Der designierte US-Präsident Donald Trump hat ein umfassendes Bauprogramm für Schulen, Straßen und Krankenhäuser angekündigt. Wie soll das gehen, wenn er gleichzeitig die Staatsausgaben zurückfahren will?

Man kann Trumps Wahlkampfaussagen nicht als zusammenhängendes Regierungsprogramm betrachten. Sie passen nicht zusammen. Er sagte, er werde die Infrastrukturausgaben erhöhen, die Mehrwertsteuer senken, Steuern senken und das Haushaltsdefizit senken. Offenbar begreift er nicht, dass wir in den letzten 25 Jahren in der staatlichen Bürokratie stark abgebaut haben – also diese vielgescholtenen grauen Beamten. Wir sind ziemlich effizient geworden.

Im letzten Präsidentschaftswahlkampf handelte sich Mitt Romney mit seiner Kritik an den Staatsbediensteten große Schwierigkeiten ein. Es zeigte sich, dass die Menschen ihre Feuerwehrleute mögen, ihre Polizisten, das Militär, die soziale Sicherung, Medicare. Und wenn man über Lehrer redet und alles, was die Menschen schätzen, dann ist das ja der Staat.

Es ist einfach nicht mehr genügend Fett übrig, das man abschmelzen könnte. Und Tatsache ist, dass Trump seine Versprechen brechen wird. Welche? Das wissen wir nicht. Aber wir wissen, dass er unmöglich alle halten kann.

Trump hat angekündigt, die Unternehmenssteuern in den USA deutlich zu senken. Welche Folgen hätte das?

Das ist Teil einer größeren Steuerreform. Mit dieser „Reform“, für die sich Trump ausgesprochen hat, würden die Steuern für die Reichen gesenkt und damit natürlich die Ungleichheit vergrößert. In den Vereinigten Staaten herrscht ja die perverse Situation, dass der durchschnittliche Steuersatz im oberen Einkommensbereich niedriger ist als weiter unten. Die USA haben somit die zweifelhafte Ehre, eines der wenigen Länder zu sein, die kein progressives, auch kein proportionales, sondern ein regressives Steuersystem haben. Moralisch betrachtet ist das unfair. Und es wird noch schlimmer, wenn seine Vorschläge zur Abschaffung der Erbschaftssteuer durchgehen.

Amerika ist auf dem Weg in eine Erb-Plutokratie, genau das Gegenteil des amerikanischen Traumes.

Amerika ist auf dem Weg in eine Erb-Plutokratie, genau das Gegenteil des amerikanischen Traumes, nach dem jede und jeder unten anfangen und mit der eigenen Hände Arbeit aufsteigen kann. Wir wussten alle, dass diese Vorstellung etwas übertrieben war. Aber diese Steuerreform würde bedeuten, dass wir den Traum begraben haben.

Treibt die hohe Unternehmenssteuer multinationale Konzerne wie Apple nicht dazu, ihren Hauptsitz aus den USA ins Ausland zu verlagern, wo es billiger ist?

Nein. Zunächst einmal zahlen amerikanische Unternehmen, wenn man die Bemessungsgrundlage, die Steuernachlässe und die Schlupflöcher betrachtet, keine höheren Steuern als in anderen Ländern. Es stimmt auch nicht, dass die Senkung der Unternehmenssteuersätze Investitionen ankurbelt. Ich glaube aber schon, dass es vorteilhaft wäre, wenn man das Steuersystem vereinfachen würde und jedes Unternehmen den offiziellen Satz zahlen müsste, seien es 25 Prozent, 20 Prozent oder 15 Prozent.

Aber im Grunde ist das Problem ein globales, kein nationales. In der Welt herrscht ein vernichtender Steuerwettbewerb. Ein Land versucht, dem anderen mit einem etwas niedrigeren Steuersatz die Arbeitsplätze abzujagen. Das ist eine Abwärtsspirale. Irland ist da ein Beispiel. Erstens hat Irland einen Steuersatz von 12,5 Prozent, während er in vielen Teilen Europas deutlich höher ist. Da muss es eine Harmonisierung geben. Aber zweitens hat Irland auch noch sein eigenes Steuersystem ausgetrickst. Und Apple erhielt einen speziellen Vorzugssteuersatz von 0 Prozent.

In der Welt herrscht ein vernichtender Steuerwettbewerb.

Wenn man das jedem Unternehmen zugestanden hätte, dann wäre das europäische Steuersystem im Chaos versunken. Jedes amerikanische Unternehmen, wahrscheinlich jeder multinationale Konzern hätte gesagt, na gut, warum behalten wir nicht die Steuern, die wir zahlen, und ziehen nach Irland? Wir geben einfach an, dass unser Geld aus Irland kommt, aus so einer Cyberspace-Firma, und dann zahlen wir keine Steuern mehr. Voilà. Und wir können sogar noch behaupten, anständige Bürger zu sein. Ich habe immer gesagt, die unternehmerische Verantwortung fängt damit an, dass man seine Steuern zahlt.

Die Europäische Kommission wusste nicht einmal, dass Irland dieses Geheimabkommen unterzeichnet hat. Sie hat es erst erfahren, als die US-Regierung tätig wurde. Deshalb sind wir auch so entschieden gegen Geheimniskrämerei.

Einige Beobachter machen die Ungleichheit für Donald Trumps Wahlsieg verantwortlich. Ein großer Teil der US-Bevölkerung fühle sich von der Globalisierung abgehängt. Stimmen Sie dem zu?

