Auf Seiten der amerikanischen Linken regen Senator Bernard „Bernie“ Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez die progressive Fantasie an. Bernie hat 2016 den „Demokratischen Sozialismus“ medienfähig gemacht. Und die 2018 als jüngste Abgeordnete neu in den Kongress gewählte „AOC“, Mitglied der Democratic Socialists of America (heute eine linke Interessengruppe innerhalb der Demokratischen Partei), ist genau die ungeduldige, eloquente, junge und hippe Frau, die es braucht, um seine politischen Botschaften weiter zu popularisieren und gleichzeitig um zentrale Punkte zu erweitern. Insbesondere ihr Vorschlag eines „Green New Deal“ begeistert viele, denn hier trifft sich der Bezug auf den „New Deal“ der 1930er Jahre, mit dem die Grundfesten des rudimentären Sozialstaats der USA gelegt wurden, mit dem Anspruch, dem Klimawandel und seinen Folgen mit klugem Regierungshandeln zu begegnen.
Kein Wunder also, dass AOC nun ebenso wie Bernie aus dem Lager der Republikaner und den rechtslastigen Meinungsmedien wie Fox angefeindet wird. Kein Wunder auch, dass sich ihr Erfolg und ihre Popularität in einem Land, dessen Populärkultur signifikanter Teil seiner „Soft Power“ ist, sofort auch kulturell niederschlägt. Gerade erschienen zwei Comics im klassischen amerikanischen Heftformat – ca. DIN A5 –, in denen verschiedene Autor_innen und Zeichner_innen in unterschiedlichen Stilen kurze Geschichten von Bernie und AOC erzählen. Das Format ist nicht zufällig gewählt, denn zumindest beim amerikanischen Leser entsteht sofort ein Bezug zum Superhelden-Genre. Dieser Anspruch wird in vielen Beiträgen erfüllt, in denen es dann auch reichlich handgreiflich wird und gelegentlich auch die genretypischen Posen, überzeichneten Muskeln und Sexualisierungen nicht fehlen (letzeres bei AOC, nicht bei Bernie …). AOC selbst hatte übrigens gleich in einem ihrer ersten Tweets als Abgeordnete per Comic-Referenz auf die Ansage des Demokratischen Establishments im Repräsentantenhaus, sie unter Kontrolle bringen zu wollen, geantwortet: “To quote Alan Moore: ‘None of you understand. I’m not locked up in here with YOU. You’re locked up in here with ME.’“ Dieses Zitat stammt aus dem berühmten, höchst politischen Comic „The Watchmen“, mit dem der britische Autor Moore das amerikanische Superhelden-Genre revolutionierte.
Hier und da gibt es kluge Beobachtungen und Stellungnahmen im Gewand comic-spezifisch verkürzter und zugespitzter Konfrontationen.
Ästhetisch ist all das Geschmackssache; recht offensichtlich sollen insbesondere junge Menschen angesprochen werden. Wenn darüber eine Begeisterung für progressive Politik entsteht, kann das durchaus positiv sein. Aber wie sieht es mit den Inhalten aus? Gehen die Geschichten und Episoden über action-geladene Hagiographie hinaus? Werden tatsächlich Themen nicht nur angerissen, sondern auch einmal ausdiskutiert? Das Gesamturteil fällt hier eher negativ aus, die meisten Geschichten sind eher plakativ. Manches ist auch zu stark auf persönliche Konflikte bezogen, zielt zu sehr auf aktuelle Ereignisse ab, oder ist nur für Insider zugänglich – politisch, aber auch pop-kulturell.
