Ditch, ditch, POF!
Je nach Perspektive ist Sibylle Titeux und Amazing Amézianes „Muhammad Ali“ entweder ein großartiges Buch über einen merkwürdigen Mann oder ein merkwürdiges Buch über einen großartigen Mann. Vielleicht ist es auch beides. Eines vorweg: Den Rezensenten interessiert der Boxsport nicht einmal am Rande. Wie man Schwergewichtsweltmeister wird? Keine Ahnung. Was ein Punch ist und ein Swing? Schleierhaft. Das Buch erschien vor diesem Hintergrund nicht wegen, sondern trotz der sportlichen Ausrichtung faszinierend. An Muhammad Ali, Olympiasieger und mehrfacher Weltmeister, politischer Aktivist und „Ikone des 20. Jahrhunderts“ erschien vorwiegend das entscheidend, was er außerhalb des Boxrings in Angriff nahm. Denn da gab es so einiges: „No Vietnamese ever called me nigger“ etwa. Oder in späteren Jahren die umstrittene Irak-Reise in das Reich Saddam Husseins, um kurz vor dem Bombenkrieg auf Bagdad amerikanische Geiseln zu befreien.
Leider bleiben solche politischen Episoden in dem großformatigen Band etwas unklar. Ali bei Nasser in Ägypten? Eine Seite. Bei Marcos auf den Philippinen? Ohne den Kampf: zwei Bilder. Konvertierung zum Islam, Reise nach Mekka und bei Mobutu in Zaire … fast alles bleibt Episode und irgendwie unmotiviert. Wie reagierte Ali auf die Versuche der politischen Instrumentalisierung, die die Bilder andeuten? Wozu wollte er beitragen und wozu nicht? Wie fügt sich seine persönliche Erfahrung der Befreiung in eine Befreiungsphilosophie? Und in die „Nation of Islam“? Antworten hierauf gibt es kaum. Über die verschiedenen Ehen und Kindsgeburten wird der Leser so beiläufig in Halbsätzen informiert, dass man sich fragt, weshalb sie überhaupt Erwähnung finden. Auch die exotischen Orte bleiben Kulisse. Allerdings was für eine ...
Beispiel: der Hexenkessel von Kinshasa. Hier muss Ali – nachdem Mobutu die Reisedokumente beschlagnahmen lässt – mehr oder weniger wider Willen in das Herz der Finstern … pardon, den Ring hinabsteigen. Was folgt, ist Kampf, Wut und Gemetzel wie so oft. Die Glocke läutet die Runden ein: „ding“. Dann geht es los: „ditch“, „ditch“, „POF!“. Eine Fausthammerdampfwalze schmettert durch die Seite und in die Magengrube des keuchenden Gegenübers. Der Leser? Der ist kein Leser, sondern Zuschauer, nein, Ringrichter, nein, Boxhandschuh an der rechten Faust Muhammad Alis. Man kann sich vorstellen: Das ist keine ganz uninteressante Perspektive.
So schafft das Buch ein ziemliches Kunststück: Die weltpolitisch faszinierenden Episoden erscheinen relativ ausdruckslos, während die eigentlich folgenlosen Faustkämpfe mit ihren opulenten, martialisch-grandiosen Zeichnungen als dramatische Höhepunkte erscheinen.
Das entstehende Portrait Muhammad Alis bleibt dabei fast schon zwangsweise schemenhaft. Vielleicht ist dies nicht zuletzt dem Subjekt der biografischen Betrachtung selbst zuzuschreiben? Ein größenwahnsinniges Superego, das sich für Befreiung einsetzt, aber zugleich für religiösen Fundamentalismus? Ein sensibler Charmeur, der Stahlfäuste wie Vorschlaghämmer mit tanzender Leichtigkeit und klugem Witz kombiniert? Ein solcher Mensch ist schwer ohne Brüche zu erfassen und eignet sich letztlich nicht als Ikone. Aber wer tut das schon? Großartig oder merkwürdig? Beides.
Selbstsucht als Tugend
Schon einmal etwas von Ayn Rand oder Objektivismus gehört? Nein? Die Person und ihre Theorie sollen dem Neoliberalismus zugrunde liegen. So erklärt es jedenfalls Darryl Cunningham in dem als Graphic Novel getarnten Sachbuch zu den Ursprüngen der Immobilienblase und des Bankencrashs in den USA im Jahr 2008. Wer mit Begriffen wie Derivate, „Credit Default Swaps“ oder Optionen nie etwas anfangen konnte, bekommt in dem Buch „Supercrash“ eine verständliche, bebilderte Einführung.
Im ersten von drei Teilen wird die Herkunft der Idee des neoliberalen Wirtschaftsmodells anhand einer Biografie der Vordenkerin Ayn Rand erläutert. Rand, eine in den zwanziger Jahren aus St. Petersburg in die USA ausgewanderte jüdische Bestsellerautorin, vertritt die Moralphilosophie des Objektivismus: Selbstsucht ist eine Tugend, Altruismus eine moralische Schwäche. Wer nicht erfolgreich ist, ist selbst schuld. Das Individuum muss in jeglicher Beziehung frei sein, und der Staat gehört, soweit es geht, in seine Schranken gewiesen. Die Maxime sind freier Handel, offene Märkte, Privatisierung sowie Deregulierung und Ausweitung des Privatsektors, mit anderen Worten ungebremster Kapitalismus; alles das, was heute bereits fast überall vorherrscht.
