Die Fragen stellte Claudia Detsch an Knut Dethlefsen in Washington und Peer Teschendorf in Moskau.

Knut Dethlefsen, US-Präsident Joe Biden bezeichnete in der vergangenen Woche den russischen Präsidenten Wladimir Putin als „Killer“ - ein in den internationalen Beziehungen ungewöhnlicher Vorgang, der zudem an Bidens Vorgänger Donald Trump erinnert. Welche Motive verfolgt Biden mit dieser harschen Konfrontation?

Der ehemalige Präsident Trump hat den Begriff des „Killers“ in vielerlei Hinsicht ad absurdum geführt. Da waren zum einen seine finanzstarken Freunde der Wall Street, die er als „echte Killer“ bezeichnete. Zum anderen degradierte er Einwanderer aus Mexiko ganz allgemein als „Killer“ und räumte im selben Satz ein, dass es auch ein paar Gute gebe. Für Trump war der Effekt derselbe: das Machohafte, das Gefährliche an sich. So verstand er sowohl Lob als auch Kritik. Dann gab es aber auch die wahren Killer, denen gegenüber sich Trump voll Bewunderung zeigte, deren Stärke er liebte. Sei es Kim Jong Un oder Wladimir Putin. Sie konnten in seinen Augen nichts falsch machen. Immer wieder versuchten Journalisten, Trump darauf festzunageln, Putin wegen ermordeter oder attackierter Journalisten und Oppositionelle als „Killer“ zu bezeichnen. Bis zum letzten Amtstag wischte Trump jeden dieser Versuche vom Tisch und argumentierte, die USA sei ja selbst einer. Als der renommierte Journalist George Stephanopoulos Präsident Joe Biden letzte Woche mit der gleichen Frage „Halten Sie ihn [Putin] für einen Mörder?“ konfrontierte, kam die Antwort ohne Umschweife: „Das tue ich.“

Eine solch aggressive Wortwahl erschwert sachliche Verhandlungen zwischen den USA und Russland zu Fragen der Abrüstung oder der Lage in Nahost. Hat die US-Regierung die Hoffnung aufgegeben, dass sich mit Moskau konstruktive gemeinsame Lösungen finden lassen?

Die eigentlich große Nachricht der vergangenen Woche war der Bericht des US-Geheimdienstes über ausländische Einmischung in die US-Wahlen. Sowohl der Iran als auch Russland versuchten demnach, die Wahlen im November zu beeinflussen. Russland blieb auch 2020 der Devise treu, keine direkte Manipulation im Wahlprozess vorzunehmen, stattdessen aber jede Menge Desinformationen zu streuen. Das zeigt recht deutlich, dass die nach den Wahlen 2016 unter Trump ergriffenen Maßnahmen — Sanktionen gegen Russland und weniger freundliche diplomatische Beziehungen — die erneuten Manipulationsversuche nicht verhindern konnten. Überhaupt waren die Reaktionen der letzten US-Regierung auf Giftanschläge gegen Oppositionelle, Hilfe für Bashar al-Assad und Wahlmanipulationen schwache Sanktionen. Darauf hatte sich Russland eingestellt und diese quasi als akzeptabel abgeheftet.

Präsident Joe Biden sendet nun eine andere Nachricht an den Kreml: Im Weißen Haus weht jetzt ein neuer Wind. Um mit Moskau konstruktive Lösungen zu finden, müssen zunächst Grenzen gezogen werden. „Amerika ist zurück. Die Diplomatie ist zurück“, erklärte Biden in seiner ersten außenpolitischen Rede Anfang Februar. Dass Regierungen wie die in Peking, Teheran und Moskau darauf nicht in Jubel verfielen, ist nicht unerwartet. Das heißt aber nicht, dass Joe Biden nicht mit diesen Regierungen zusammenarbeiten wird. Er steckt in seinen ersten hundert Tagen die Bereiche ab, in denen Diplomatie stattfinden kann. Wahrscheinlich werden wir ziemlich viel Pragmatismus erleben.

Auch die Gespräche zwischen Vertretern der US-amerikanischen und der chinesischen Regierung in der vergangenen Woche verliefen in angespannter Atmosphäre. Welche außenpolitische Strategie der Biden-Regierung kristallisiert sich hier heraus und was bedeutet das für Europa?