Trump wurde unter anderem gewählt, weil sehr viele Amerikaner einen Wechsel wollten. Ein, und nur ein Grund dafür ist, dass viele Menschen abgehängt wurden. Das Durchschnittseinkommen der unteren 90 Prozent der Amerikaner hat sich in den letzten 30 Jahren kaum verändert. Und eine Volkswirtschaft, die einer Mehrheit der Bürger nichts bringt, hat versagt. Die US-Wirtschaft hat versagt. Hillary Clinton stand für die Vergangenheit und für ein „Weiter so“. Trump war die Stimme des Wandels.

Seine Diagnosen zu den Fehlentwicklungen in der Wirtschaft waren natürlich völlig unhaltbar. Es wurden schlechte Handelsabkommen abgeschlossen, aber das ist nur ein Teil des Problems. Und es lag nicht daran, dass die Unterhändler schlecht verhandelt hätten. Es lag daran, dass unsere Unterhändler meistens genau das bekommen haben, was sie wollten. Sie vertraten nämlich die Unternehmensinteressen, und die Unternehmensinteressen siegten über die Interessen der Beschäftigten.

Trumps Diagnosen zu den Fehlentwicklungen in der Wirtschaft waren natürlich völlig unhaltbar.

Man hat das bei der Transpazifischen Partnerschaft (TPP) und bei der Transatlantischen Handels- und Investionspartnerschaft (TTIP) gesehen, wo die Unternehmensinteressen auf dem Tisch lagen, die der einfachen Bürgerinnen und Bürger aber nicht. Es waren amerikanische Pharmakonzerne, die hohe Arzneimittelpreise durchsetzen wollten, die den Amerikaner solche Sorgen machen. Es waren amerikanische Unternehmen, die Investitionsschutzvereinbarungen wollten, die Regulierung im Klimaschutz und Umweltfragen aller Art einschränken.

War es also die Bedrohung durch den internationalen Wettbewerb, die Trumps Anhängern Angst machte?

Die Globalisierung ist nur ein Teil des Problems. Wir haben große technische Entwicklungen erlebt, und die Anpassung daran ist nicht einfach. Ich komme aus Gary, Indiana, einer großen Stahlstadt. Wir produzieren genauso viel Stahl wie in der Hochphase, aber eben nur mit einem Sechstel der Arbeiter.

Es waren die Republikaner, die immer dagegen waren, den abgehängten Arbeitern unter die Arme zu greifen.

Und der Haken ist: Es waren die Republikaner, die den Arbeitern nicht bei der Anpassung helfen wollten. Die Demokraten haben immer für Anpassungshilfen plädiert und Maßnahmen vorgeschlagen, die den Leuten helfen sollten, mit den veränderten wirtschaftlichen Bedingungen zurechtzukommen. Es waren die Republikaner, die immer dagegen waren, den abgehängten Arbeitern unter die Arme zu greifen. In den letzten Jahren wäre es eine der wichtigsten Aufgaben gewesen, die Konjunktur anzuschieben. Wir brauchten mehr Infrastruktur und mehr Ausgaben für Forschung und Entwicklung.

Man könnte also sagen, zu den positiven Maßnahmen, die möglicherweise unter einer Regierung Trump durchgeführt werden, gehört ein sehr schlecht konstruiertes Konjunkturpaket. Selbst ein schlechtes Konjunkturpaket wird Arbeitsplätze schaffen und einige der Abgehängten kurzfristig auffangen. Aber natürlich wird es sie nicht fit machen für die Wirtschaft des 21. Jahrhunderts.

Aber Privatuniversitäten wie die Trump University werden sich leichter tun, sich durch die Ausbeutung armer Amerikaner zu bereichern. Sie zwingen mit hohen Gebühren die Menschen dazu, sich hoch zu verschulden, und dann bringen sie ihnen nicht einmal etwas bei. Wir müssen also davon ausgehen, dass unter einer Regierung Trump genau die Gruppe, die ihn gewählt hat, stärker ausgebeutet wird.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und andere sagen, wenn wir nicht hart mit den Briten verhandeln, werden auch andere Länder die EU verlassen. Das ist der absolut falsche Standpunkt.

Europa steht vor der schweren Entscheidung, wie es nach dem Brexit mit Großbritannien und dem Binnenmarkt weitergehen soll. Was ist Ihre Empfehlung?

Ich glaube, sowohl für Großbritannien als auch für die EU ist es am besten, auf die engstmögliche wirtschaftliche Integration hinzuarbeiten, die mit dem Referendum vereinbar ist. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und andere sagen, wenn wir nicht hart mit den Briten verhandeln, werden auch andere Länder die EU verlassen. Das ist der absolut falsche Standpunkt. Er sendet die negative Botschaft aus, dass Länder nur in der EU bleiben, weil sie Angst davor haben, was im anderen Fall geschehen könnte. Wenn das alles ist, was die EU zu bieten hat, dann ist das traurig für Europa.

Ich glaube, die EU hat viel mehr zu bieten. Sie hat eine positive Agenda, muss sich aber besser verkaufen, besonders bei den älteren Menschen. Natürlich wird es Länder geben, die den Weg nicht mitgehen können. Norwegen ist eines. Die Schweiz ist ein anderes. Großbritannien ist offenbar ein drittes.

Ich verstehe die Abstimmung für den Brexit so, dass die Briten keine freie Migration wollen. Aber sie könnten eine „Migrationspause“ einlegen.

Im Zusammenhang mit den EU-Vorschriften könnte man das Subsidiaritätsprinzip neu bekräftigen. Eiscreme muss ja nicht in jedem Land gleich sein. Wenn britisches Eis einen anderen Sahneanteil hat als europäisches, geht in meinen Augen die Welt nicht unter. Aber es ist wichtig, dass die Leute wissen, was sie kaufen.

Die Fragen stellte Eleanor Mears.