren Mitglieder aber in der Realität von Vorurteilen und von Ängsten vor dem Verlust von Privilegien geprägt sind.

Der erste Essayist

„Mancher will sprechen lernen zu einem Zeitpunkt, wo er lernen sollte, endgültig zu schweigen.“ Nicht nur für seine „Essais“, auch für seine Aphorismen wurde der französische Humanist Michel de Montaigne (1533-1592) bereits von Zeitgenossen geschätzt wie gefürchtet. Und das mit dem Schweigen – das bezog er definitiv nicht auf sich selbst. Seine wichtigsten Schriften, die „Essais“, zeigen eine geradezu kaleidoskopische Themenvielfalt: von der Medizin bis zur Philosophie, vom zwischenmenschlichen Zusammenleben bis zu religiösen Streitfragen – kaum ein Thema, das er ausließ. 1576 landeten seine Essais auf dem Index, was ihren Erfolg nicht verhinderte: Schon zu seinen Lebzeiten erreichten sie vier Auflagen. Als Vertreter des Skeptizismus hegt Montaigne ein grundlegendes Misstrauen gegenüber der sinnes- und verstandesmäßigen Wahrnehmungs- und Urteilsfähigkeit des Menschen. Das macht ihn zu einem Fragenden – und als solcher tritt er in seinen Schriften auf. So begründet er „nebenbei“ eine neue literarische Gattung, den Essay. Seit Montaigne ist der Essay der Versuch, sich einer Frage oder einem neuen Problem in knapper, anspruchsvoller und stilistisch ausgefeilter, zugleich aber spielerischer, verständlicher und mitunter humorvoller Weise zu nähern.