Die Fragen stellte Lennart Oestergaard.

Welche Folgen hat die Covid-19-Pandemie für die Länder Afrikas?

Die Krise in Europa, den Schwellenländern, China und den USA drückt das Wachstum der Weltwirtschaft. Ärmere Länder sind häufig abhängig vom Rohstoffexport, auch in Afrika. Da die Nachfrage gesunken ist, gehen Afrikas Exporterlöse deutlich zurück. Zahlreiche Länder sind in Schuldenkrisen geraten, die Steuereinnahmen sinken, die Investitionen aus dem Ausland nehmen ab und die Rücküberweisungen von Migranten reduzieren sich. Die Folge all dieser Entwicklungen ist der Verlust zahlreicher Arbeitsplätze – Millionen Menschen geraten erneut in die Armut. Alle Erfolge der letzten Jahre bei der Armutsbekämpfung könnten zunichte gemacht werden.

Die EU möchte ihre Beziehungen mit Afrika verbessern und hat daher im März eine neue Afrikastrategie auf den Weg gebracht. Für Oktober ist ein großer Gipfel mit der Afrikanischen Union geplant. Was hat die EU konkret im Angebot?

Für die politische Führung der EU gilt 2020 als „entscheidendes Jahr“ der europäisch-afrikanischen Beziehungen. Der Aufschlag für eine neue Afrika-Strategie der EU wurde im März 2020 veröffentlicht. Er enthält Stichworte für Frieden und Sicherheit, ein grünes Wachstumsmodell, zur Verbesserung des Unternehmensumfelds und des Investitionsklimas, zur Förderung von Bildung, Forschung und Innovation, Ideen für die Schaffung menschenwürdiger Arbeitsplätze und Wertschöpfung durch nachhaltige Investitionen sowie Hinweise zur Bekämpfung des Klimawandels. Noch ist diese Strategie nur ein Bündel von Ideen.

Die afrikanisch-chinesische Kooperation hat sich deutlich vertieft, und damit haben sich auch die Spielräume der afrikanischen Länder erweitert, sich von der allzu großen postkolonialen Abhängigkeit von Europa zu befreien.

Die EU sollte ihre Kooperation mit Afrika grundlegend reformieren, um die historisch gewachsene Abhängigkeit zu verringern und die asymmetrischen Machtverhältnisse zu korrigieren. Das wäre auch im europäischen Interesse. Gelingt dies, würde sich das europäische Engagement klar vom geostrategischen Handeln der USA und Chinas unterscheiden. Allerdings muss man sich dazu der Themen annehmen, die seit langem überfällig sind, wie einer Reform des Agrarhandels. Die europäischen Bauern und Nahrungsmittelkonzerne sind in jeder Hinsicht durch hohe Subventionen bevorteilt. Subventionierte Billigexporte von Nahrungsmitteln zerstören die Existenz von Afrikas Bauern. Hier braucht es endlich eine Lösung.

Wie ist das Engagement anderer Akteure, beispielsweise Chinas, in Afrika zu bewerten? Steht die EU mit ihnen in Konkurrenz?

Im Unterschied zu Europa hat China „Zehn Große Kooperationspläne“ mit Afrika verabredet: Industrialisierung, Modernisierung der Landwirtschaft, Infrastrukturentwicklung, finanzielle Kooperation, Grüne Entwicklung, Unterstützung von Handel und Investitionen, Armutsbekämpfung, öffentliche Gesundheit, kultureller und personeller Austausch sowie eine Zusammenarbeit für Frieden und Sicherheit.

China wie auch Indien haben es sehr gut verstanden, sich als globale Netzwerker aufzustellen. Die afrikanisch-chinesische Kooperation hat sich deutlich vertieft, und damit haben sich auch die Spielräume der afrikanischen Länder erweitert, sich von der allzu großen postkolonialen Abhängigkeit von Europa zu befreien. Dennoch ist Vorsicht geboten mit einer allzu optimistischen Bewertung Chinas. Gerade die hohen Infrastrukturinvestitionen und die Struktur der Investitionen wie des Außenhandels verdeutlichen, dass es sich nicht um ein neues Kooperationsmodell mit Afrika handelt. Zwischen 2000 und 2017 vergab China 130 Milliarden Euro an Darlehen zum Ausbau der Infrastruktur. Heute entfallen 20 Prozent aller Schulden Afrikas auf China. Die einseitige Ausrichtung auf Rohstoffexporte, Rohstoffinvestitionen und die eher geringe Verbindung zur lokalen Industrie stehen dem afrikanischen Transformationsprozess entgegen.

