
Eine Gefahr für die Demokratie?
Zunächst ein Hinweis in gleichsam eigener Sache: Dieser Tage ist im Dietz-Verlag das von mir herausgegebene Buch „Rechtspopulismus in Europa – Gefahr für die Demokratie?“ erschienen. Die Autoren stammen aus einer Vielzahl europäischer Länder. Der Band enthält Porträts der wichtigsten rechtspopulistischen Parteien in West- und Osteuropa sowie eine Reihe von Beiträgen, die erörtern, wie die etablierten politischen Kräfte auf die populistische Herausforderung reagieren sollten. Diese Herausforderung stellt sich nicht zuletzt auch für die Sozialdemokratie: Rechtspopulistische Parteien ziehen zunehmend das Milieu der „kleinen Leute“ an, das über lange Jahrzehnte die Wählerbasis der Parteien der linken Mitte war. Einfache Antworten auf dieses Problem gibt es mit Sicherheit nicht. Aber es ist auch nicht alles verloren: Der Rechtspopulismus kann, trotz all seiner aktuellen Erfolge, immer noch eingehegt und gestoppt werden. Seine Erfolge basieren kaum auf eigener ideologischer Überzeugungskraft und gesellschaftlicher Verankerung. Sie basieren vielmehr darauf, dass die etablierten Parteien ihm viel zu viele Themen und Probleme gleichsam politisch überlassen haben. Dies könnte man ändern.

Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent
Sind die postkommunistischen Transitionsländer die Blaupause für das, was dem Süden Europas heute bevorsteht? Im Kern ist das die zentrale These von Philipp Thers Buch „Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent“. Das Buch hat zu Recht eine Vielzahl von positiven Rezensionen erhalten; es stand auch auf der Short-List des Preises des politischen Buchs der Friedrich-Ebert-Stiftung. Das Interessante ist Thers umfassender Blick: Er betrachtet nicht nur das postkommunistische Osteuropa, sondern versucht, die wirtschaftliche Entwicklung ganz Europas im Zeitalter des Neoliberalismus zusammen zu sehen. Dies macht er sine ira et studio: Die Anpassungszwänge werden ebenso nüchtern geschildert wie die Resultate, die ja keineswegs einheitlich sind, sondern sowohl Erfolge wie Misserfolge hervorbrachten. Und die – das haben die Wahlen in Polen vor kurzem wieder deutlich gemacht – von den Menschen sehr unterschiedlich wahrgenommen und bewertet werden. Auch dies verliert Ther nicht aus dem Blick: Dass es eine Makro- und eine Mikrowirklichkeit gibt, und die Dinge, je nach Perspektive, sehr unterschiedlich aussehen können. Die These, dass die postkommunistischen Transformationsländer gleichsam die Experimentierstuben einer Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik waren, die jetzt, im Zuge der Eurokrise auch die „alten Ordnungen“ West- und Südeuropas erreicht (und unter das Joch neoliberal inspirierter Anpassungsstrategien zwingt), ist durchaus überzeugend. Deutschland, so Ther, sei hier als unmittelbarer Nachbar des postkommunistischen Raums einfach zehn Jahr früher unter Zugzwang gekommen. Wer verstehen will, was in Osteuropa in der Vergangenheit passierte und in Südeuropa gerade beginnt, ist mit Thers Buch exzellent bedient.

Roman, Kiepenheuer & Witsch. Aus dem Russischen übersetzt von Andreas Tretner.
Eine Parabel über das heutige Russland
Der Geist lebt nicht vom Graubrot des Sachbuches allein. Die Ukraine-Krise und das Verhalten Russlands verlangen nach Nachdenken über dieses schwer verständliche Land. Also wurde der (viel zu lange) im Bücherschrank schlummernde „Schneesturm“ Vladimir Sorokins herausgezogen, in der Hoffnung, Erhellendes über das heutige Russland und seine Mentalität zu erfahren. Eine kluge Entscheidung: Es handelt sich bei „Der Schneesturm“ um ein ganz phantastisches Buch, besonders allen „Russlandverstehern“ dringend ans Herz gelegt. Schon rein formal ist es ein Triumph: Topos, Sprache und Format sind perfekt an die großen Novellen der russischen Literatur des 19. Jahrhunderts angelehnt. Aber „Der Schneesturm“ spielt nicht im 19. Jahrhundert, sondern in einer nicht definierten Zwischenzeit. Irgendwann in der Zukunft, obwohl viele Details das Russlands Turgenjews, Gogols oder Tolstois evozieren. Die Hauptfigur ist ein Arzt, der trotz Schneesturms ein abgelegenes Dorf erreichen will. Seine Gegenfigur ist der Fahrer bzw. Kutscher des Gefährts, das er anheuert: der „Krächz“, ein einfacher, gutwilliger Mann, Symbolfigur des duldsamen Volkes, das von den Eliten in die Bredouille gebracht wird. Die Kutsche verliert im dichten Schneesturm den Weg. Seltsame Dinge passieren. Es gibt Technik, aber sie ist anders. Das Land ist weit, menschenarm und unregiert. „Der Schneesturm“ ist eine brillante Parabel über ein Russland, das an seinen obstinaten Eliten leidet und sich in einem geographischen, technologischen und zivilisatorischen Zwischenraum zu verlieren droht. Am Ende sammeln die Chinesen die Reste auf.
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