Nachdem unter Donald Trump die politischen Gespräche zwischen den USA und der Volksrepublik China zum Erliegen gekommen waren, fanden Ende letzter Woche in der Tat die ersten hochrangigen Gespräche in Alaska statt. Vorher waren bereits der Außen- und der Verteidigungsminister der USA gemeinsam in Japan und Korea zu Besuch, um Unterstützung für die wichtigsten Verbündeten in Ostasien zu signalisieren. Beim amerikanisch-chinesischen Treffen verlief dann der öffentliche Teil der Gespräche zwischen Tony Blinken und Jake Sullivan auf der einen und Yan Jiechi und Wang Yi auf der anderen Seite ungewöhnlich schroff und undiplomatisch.

Die USA unter Biden betrachten China als größste geopolitische Herausforderung, und beide Seiten wollten für die Öffentlichkeit zu Hause und in der Welt Stärke zeigen. Es ist fraglich, wie zukünftig Zusammenarbeit möglich sein soll. Diese wird aber notwendig sein, um globale Probleme anzugehen, aber auch um einzelne Konflikte zu lösen. Dabei brachte das Treffen in Alaska offensichtlich erst einmal keine Fortschritte.

Darum ging es aber vermutlich auch erst einmal nicht. Sowohl die USA als auch China versuchen gerade, politischen Raum durch Demonstrationen der Stärke zu gewinnen, und es zeichnet sich ein verschärfter Wettbewerb zwischen den Großmächten ab. Der Nationale Sicherheitsberater Bidens, Jake Sullivan, hat in Alaska nicht zufällig davon gesprochen hat, dass zukünftig das Verhältnis vor allem von Wettbewerb geprägt sein wird. Dabei geht es aber nicht in erster Linie um Sprengköpfe und Flugzeugträger, sondern vielmehr um Technologie und Netzwerke. Im Senat wird derzeit eine große Gesetzesinitiative von den Demokraten vorbereitet. Sie zielt darauf, in der Auseinandersetzung mit China auf Investitionen in die Kompetenz und die technologischen Kapazitäten der USA zu setzen. Europa sollte eine eigene Chinapolitik entwickeln, die eigene Kompentenz in diesem Bereich erhöhen und beim Technologiewettbewerb nicht passiv sein.

Peer Teschendorf, wie wird der rhetorische Angriff Bidens auf Putin in der russischen Öffentlichkeit bzw. bei außenpolitischen Experten bewertet?

Die Reaktionen in der Öffentlichkeit waren, wie zu erwarten, recht deutlich. Der Sprecher der Duma sprach gar von einer Beleidigung des ganzen Volkes. Dennoch hat das „Ja“ des amerikanischen Präsidenten auf die Killer-Frage keine grundsätzliche Änderung in den bilateralen Beziehungen herbeigeführt. Zum einen ist man in Russland gedanklich darauf vorbereitet, dass die Beziehungen zu den USA mit dem Amtsantritt Bidens eher angespannter werden würden. Zum anderen pflegt man in den letzten Jahren selbst immer wieder einen eher ruppigen Ton in den internationalen Beziehungen.

Präsident Wladimir Putin kommentiert das Interview fast etwas amüsiert sinngemäß so, dass man nicht von sich auf andere schließen solle und schlug direkt einen öffentlichen Austausch zu allen wichtigen Fragen der bilateralen Beziehungen vor. Die meisten Experten sahen die Aussagen auch eher innenpolitisch motiviert und verwiesen darauf, dass Biden seiner Partei signalisieren müsse, dass er es ernst meint mit dem Umgang mit Russland. Sehr wohl wurde auch wahrgenommen, dass im gleichen Interview von der notwendigen Kooperation mit Russland etwa in Abrüstungsfragen die Rede war.