Die entscheidenden Veränderungen aber müssen sich innerhalb Afrikas vollziehen. Denn Auslandsdirektinvestitionen leisten kaum Beiträge zur Verringerung von Armut und Arbeitslosigkeit.

Auch China wird umdenken müssen. Die Strategie, die Infrastruktur auszubauen, Rohstoffe auszubeuten und dadurch Wachstum ohne Jobs zu generieren, erweist sich als Sackgasse. Solch ein Agieren verstärkt die bereits bestehenden Asymmetrien. Das chinesische Modell stößt an seine Grenzen. Es ist kein wirkliches Kooperationsmodell, sondern ein Modell der abhängigen Entwicklung und führt zur Verschärfung der Lage auf dem Kontinent. Europa sollte von diesem geo-strategischen Modell ebenso Abschied nehmen wie China und durch sein Engagement – sei es durch Handel, Investitionen, technologische Kooperation – Beiträge zu einer von innen getragenen afrikanischen Entwicklung leisten, die zu Wohlstand, sinkender Armut und mehr Jobs führt.

Wie sieht es mit Europa aus – was läuft falsch in der wirtschaftlichen Kooperation zwischen Europa und Afrika?

Europa ist der wichtigste Partner Afrikas. Seit dem Jahr 2000 etwa wandelt sich die Form der Kooperation. Die Gründe sind vielfältig. China wurde beispielsweise zu einem Hauptwettbewerber für die EU im Handel und bei Investitionen. Viele afrikanische Länder verzeichnen zudem seit etwa 15 Jahren ein relativ hohes Wirtschaftswachstum. Drittens nahm die Migration nach Europa zu. Und schließlich zeigen afrikanische Initiativen wie die im Jahr 2019 beschlossene Afrikanische Kontinentale Freihandelszone, dass die afrikanischen Staaten zunehmend strategisch agieren und ihre Kooperationsmöglichkeiten ausloten.

Heute stehen die europäisch-afrikanischen Beziehungen vor gravierenden Herausforderungen. Die politische Führung der EU sollte erkennen, dass ein Weiter-so den gegenwärtigen Herausforderungen nicht mehr angemessen ist. Die afrikanischen Interessen unterscheiden sich fundamental von denen der EU. Sie durch Hilfsansätze à la „Afrika hat Probleme – wir haben die Lösungen“ zu überkleistern, ist realitätsfremder denn je. Stattdessen sollte die europäische Seite die Agrarpolitik, Investitionen, Umwelt, die technologische Kooperation und Bildung in den Blick nehmen.

Sie haben Investitionen angesprochen. Dieses Thema wird immer wieder auf EU-Ebene, aber auch von der Bundesregierung betont. Wie wichtig sind die vielfach als Allheilmittel beschworenen Direktinvestitionen aus Europa für die Schaffung von Wachstum und Arbeitsplätzen in Afrika?

Die EU-Investitionen sind in den letzten Jahren noch gestiegen, der Abstand zu China und den USA hat sich vergrößert. Die entscheidenden Veränderungen aber müssen sich innerhalb Afrikas vollziehen. Denn Auslandsdirektinvestitionen leisten kaum Beiträge zur Verringerung von Armut und Arbeitslosigkeit. Beispielsweise sind durch alle externen Investitionen in Afrika in den letzten zehn Jahren durchschnittlich nur 100 000 neue Arbeitsplätze pro Jahr entstanden. Benötigt werden aber 20 Millionen Arbeitsplätze pro Jahr. Diese müssten größtenteils von lokalen Unternehmen und Landwirten geschaffen werden. Europäische Maßnahmen können natürlich dabei helfen, ebenso beschäftigungsintensive Investitionen. Das bedeutet aber auch, dass Auslandsdirektinvestitionen mit lokalen Unternehmen in Industrieclustern und Sonderwirtschaftszonen verknüpft werden müssten.

