Für den Begriff der weaponisation of everything gibt es im Deutschen keine hundertprozentig passende Übersetzung. Er ist aber hinreichend selbsterklärend: Es geht um die Ausweitung der Kampfzone weit über die militärischen Instrumente der Kriegsführung hinaus. Wenn Mark Galeotti sein neues Buch also mit Weaponisation of Everything überschreibt und es im Untertitel als Bestimmungsbuch (field guide) für die neue Art der Kriegsführung bezeichnet, ist sofort klar, dass klassisch militärische Kriegsführung hier nur noch eine Nebenrolle spielt.

Den Grund erläutert er gleich im ersten Teil seines Buches. Es sei bemerkenswert, wie wichtig es für Staaten mittlerweile sei, eine direkte militärische Konfrontation oder Eskalation zu vermeiden, auch wenn sie sich sichtbar „kriegerisch“ gebaren. Die finanziellen und politischen Kosten militärisch ausgetragener zwischenstaatlicher Kriege würden selbst autoritärere Staaten zunehmend nervös machen.

Wer angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine das Buch – welches vor dem Angriff erschienen ist – nun als vermeintlich von der Realität überholt von der Leseliste streichen will, macht einen Fehler. Tatsächlich ist das Argument Galeottis nämlich nicht, dass es solche Kriege überhaupt nicht mehr geben werde, sondern dass sie seltener würden.

Die finanziellen und politischen Kosten militärisch ausgetragener zwischenstaatlicher Kriege machen selbst autoritärere Staaten zunehmend nervös.

Ob diese Hypothese zutrifft, werden zwar erst künftige Historiker beurteilen können, sie bleibt aber weiterhin plausibel: Denn der Krieg gegen die Ukraine illustriert einerseits auf brutalste Weise die massiven Kosten – militärisch, politisch, diplomatisch und gesellschaftlich – eines konventionellen Krieges für alle Beteiligten. Andererseits zeigt er in aller Deutlichkeit, dass es selbst mit vermeintlich klarer militärischer Übermacht alles andere als ausgemacht ist, ob man die eigenen politischen Ziele durch einen Angriffskrieg auch nur annähernd erreichen kann.

Im zweiten und dritten Teil des Buches stimmt Galeotti mit seinem Hauptthema in eine bekannte Melodie ein: Bereiche mit ausgeprägten internationalen Verknüpfungen würden zu den neuen Schlachtfeldern von „Kriegen ohne Kriegsführung“. Das Argument hinter diesem Oxymoron ist bekannt: Es geht in die gleiche Richtung wie der Tenor des ebenfalls jüngst erschienenen Buches von Mark Leonard The Age of Unpeace. How connectivity causes conflict und des Power Atlas: Sieben Schlachtfelder der vernetzten Welt des European Council on Foreign Relations.

Alle drei machen vollkommen zu Recht darauf aufmerksam, dass wir die Instrumentalisierung der wechselseitigen Abhängigkeiten einer vernetzten Welt jenseits des klassisch Militärischen sehr ernst nehmen müssen. Ob es dabei aber hilfreich ist, durch die von allen dreien gewählte „Kriegsbrille“ auf das Problem zu schauen, erscheint indes zweifelhaft. Denn diese nicht-militärischen Instrumente werden ja oftmals gerade deshalb gewählt, weil man einen „echten“ Krieg eben nicht führen will.

Bereiche mit ausgeprägten internationalen Verknüpfungen werden zu den neuen Schlachtfeldern von „Kriegen ohne Kriegsführung“.

Und tatsächlich findet sich auch bei Galeotti durchaus eine gewisse Skepsis mit Blick auf diese Terminologie. So arbeitet er sich gleich zu Beginn seines Buches an einer Vielzahl neuerer Begrifflichkeiten ab – vom „hybriden Krieg“ über „Kriege in der Grauzone“ bis hin zur „nicht-linearen Kriegsführung“ –, die er aber letztlich allesamt als wenig hilfreich sieht. Bleibt also die Frage, warum man überhaupt all die von Galeotti lebendig skizzierten Formen der Ausübung von nicht-militärischem Druck und Einflussnahme a priori unter dem Begriff des „Krieges“ und der „Waffen“ fassen sollte. Wenn nicht-militärische Mittel ergänzend in einem militärisch ausgetragenen Konflikt zum Einsatz kommen, bleibt es trotz allem ein Krieg. Und selbst da, wo ausschließlich nicht-militärische Mittel den gleichen Effekt wie ein bewaffneter Angriff haben, ist es nachvollziehbar, wenn zur Kriegsterminologie gegriffen wird, beispielsweise im Fall der Anschläge vom 11. September. Aber von einem Krieg zu sprechen, wo gar keine physische Gewalt ausgeübt wird, erscheint wenig zielführend. Galeotti hält fest, dass er lieber ins Fadenkreuz von „beunruhigenden Memes“ geraten würde als in das von nuklear bestückten Raketen.

