Die Fragen stellte Olga Vasyltsova
Am 7. Februar gewann Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew die vorgezogenen Neuwahlen, die er zwei Monate zuvor anberaumt hatte. Was bewog das alte und neue Staatsoberhaupt zu diesem Schnellschuss?
Was Ilham Alijews eigentliche Motivation war, ist schwer zu sagen. Auffällig finde ich, dass er die vorgezogenen Neuwahlen unmittelbar nach dem Baku-Besuch von James O’Brien anberaumt hat, dem für Europa und Eurasien zuständigen Unterabteilungsleiter im US-Außenministerium. Das Treffen fand zu einer Zeit statt, in der im Westen wegen der jüngsten Operation in Bergkarabach der Unmut gegenüber Aserbaidschan gewachsen ist. Das Land steht zunehmend in der Kritik. Wirtschaftssanktionen sind durchaus im Bereich des Möglichen. Alijew hat die Risiken analysiert und kam zu dem Schluss, nicht bis zum Jahresende zu warten, sondern die Wahlen so bald wie möglich abzuhalten, solange es um seine Legitimierung und Popularität noch gut bestellt ist.
Ilham Alijew ist mittlerweile 20 Jahre an der Macht. Wie hat das Land sich während seiner Regierungszeit verändert?
Wirtschaftlich floriert Aserbaidschan – vor allem dank seiner Öl- und Gasvorkommen. Seit die Petrodollars im großen Stil ins Land fließen, hat sich das Erscheinungsbild des Landes gewandelt. Viele sagen, Baku sehe inzwischen aus wie eine billige Ausgabe von Dubai. Konsumorientierung ist zum bestimmenden Merkmal der Gesellschaft geworden, begleitet von einer verstärkten Entpolitisierung und dem Vormarsch eines unbedarften Nationalismus. Es gibt mehr Möglichkeiten, mehr Waren und Importe, aber dass die Menschen im Land besser leben als früher, würde ich nicht sagen.
Was Demokratie und Menschenrechte angeht, ist die Lage in Aserbaidschan inzwischen katastrophal.
Was Demokratie und Menschenrechte angeht, hat die Lage in Aserbaidschan sich im Laufe der vergangenen 20 Jahre massiv verschlechtert und ist inzwischen katastrophal. Unter Alijew sind politisch motivierte Verhaftungen an der Tagesordnung, die Zahl der politischen Häftlinge beträgt konstant über 100. Die Oppositionsparteien wurden komplett demotiviert und zunichtegemacht. Viele Vertreter der Zivilgesellschaft, Journalisten und Aktivisten haben dem Land den Rücken gekehrt – besonders nach der Zerschlagung der Zivilgesellschaft in den Jahren 2013 und 2014. Damals wurden deren führende Vertreter inhaftiert, darunter auch Aktivisten aus Jugendorganisationen. In dieser Hinsicht ist die Situation ausgesprochen schlecht.
Wie haben Sie den Wahlkampf erlebt?
Es gab nichts, was den Namen Wahlkampf verdient hätte. Ich halte mich gerade in Baku auf und habe keinerlei Wahlkampfaktivitäten feststellen können. Vereinzelt gab es Gesprächsforen mit Kandidaten, aber wir haben beobachtet, dass die Leute zu diesen Veranstaltungen gekarrt wurden und gar nicht wussten, wer dort eigentlich auftritt. Beim Auftritt eines Kandidaten namens Rasi Nurullajew wurden die Teilnehmenden von Journalisten gefragt, warum sie zu der Veranstaltung gekommen seien, und konnten die Frage nicht beantworten. Das waren reine Showveranstaltungen. Jeder weiß, dass Alijews politische Gegner keinerlei Machtambitionen haben, keine Fragen stellen, die seine Legitimität unterminieren würden, und ihn als Person nicht kritisieren. Die Debatten, die im Fernsehen gezeigt werden, sind eine Farce.
Wie ist die Stimmungslage in der Bevölkerung?
Die Menschen akzeptieren Alijews Macht als etwas Unabänderliches, und die Opposition hat weder Ressourcen noch Möglichkeiten, um mit Alternativen aufzuwarten. Sie beschränkt sich darauf, die Wahlen zu boykottieren, und verweigert sich jeder Art von politischem Wettbewerb. Das halte ich zwar für falsch, aber Alijews Konkurrenten wissen um seine hohe Popularität. Seine Macht wird passiv hingenommen und als etwas Selbstverständliches empfunden.