Die bisherige Ausbeutung billiger Arbeitskraft in den vielen Sonderwirtschaftszonen Afrikas darf dagegen nicht fortgesetzt werden. Über Steuererleichterungen und andere Anreize könnten Investoren dazu gebracht werden, gezielt Unterverträge mit Unternehmen in Afrika abzuschließen, um Technologietransfer und Ausbildungsmaßnahmen zu ermöglichen. Ein Programm, an dem auch Forschungseinrichtungen und Universitäten beteiligt sind, könnte dem Wissenstransfer und der Entwicklung von Unternehmen einen Schub geben.

Welche Rolle spielt die Handelspolitik für faire Beziehungen?

Die EU hat mit ihrer Handels- und Kooperationspolitik zu den heutigen asymmetrischen Beziehungen beigetragen und damit auch die Verschuldungskrise befördert, die jetzt erneut eskaliert. Die überfällige Reform der Handelsbeziehungen der Europäischen Union mit Afrika erfordert die Aussetzung der sogenannten Economic Partnership Agreements (EPAs). Durch die von der EU-Kommission verlangte Marktöffnung droht afrikanischen Unternehmen und Kleinbauern durch Importe eine noch weitere Marginalisierung. Die in den EPAs vorgesehene Senkung der Zölle auf EU-Importe auf afrikanischen Märkten wird den Prognosen zufolge die Handelsströme der Region zugunsten europäischer Produzenten beeinflussen. Lokale oder effizientere Lieferanten werden das Nachsehen haben.

Noch hat die Bundesregierung ihre Agenda nicht einmal auf den Tisch gelegt – ein merkwürdiges Vorgehen angesichts der Äußerungen des zuständigen Ministers Müller, dass auf dem Gipfel ein „Jahrhundert-Vertrag“ beschlossen werden müsste. 

Es ist angesichts der Gründung der Afrikanischen Kontinentalen Freihandelszone (AfCFTA) sinnvoll, diese zum Ausgangspunkt für die Verhandlungen mit Europa zu machen. Die AfCFTA bietet eine Grundlage für eine Einigung über die wichtigsten Handels- und Investitionsfragen. Sie wurde von 54 der 55 afrikanischen Länder unterzeichnet und zielt darauf ab, freien Zugang zu Waren, Gütern und Dienstleistungen auf dem gesamten Kontinent zu ermöglichen. Die vorgesehenen Maßnahmen unterstützen die Entwicklung lokaler Fertigung und die Beschaffung von mehr Zwischen- und Endprodukten zwischen den afrikanischen Ländern, indem sie den intrakontinentalen Handel und die regionalen Wertschöpfungsketten vertiefen. Obwohl die EU im Rahmen des Everything but Arms-Beschlusses den Zugang zu den europäischen Märkten erleichtert hat, gibt es noch immer zahlreiche Beschränkungen. Es sollte den afrikanischen Produzenten ermöglicht werden, leichter in die EU zu exportieren. Dafür sollte die EU ihre Zölle auf Importe aus Afrika weiter liberalisieren und allen afrikanischen Ländern zollfreien Zugang zu den EU-Märkten gewähren.

Welche Impulse sollte Deutschland im Rahmen seiner aktuellen EU-Ratspräsidentschaft setzen?

Deutschland hat aufgrund des Vorsitzes der Ratspräsidentschaft eine besonders große Aufgabe, der Kooperation mit Afrika neues Leben einzuhauchen. Man hatte von der Bundesregierung in der Tat neue Impulse erwartet. Es wäre bedauerlich, wenn wegen der Pandemie keine öffentliche Diskussion um die Fortsetzung des Cotonou-Abkommens und keine Beratung der europäischen Vorschläge für den EU-Afrika-Gipfel im Oktober stattfinden würde. Noch hat die Bundesregierung ihre Agenda nicht einmal auf den Tisch gelegt – ein merkwürdiges Vorgehen angesichts der Äußerungen des zuständigen Ministers Müller, dass auf dem Gipfel ein „Jahrhundert-Vertrag“ beschlossen werden müsste. Von einer „Strategischen Partnerschaft“ mit Afrika kann derzeit noch keine Rede sein.