Und doch werden hier durchaus nicht nur zwei Popstars der Linken abgefeiert; hier und da gibt es kluge Beobachtungen und Stellungnahmen im Gewand comic-spezifisch verkürzter und zugespitzter Konfrontationen. Die umstrittene Rolle der Führungsebene der Demokratischen Partei, welche die kapitalismuskritischen Progressiven immer wieder ausbremst, wird hier von der Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, verkörpert, stocksteif, alt und uncool, während AOC buchstäblich ihre Kolleginnen zum Tanzen bringt (auf mediale Häme über ein altes Video, in dem sie tanzend zu sehen ist, hat AOC mit einem neuen Clip geantwortet, der sie als tanzende Abgeordnete zeigt). Bemerkenswert ist vor allem ein Beitrag, der zeigt, dass AOC heute von den gleichen medialen Mechanismen profitiert, die Trump so sehr geholfen haben: Weil immer parteiischere und meinungslastigere Medien auf jeden noch so dümmlichen Tweet von Trump reagierten, blieb dieser immer auf den Titelseiten. Der Begriff „outrage porn“, der im Comic gewählt wird, ist drastisch, aber er beschreibt den Mechanismus gut. Ignorieren wäre oft sehr viel besser gewesen, aber das fällt eben schwer ... Das gleiche „Twitter Reaction Syndrome“ zwingt nun Fox und Co., ständig auf AOC und andere Linke einzugehen, was wiederum diese in den Medien hält.
Anderes muss erwähnt werden, weil sich – eher in beiläufigen Passagen als an der Oberfläche der Geschichten – das ganze Elend der derzeitigen amerikanischen politischen Kultur zeigt: Die Dehumanisierung des politischen Gegners ist inzwischen als kommunikative Strategie etabliert. Immer wieder werden Trump, Pence und andere Republikaner oder Vertreter konservativer Medien verächtlich gemacht, was insbesondere angesichts der Superhelden-Bezüge und sonstigen ehrfürchtigen Darstellungen der Hauptprotagonisten auffällt – allein die Perspektivwahl zeigt den Kontrast: AOC und Bernie werden oft von unten nach oben gezeigt, ihre Gegner oft von oben oder auf Augenhöhe und in unvorteilhafter Pose. Natürlich gehört das zum politischen Geschäft („If you can’t stand the heat, get out of the kitchen“, sagte schon US-Präsident Harry Truman), aber inzwischen erreicht die Häme ein bedenkliches Ausmaß.
Es reicht nicht, nur die Vorstellungen von „white supremacy“ auf Seiten der Republikaner zu geißeln.
Auch AOCs unterlegener Vorwahlkonkurrent Joe Crowley, langjähriger Demokratischer Abgeordneter in New York, wird im Comic physisch besiegt, per Boxkampf oder Wrestling, und wird auf der Liste der Hauptgegner geführt. Hier schließt sich eine wichtige grundsätzliche Frage an, die in der ganzen Begeisterung um die diversifizierte und verjüngte Demokratische Fraktion untergeht: Wer kann in einer repräsentativen Demokratie für wen sprechen? Sicher konnte man Crowley eine Reihe von Vorwürfen machen, und er hat die Herausforderin AOC hochnäsig unterschätzt – bis es zu spät war. Aber das auch in den Comics immer wieder durchscheinende Argument, dass ein (alter) weißer Mann keinen Wahlkreis vertreten kann, der durch demographischen Wandel nun mehrheitlich von Menschen mit (lateinamerikanischem) Migrationshintergrund bewohnt wird, und dass dafür eine Frau mit puerto-ricanischen Wurzeln und Street Credibility besser geeignet sei, ist offensichtlich tückisch. Jenseits der progressiven politischen Positionen, die AOC von Crowley absetzen, lauert hier nämlich das Gespenst der Tribalisierung. Es reicht aber nicht, nur die Vorstellungen von „white supremacy“ auf Seiten der Republikaner zu geißeln. Auch die Identity Politics der Demokratischen Partei müssen zugunsten einer gemeinsamen, gemeinwohlorientierten Politik überwunden werden. Insofern ist es vielleicht doch gut, dass Bernie, der stark auf eine übergreifende, klassenbasierte Politik setzt, noch im Rennen um die Demokratische Präsidentschaftskandidatur ist, und dass sein Status in der Bewegung für einen Comic an der Seite von AOC reicht.