Auch die Feierlichkeiten im „Engels-Jahr“ rund um den 200. Geburtstag von Friedrich Engels in Wuppertal, wo Engels am 28. November 1820 geboren wurde, waren natürlich von der Covid-19-Pandemie betroffen. Bereits im Sommer erschien jedoch ein Comic, der mehr ist als eine schlichte Biographie des Jubilars.
Selbstverständlich kann man auf knapp 150 Seiten kaum die ganze Bandbreite seines Schaffens unterbringen, hat Engels doch u.a. im Bereich der empirischen Sozialforschung (Die Lage der arbeitenden Klasse in England), der Philosophie (Die deutsche Ideologie) und der politischen Ökonomie publiziert und editiert (Das Kapital). Und so gibt es wörtliche Auszüge, großzügig illustriert, vor allem aus dem 1848 gemeinsam mit Karl Marx verfassten Manifest der Kommunistischen Partei, mit Fokus auf die heute noch relevanten Bemerkungen zum Weltmarkt und zu ökonomischen Krisen.
Darüber hinaus wechselt der Band zwischen verschiedenen Perioden des Lebens von Friedrich Engels hin und her und zeigt den Protagonisten auch schon einmal kontrafaktisch in der „falschen“ Zeit, z.B. als Fotograf nach dem berüchtigten Fabrikbrand in Bangladesch und als Kunde im Café, der nach Fair Trade Kaffee fragt. Also sozusagen als Chronist der „Lage der arbeitenden Klasse“ in der von ihm vorausgesehenen Globalisierung. Dies ist leider teilweise etwas unbeholfen gezeichnet. Nicht alle Perspektiven gelingen, und die Herausforderung für naturalistisch gezeichnete Comics, die immer gleichen Figuren in unterschiedlichen Positionen zeigen zu müssen, ohne auf Cartoonisierung zurückgreifen zu können, wird auch nicht immer bewältigt. Aber die Zeitsprünge halten die Erzählung spannend und beleuchten Leben und Werk von Engels auf ansprechende Weise.
Es gelingt dem Band, neben einer Biographie von Friedrich Engels und einer andeutungsweisen Diskussion einiger seiner Ideen auch ein Sittengemälde der deutschen bzw. englischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts zu präsentieren: die Rolle von Religion und Autoritarismus in allen Bereichen, das soziale Elend und die ökonomische Not – Engels‘ soziologische Beobachtungen werden hier zu individuellen Geschichten.
Die Rolle von Religion und Autoritarismus in allen Bereichen, das soziale Elend und die ökonomische Not – Engels‘ soziologische Beobachtungen werden hier zu individuellen Geschichten.
Dies ist einerseits in einem Comic erzählerisch notwendig (oder jedenfalls ratsam), andererseits auch angemessen, da individuelle Beobachtungen wohl tatsächlich Basis der Analyse waren, im Rahmen eines „Doppellebens“ zwischen Angestelltenkarriere und der Rolle als „Unruhestifter“. Subversion und die politische Gewalt, die gegen diese Unruhestifter eingesetzt wurde, werden im Band immer wieder angesprochen.
„Widersprüche“ sind dabei das Oberthema, weil der Unternehmersohn, der selbst zum Unternehmer wurde, eben gleichzeitig ein schreibender politischer Aktivist war und bekanntlich den Kommunismus und den Marxismus mitbegründete. Der von Engels geförderte Karl Marx spielt im Comic erstaunlicherweise nur eine Nebenrolle, ist aber natürlich als (Mit-)Autor präsent.
Die Vignetten aus verschiedenen Lebensphasen, die an verschiedenen Orten spielen, sind so angeordnet, dass man immer wieder neue Facetten von Engels kennenlernt, die manche Widersprüche am Ende allerdings nur andeuten. Insbesondere gibt es jenseits einer Anekdote keine Antwort auf die Frage, wie Engels denn als Unternehmer und vor allem Arbeitgeber so war. Man erkennt einen noch von ökologischen Bedenken ungebrochenen Fortschrittsglauben, der ja auch die Sozialdemokratie geprägt hat. Aber war Engels selbst ein Ausbeuter? Oder profitierte er vom Ausbeutertum seiner Familie?
Insbesondere gibt es jenseits einer Anekdote keine Antwort auf die Frage, wie Engels denn als Unternehmer und vor allem Arbeitgeber so war.
Hier sind wichtige Fragen für sozialdemokratische Wirtschaftspolitik im Kontext von wettbewerbsorientierten Marktwirtschaften angesprochen: Wie sieht gutes Unternehmertum aus? Reicht es, die jeweils gültigen Gesetze zu befolgen? Im Zusammenhang mit der Diskussion um das Lieferkettengesetz wird deutlich, dass ein positivistischer Blick auf geltendes Arbeitsrecht nicht ausreicht, wenn die unternehmerischen Aktivitäten territorial und organisatorisch entgrenzt werden können und dadurch unterschiedliche Rechtsräume und sogar rechtlose Räume entstehen. Das Recht im Manchester-Kapitalismus war keines.
Erstaunlicherweise kommen Gewerkschaften im Comic nicht vor, dabei sind sie der offensichtliche soziale Akteur, der die territorialen und organisatorischen Lücken zwischen unterschiedlichen Rechtsräumen schließen kann – auch in globalisierten Lieferketten. Wie in der Handelspolitik so muss es auch in der „due diligence“-Debatte zentral darum gehen, die Beschäftigten in die Lage zu versetzen, selbst für die Verbesserung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen zu streiten. Ohne die Akzeptanz von Gewerkschaften und sozialem Dialog in allen Unternehmen und an allen Orten kann auch ein in Deutschland verabschiedetes Lieferkettengesetz wenig bewirken.
Eine Anekdote, ein Gespräch des „General“ genannten Engels mit „Leo“ Bernstein, kurz vor seinem Tod, deutet eine merkwürdige Faszination für die Finanzmärkte an, die später (und bis heute?) auch einen Teil der deutschen Sozialdemokratie erfasste, trotz der Debatte um „Finanzialisierung“. Die Börse gaukelt so manchem vor, dass man mit dem dort gewonnenen „money for nothing“ alles Mögliche finanzieren könne, ohne sich noch industriell die Hände schmutzig machen oder in den unbequemen politischen Kampf um angemessene Besteuerung (und Regulierung) eintreten zu müssen. Bei der Idee, die Börse als Treiber des Fortschritts zu nutzen, machte auch Engels ohne Gewissensnöte mit. Dazu passen Episoden, die eine fast großbürgerliche Lebensweise zeigen. Widersprüche eben!