Das Thema Fluchtursachenbekämpfung ist in der deutschen Außen- und Entwicklungspolitik in aller Munde. Dass Industrie- und Schwellenländer z.B. durch Handelspolitik und Rohstoffhunger zu Fluchtursachen beitragen, wird wenigstens teilweise anerkannt und soll durch Maßnahmen wie den Compact with Africa ausgeglichen werden. Schon schwerer fällt es, die Langzeitfolgen des Kolonialismus zu bewerten und auszugleichen, aber auch hier gibt es immerhin eine Diskussion, nicht nur unter Fachhistorikern. In dem Comic „Made in Germany“, einer Zusammenarbeit des Correctiv-Journalisten Frederik Richter und des Zeichners El Marto, geht es um die wenig bekannte unrühmliche deutsche Beteiligung an einer jüngeren afrikanischen Tragödie, den Ausläufern des Genozids in Ruanda 1994. Das Autorenteam wählte dafür das Konzept einer „grafischen Reise“, die den Zeichner physisch, aber auch im übertragenen Sinne von Afrika nach Deutschland und zurück nach Afrika führt.

Hintergrund des Projekts war ein Stipendium der Open Society Foundation für zwei Zeichner. Diese sollten mit Journalisten von Correctiv, bekannt für die Enthüllung des Cum Ex-Skandals, zusammenarbeiten. Gesucht war also ein grenzübergreifendes Thema, das im Kontext eines Comics und während des achtmonatigen Stipendiums bearbeitbar war. Ein in Buchform vorliegender Prozessbericht über den Fall des in Deutschland lebenden Ruanders Ignace Murwanashyaka wurde zur Grundlage einer comic-journalistischen Arbeit. Sie fußt zwar nicht auf der üblichen investigativen Herangehensweise von Correctiv und nutzt das Genre der Reportage nur als Rahmenkonzept. Sie zeichnet sich aber trotz einiger Fehler durch hohe Faktizität aus und erscheint durchaus geeignet, aufwändigen Qualitätsjournalismus attraktiver für jüngere Zielgruppen zu machen.

Ignace Murwanashyaka wurde 2009 in Deutschland festgenommen und nach dem ersten Prozess auf Basis des Völkerrechts zu dreizehn Jahren Haft verurteilt. Er war einer der politischen Anführer, Propagandisten und Drahtzieher der FDLR-Miliz (Forces Démocratiques de Libération du Ruanda), einer Hutu-Organisation im kongolesischen Exil, die in der dortigen östlichen Provinz Kivu mehrerer Massaker verübte. Fokus des Comics ist ein Massaker im Dorf Busurungi. Es geht aber weniger um die Details der Vorfälle und des folgenden Prozesses als um den historisch-politischen Kontext und vor allem um die traurige Rolle, die deutsche Behörden spielten.

Wir sehen den Zeichner El Marto, wie er in Berlin Spuren der deutschen Kolonialgeschichte entdeckt, so in einer Ausstellung im Deutschen Historischen Museum und auf den Straßenschildern im Afrikanischen Viertel im Wedding. Wir erfahren etwas über die Rolle der künstlichen Unterscheidung zwischen Hutu und Tutsi, welche die Belgier von den deutschen Kurzzeit-Kolonialherren übernahmen, über den Genozid an den Tutsi 1994 und über die Bundeswehrausbildung späterer Hutu-Genozidäre. Vor allem aber lernen wir, dass zwei Anführer der Hutu-Miliz FDLR in aller Ruhe im politischen Asyl in Deutschland leben konnten, unterstützt auch von der Kirche. Sie bestritten nicht nur öffentlich den Genozid, sie organisierten auch Gelder für die aus Ruanda vertriebene FDLR und sie steuerten diese teilweise aus der Ferne. Ignace Murwanashyaka konnte sogar mehrfach über Uganda in den Kongo reisen. Die deutschen Behörden beobachten ihn, unternehmen lange Zeit aber nichts. Aufforderungen, seine politische Tätigkeit zu unterlassen, ignorierte Murwanashyaka. Erst auf immensen internationalen Druck wurde der FDLR-Drahtzieher verhaftet und angeklagt.

Der in Burkina Faso lebende französische Zeichner El Marto arbeitet meist als politischer Cartoonist und Street Artist. Für „Made in Germany“ hat er nur teilweise eingefärbte Computer-Zeichnungen entwickelt, die sehr dynamisch sind, auch durch effektive Seiten-Layouts, obwohl es im Buch kaum Dialoge oder Action gibt. Drastisch ist das Coverbild von in deutschen Flaggen eingehüllten Leichen im Dorf Busurungi. Bisweilen ist die didaktische Vorgehensweise etwas übertrieben (oder zielt auf jüngere Leser als sie das Buch vermutlich finden wird), aber die historisch-politischen Zusammenhänge werden klar. Diese „grafische Reise“ ist also ein gelungenes Beispiel für das Genre des Comic-Journalismus, das in Deutschland noch in den Kinderschuhen steckt. Anderswo und insbesondere in Frankreich ist man schon deutlich weiter, was die Arbeitsteilung von Journalisten und Zeichnern betrifft, wie man im kurzen Film zur Comic-Journalismus-Ausstellung beim Comic-Salon 2018 in Erlangen sehen kann. „Made in Germany“ soll entsprechend auch auf Englisch und Französische erscheinen. Man kann auf das zweite grenzüberschreitende Correctiv-Projekt gespannt sein, in dem es um eine Undercover-Reportage im syrischen Bildungssystem geht, unter Assad und unter ISIS-Herrschaft.

El Marto/Frederik Richter, Made in Germany: Ein Massaker im Kongo. Eine grafische Reise zwischen Afrika und Europa, Correctiv, 2018