Die Regierungsbildung in Italien ist in letzter Minute gescheitert. Was ist da passiert?
Im Grunde haben sich alle Beteiligten verzockt, ihre Karten zu sehr ausgereizt. Die angehenden Regierungspartner wollten sich um keinen Preis von dem der Partito Democratico nahestehenden Staatspräsidenten Sergio Mattarella – der formal die Minister ernennen muss – den Namen des Wirtschaftsministers diktieren lassen. Und Mattarella wollte auf keinen Fall den vorgeschlagenen Namen akzeptieren. So hundertprozentig nachvollziehbar ist das nicht: Der Kandidat, Paolo Savona, ist ein anerkannter Ökonom und war Generaldirektor des Unternehmerverbandes Confindustria. In der Regierung, die Italien in den Euro geführt hat, war er Industrieminister und hat weder gestohlen noch betrogen. Sein einziges Unrecht ist, dass er die Spielregeln der Eurozone nicht für gott-, sondern eher von Berlin gesandt hält. Das war in der letztendlichen Zuspitzung um diesen einen Namen wohl auch eine Konfrontation der Generationen, der Egos und der politischen Institutionen. Jetzt stehen irgendwie alle Beteiligten mit leeren Händen da: Die Regierungsbildung ist ausgerechnet am Staatspräsidenten gescheitert und Italien schlittert in eine Phase der Unsicherheit und eine weitere Wahlkampagne, die diesmal deutlich polemischer werden wird.
Der italienische Staatspräsident Sergio Mattarella hat seine Entscheidung mit dem Schutz der Bürger vor einem Euro-Austritt begründet. Spricht er damit für eine Mehrheit in Italien?
Schwer zu sagen, ich habe dazu noch keine Umfragen gesehen. Mattarella hat die Ablehnung des Ministers mit der Reaktion der Märkte in den letzten Tagen begründet. Aber die hat vermutlich weniger mit dem Namen eines designierten Ministers zu tun. Hier ging es um die generelle Linie des Regierungsprogramms. Paolo Savona als externer „Techniker“ hat das Regierungsprogramm mit Sicherheit nicht formuliert. Das haben die beiden Parteivorsitzenden Di Maio und Salvini und ihre engsten Mitarbeiter schon selbst gemacht. Der Name des designierten Wirtschaftsministers war bei der Reaktion der Börsen und Währungsmärkte vielleicht ein Zusatzfaktor, aber nicht wirklich zentral. Die italienische Bevölkerung ist nicht per se gegen den Euro, aber sie sieht mehrheitlich im Moment auch nicht, dass ihnen das Wirtschaftsregiment der Eurozone irgendwie nützt. Aus dem Euro austreten will aber eine klare Mehrheit nicht.
Wie geht es jetzt weiter? Wird es Neuwahlen geben, und würden die eine neue politische Gewichtung wahrscheinlich machen?
Im Moment erscheinen Neuwahlen tatsächlich unvermeidlich. Das wird eine hässliche Kampagne werden: Auf der einen Seite der Vorwurf, Berlin, Brüssel und die Finanzhaie würden mit Hilfe ihrer italienischen „Diener“ die Formierung einer Regierung nach Wunsch des italienischen Volkes blockieren. Diese Linie deutet die Kommunikation von Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) in den letzten 48 Stunden schon klar an. Auf der anderen Seite eine italienische Ausgabe der „operation fear“ der Brexit-Kampagne, mit dem Malen der wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen eines erneuten Wahlsiegs der „Populisten“ und „Europafeinde“ in den düstersten Farben. Wie das ausgehen wird, ist schwer zu sagen. Da stoßen zwei starke politische Erzählungen aufeinander: Die der Stabilität, der europäischen Verankerung und des Werts einer stabilen Währung gegen die Erzählung von Volkssouveränität und Nationalstolz. Die Führer von M5S und Lega gehen offenkundig davon aus, dass die zweite Erzählung in der jetzigen Stimmung die stärkere sein wird – sonst hätten sie es auf die Machtprobe mit dem Staatspräsidenten eigentlich nicht ankommen lassen dürfen. Vielleicht haben sie auch entsprechende Umfragen in der Hinterhand: Massimo D’Alema, einer der erfahrensten Fahrensmänner der italienischen Politik, wurde gestern im „Corriere della Sera“ mit der Prognose zitiert, im Falle von Neuwahlen würden M5S und Lega 80 Prozent abräumen. Das ist natürlich völlig übertrieben. Aber es werden mit Sicherheit Wahlen sein, die die politische Landschaft Italiens nachhaltig prägen werden.
Die Fragen stellte Hannes Alpen.