Wie beurteilen Sie Ablauf und Ergebnis der Wahl?
Die meisten Menschen blieben apathisch, wobei die Wahlbeteiligung nicht gering ausfiel – über 60 Prozent. Zahlreiche Regelverstöße wurden festgestellt. Es gab Wählerinnen und Wähler, die in mehreren Wahllokalen eine Stimme abgegeben haben, und auch Aggressionen gegen unabhängige Wahlbeobachter. Niemand bezweifelt, dass Alijew auch ohne solche Handgreiflichkeiten gewonnen hätte, aber für ihn ist wichtig, dass er auf eine Rekordwahlbeteiligung verweisen kann. Nach vorläufigen Angaben der Zentralen Wahlkommission holte er mehr als 92 Prozent der Stimmen.
In letzter Zeit wächst der Druck auf oppositionelle Politiker und Journalisten. Was sind die Gründe?
Derzeit sitzen viele Journalisten und Politiker in Haft. Ich sehe einen Zusammenhang mit dem zunehmend angespannten Verhältnis zum Westen. Es wurden Personen verhaftet, die mit westlichen „Geldgebern“ zusammenarbeiten, die den staatlichen Autoritäten wirklich Steine in den Weg hätten legen können. Und wenn Wirtschaftssanktionen drohen, räumen die Behörden alle Hindernisse beiseite.
Der Westen braucht ein demokratisches Aserbaidschan, aber Alijew hat offenbar anderes im Sinn. Wie werden die Beziehungen zur EU und zu den USA sich entwickeln?
Ich rechne damit, dass Alijew noch weiter vom Westen abrücken wird. Nachdem Aserbaidschan von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) kritisiert wurde und ihm der dauerhafte Ausschluss drohte, hat Aserbaidschan dieses Gremium verlassen. Es kann sein, dass Aserbaidschan – so wie Russland nach dem Einmarsch in die Ukraine – aus dem Europarat austritt.
Ich rechne damit, dass Alijew noch weiter vom Westen abrücken wird.
Ich gehe davon aus, dass Baku seine „ausgewogene Außenpolitik“ auf Eis legen wird. Das heißt: Es wird sich vor allem mit der Türkei, Israel und Großbritannien verbünden und enger mit Putins Russland zusammenarbeiten. In diesem Kontext sind auch die „neuen Schwerpunkte der nationalen Ideologie“ zu sehen, die Alijew neulich verkündet hat. Damit begibt Aserbaidschan sich auf einen abschüssigen Pfad.
Besteht Aussicht auf die Unterzeichnung eines Friedensabkommens mit Armenien? Oder ist mit weiteren Angriffen zu rechnen?
Einen Friedensvertrag wird es erst geben, wenn Armenien sich mit allen von Aserbaidschan gestellten Bedingungen einverstanden erklärt. Ob aktuell Kriegsgefahr besteht, kann ich schwer einschätzen. Der Tenor in den aserbaidschanischen Medien lautet: Frankreich liefert Waffen an Armenien und wird Provokationen vorbereiten. Der Diskurs ist ziemlich aggressiv und sorgt in der Bevölkerung für Beunruhigung, aber es wird nicht mit Angriffen in nächster Zukunft gedroht. Ich denke, Aserbaidschan will den Druck auf Jerewan aufrechterhalten, damit Аrmenien seine Gebietsansprüche aufgibt und seine Verfassung entsprechend ändert. Doch auch die Frage des Sangesur-Korridors bleibt natürlich aktuell.
Im November wird Aserbaidschan den UN-Klimagipfel ausrichten. Wie laufen die Vorbereitungen?
Um den Klimaschutz war es in Aserbaidschan noch nie gut bestellt, weil das Land wirtschaftlich vollkommen von Öl und Gas abhängig ist. Inzwischen gibt es ein paar Maßnahmen, um die Erzeugung erneuerbarer Energien voranzubringen, aber die wirken eher wie eine PR-Aktion im Vorfeld des Gipfeltreffens. Was die organisatorische Seite anbelangt, wird in westlichen Medien die ungleiche Geschlechterverteilung im Organisationskomitee kritisiert.
Aus dem Russischen von Andreas Bredenfeld