Im zweiten Teil erfährt man, wie es zum Börsencrash 2008 mit seinen fatalen Folgen für die Weltwirtschaft kam, und im dritten Teil warnt der Autor eindringlich vor dem Zeitalter der Selbstsucht, in dem wir uns bereits befinden. Cunningham zeichnet in nicht immer schön anzusehendem skizzenhaftem Stil. Der viele Text in Blockbuchstaben ohne Leerräume erschwert das Lesen, doch die Botschaft, dass Gier und Selbstsucht und ein Staat, der dies zur Wirtschaftsform erklärt, gefährlich sind, wird mehr als klar. Absolut lesenswert.
Bebildertes Reisetagebuch
Der Titel klingt vielversprechend: „Im Schatten des Krieges. Reportagen aus Syrien, dem Irak und der Türkei“. Die Story, geschrieben und gezeichnet von Sarah Glidden, einer Amerikanerin und freiberuflichen Autorin, ist die: Sie begleitete im Jahr 2010 mit Kamera und Aufnahmegerät zwei junge freiberufliche Journalisten sowie einen Ex-Marines-Soldaten, der im Irak gekämpft hat, auf einer Reportagereise durch die drei Länder. Sie wollen ihre Landsleute über die fatalen Folgen des Irak-Kriegs für Land und Leute aufklären und damit Lücken füllen, die die Kriegsberichterstatter als „embedded journalists“ hinterließen.
Man erwartet erhellende Geschichten aus einer politisch hoch brisanten Gegend, über die man im Westen in der Tat nicht allzu viel weiß. Bevor es dazu kommt, muss der Leser sich allerdings durch 50 Seiten Vorgeschichte, Reisevorbereitung und Anreise (von Istanbul nach Van im Trans-Asia-Express) mühen. Dann erst geht es los mit Gesprächen und echten Kontakten mit einigen interessanten Menschen auf den verschiedenen Stationen ihrer Reise.
Ziel ist, so Glidden, „herauszufinden, was Journalismus ist“. Was man aber hauptsächlich erfährt, ist, wie unsicher sich die Journalisten darüber sind, wie sie ein schwieriges Thema aufbereiten und wie man die Reportagen vermarktet. Richtig interessant oder erhellend wird es leider auch auf den folgenden 250 Seiten nicht. Tagebuchartig wird in sanften Aquarellfarben die Reise dokumentiert, wobei ein großer Schwerpunkt auf den wenig spannenden Gesprächen untereinander liegt. Eine Dramaturgie ist nicht zu erkennen.
Wenn die Erzählweise schon nicht Spannung zu erzeugen vermag, so schafft es erst recht nicht die zeitliche Distanz zu dem Geschilderten: Ganze fünf Jahre vergingen, bis die Graphic Novel auf Deutsch erschien. Wer die Zielgruppe ist, kann man nur ahnen, vielleicht junge Menschen, die vorhaben, Journalisten zu werden. Gestandene Journalisten und Leserinnen, die die Region kennen, oder Graphic-Novel-Fans sicherlich nicht.
Zurück in die arabische Zukunft
Es ist das Jahr 1984, Riad ist nun sechs Jahre alt und „immer noch so bildschön wie seit eh und je“. Sie kennen Riad noch nicht? Riad, das ist Riad Sattouf, französisch-arabischer Cartoonist und Filmemacher, der jahrelang für Charlie Hebdo schrieb und mit seiner ersten Kindheitserzählung „The Arab of the Future“ Furore machte. Mit einem trotz der Anschläge auf die Redaktionsräume in Paris nicht abgeschwächtem, sehr kritischen Blick auf die arabische Welt und den Islam erzählt er darin die Geschichte seiner Kindheit, in der sein vom arabischen Nationalismus beseelter Vater seine französische Mutter und ihn zunächst ins Libyen Gaddhafis schleppt. Die Kritik äußert sich häufig in beißender Ironie. Als blondes Kind nimmt Sattouf die Rolle eines Outsiders ein, dessen kindlicher Blick teilweise an candidsche Naivität erinnert.
In „Arab of the Future 2“ ist die Familie ins syrische Dorf Ter Maaleh bei Homs gezogen. Riad muss in die Schule und erleidet seine drakonische Klassenlehrerin. Sein Vater stellt sich immer mehr als narzisstischer Träumer heraus, der sich aus der Verantwortung stiehlt, als in der Familie ein hässlicher Ehrenmord begangen wird.
Trotz der deutlich düstereren Ausrichtung gegenüber dem Vorgängerbuch hat sich Riad Sattouf seinen ironischen, sehr lustigen Stil erhalten. Das fängt schon an, als sein Vater für ihn Schulsachen kaufen will. Erst preist der Händler seine Ware an: „Made in China, the very best quality“, oder auf den Schulranzen bezogen: „Look how modern it is, wrapped in a plastic bag“. Dann kommt es zu dem typischen Ritual, bei dem der Händler – bei seiner Ehre – erst einmal jede Bezahlung strikt ablehnt, dann aber, als es nach minutenlangem Hin-und Her doch zur Bezahlung kommt, sehr genau nachzählt. Das sollten Sie in diesem Fall nicht, sondern darauf vertrauen, dass dieses Buch jeden Cent, beziehungsweise jede Lira, wert ist.