Für die sich aktuell entwickelnde Diskussion über eine deutsche nationale Sicherheitsstrategie seien drei besonders bedenkenswerte Aspekte des Buches herausgegriffen:

Korruption und Kriminalität kommen vielfach zum Einsatz, um auf Staaten Einfluss zu nehmen. Darauf muss kluge Sicherheitspolitik reagieren, fordert Galeotti. Im Falle der Terrorfinanzierung habe man beispielsweise sehr leistungsfähige Instrumente zur Geldwäschebekämpfung entwickelt. Diese habe man dann jedoch nur auf diesen speziellen Teilbereich der Geldwäsche angewandt.

Auch wenn es noch so einfach sei, Gerichte und Juristen geringzuschätzen, sollte man die Rolle dieser „borelords“ nicht kleinreden.

Galeotti zeichnet zudem ein sehr ambivalentes Bild des internationalen Rechts. Sein Ausgangspunkt ist zunächst dessen Instrumentalisierung: von Verleumdungsklagen, um missliebige Kritik im In- und Ausland zu unterdrücken, über Interpol Red Notices, um Oppositionelle zu verfolgen, bis hin zu fadenscheinigen völkerrechtlichen Begründungen für offensichtlich völkerrechtswidriges Verhalten. Gerade im Falle der Letzteren komme aber wiederum zum Ausdruck, dass das Recht selbst für extrem revisionistische Akteure eine Rolle spiele. Gerade weil das internationale Recht umstritten ist und alle Staaten versuchen, es zu ihren Zwecken zu nutzen, sollte diesem Bereich mehr Aufmerksamkeit zukommen. Oder in Galeottis Worten: Auch wenn es noch so einfach sei, Gerichte und Juristen geringzuschätzen, sollte man die Rolle dieser borelords (auf Deutsch etwa „Langweilerfürsten“ als Anspielung auf die warlords) nicht kleinreden. Ihr Beitrag sei essentiell, wenn es darum gehe „die Exzesse von Gangstern, Kleptokraten, Tyrannen und Terroristen einzudämmen“.

Schließlich weist er völlig zu Recht darauf hin, dass sich Staaten angesichts immer neuer militärischer Innovationen vor schwierigen Fragen mit Blick auf die Verteilung ihrer begrenzten Haushaltsmittel sehen. Der Notwendigkeit einer flexiblen und einfallsreichen Sicherheitspolitik stehen Beharrungskräfte in Ressorts, Behörden und Teilstreitkräften gegenüber, die ihre Budgets verteidigen und ausbauen wollen. Aber gerade „größere Länder, die versuchten alle Bereiche abzudecken, könnten sehr bald feststellen, dass es keinen großen Unterschied macht, ob sie den modernsten Kampfjet oder überragende Soft Power haben, wenn die Infrastruktur anfällig für Hacker und die politische Elite anfällig für Bestechung und äußere Einflussnahme ist“.

Angesichts der gegenwärtigen Diskussionen um Zeitenwende, Sondervermögen und nationale Sicherheitsstrategie muss die nächste Spending Review eine strategische werden.

Um hier zu klugen Priorisierungen zu kommen, verweist Galeotti am Ende seines Buches auf das positive Beispiel der integrierten Überprüfung von Sicherheits-, Verteidigungs-, Entwicklungs- und Außenpolitik in Großbritannien. Und damit wäre man dann auch wieder bei der anvisierten nationalen Sicherheitsstrategie für Deutschland. Tatsächlich macht es jedoch viel Sinn, an dieser Stelle einen entscheidenden Schritt weiter als Galeotti zu gehen und es nicht bei der Entwicklung einer wohlklingenden Strategie zu belassen. Denn wenn sich die strategischen Prioritäten nicht im Gesamthaushalt spiegeln, kann die Strategie ihre Wirkung nicht entfalten. Auch hier lohnt wieder der Blick nach Großbritannien: Die aktuelle Spending Review ermöglicht genau solch einen Abgleich zwischen Strategie und Haushaltsplanung. Malcolm Chalmers vom Royal United Services Institute (RUSI) zeigt, wie man ein solches Dokument gewinnbringend sicherheitspolitisch lesen kann.

Das Instrument der Spending Reviews, also themenbezogener Haushaltsanalysen, ist auch in Deutschland nicht unbekannt. Offensichtlich wurde es bisher jedoch in weitaus bescheidenerem Umfang eingesetzt. Das sollte sich ändern. Und die Gelegenheit ist günstig: Am 22. Juni soll mit dem Kabinettsbeschluss zum Bundeshaushalt 2023 das Thema des nächsten Spending Review-Zyklus festgelegt werden. Angesichts der gegenwärtigen Diskussionen um Zeitenwende, Sondervermögen und nationale Sicherheitsstrategie muss die nächste Spending Review eine strategische werden.