Auf eine gewisse Art könnte man in Russland diese Aussage sogar positiv aufnehmen. Die schlimmste Beleidigung, die ein amerikanischer Präsident Russland gegenüber ausgesprochen hat, war nicht die Gleichsetzung Wladimir Putins mit einem Mörder, sondern die Herabstufung Russlands zur Regionalmacht. Russland versteht sich als Gegenspieler der USA. Aus dieser Konkurrenz zieht der wichtige Sicherheitsapparat seine Daseinsberechtigung und auch seinen Stolz. In den Aussagen Bidens kann man zum Teil auch eine Bestätigung für die wiedererweckte geopolitische Bedeutung des flächenmäßig größten Staats der Erde sehen. Davon abgesehen kann man in Russland mit diesem Spiel der wechselseitigen Bedrohungen und gleichzeitigen pragmatischen Kooperationen, wo es von beiderseitigem Vorteil ist, sehr gut umgehen.

Die jüngste Eskalation deutet auf eine Verschärfung des Konflikts zwischen Russland und den USA hin. Gleichzeitig hat Putin sich scheinbar nicht provozieren lassen. Welche Strategie verfolgt die russische Regierung gegenüber der US-Administration?

Die russische Außenpolitik orientiert sich an der Idee einer multipolaren Weltordnung, in der verschiedene Pole die Lage in den jeweiligen Weltregionen miteinander aushandeln. Aus dieser Sicht heraus ist man darauf vorbereitet immer wieder in Konflikte einzusteigen, taktische Vorteile zu nutzen und Verhandlungspositionen auszubauen. Donald Trump brachte seine Sympathien für die starken Männer der Weltpolitik gerne zum Ausdruck. Doch auch zu seiner Zeit ist es nicht gelungen, zu einem freundlichen Verhältnis zu kommen; mit den USA unter Joe Biden erwartet man eher noch mehr Konfrontation.

Russland ist darauf eingestellt, seine Positionen gegenüber den USA zu verteidigen und dabei alle verfügbaren Mittel unterhalb direkter militärischer Auseinandersetzungen zu nutzen. Zugleich ist es bereit, Verhandlungen weiterzuführen, insbesondere in Abrüstungsfragen, wo es für Russland von Vorteil ist. Eine Begrenzung der weiterhin riesigen nuklearen Waffenbestände, gar eine Abrüstung, wäre durchaus ein solches Gebiet wechselseitigen Interesses, da es den Kostendruck reduziert, ohne Russland strategisch zu schwächen. Auch Maßnahmen der Vertrauensbildung, wie etwa die Rückkehr in den Open Skies Vertrag wären durchaus möglich.

Was bedeutet diese Entwicklung für die Europäer?

Da Joe Biden sich wieder stärker mit seinen Partnern in Europa abspricht, konzentriert sich die Aufmerksamkeit Russlands im sicherheitspolitischen Bereich auch wieder ausschließlich auf den großen Rivalen. Die bereits zuvor bestehende geringe Bereitschaft Russlands, harte Sicherheitsfragen mit der EU und ihren Mitgliedsstaaten zu diskutieren, wird nun nahezu gänzlich wegfallen. Für die EU ist das kein gutes Zeichen, da es die Möglichkeit, selbstständig auf dem Kontinent Waffenkontroll- oder Abrüstungsinitiativen voranzubringen, noch weiter einschränkt. Auch bei der Konfliktregulierung zum Beispiel in der Ukraine wird es nicht leichter werden. Zum einen erwartet Russland ein stärkeres Engagement seitens der Amerikaner im dortigen Konflikt, zum anderen wird es auch nur mit diesen etwaige Lösungen ernsthaft verhandeln.

Mit der wachsenden Konfrontation zwischen Russland und den USA wächst damit einerseits die Gefahr weiterer Konflikte im Informations- und virtuellen Raum, wie auch hinsichtlich konkreter militärischer Stellvertreterkonflikte im kleineren Maßstab und senkt zugleich die Chancen der EU, mit Russland direkt zu sicherheitspolitischen Fragen zu verhandeln. Andererseits senkt es aufgrund einer durchaus wieder wahrgenommenen stärkeren Führungsrolle der USA innerhalb der westlichen Allianz die Neigung, größere Konflikte zu riskieren und erhöht die Chance auf Fortschritte in Fragen strategischer Abrüstung und Rüstungskontrolle. Welcher von beiden Aspekten bedeutsamer sein wird, wird erst die Zeit zeigen.