Die Fragen stellte Claudia Detsch.
Kurz vor Silvester wurde der Durchbruch beim Investitionsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Volksrepublik China verkündet. Nachdem die Verhandlungen jahrelang sehr zäh verliefen, kam die Einigung nun scheinbar völlig überraschend. Oder täuscht dieser Eindruck?
Ganz auf dem falschen Fuß erwischt wurden wir natürlich nicht. Dass es am Ende dann doch so schnell ging, war aber selbst einige Wochen vorher nicht abzusehen. Man sollte aber vorsichtig bleiben, denn eine politische Einigung ist nicht mit einem Abschluss der Verhandlungen gleichzusetzen. Die Texte, die dem Europäischen Parlament vorliegen, sind nicht die finalen, es gibt immer noch ziemlich viele offene Punkte, die zu klären sind.
Worum geht es konkret bei diesem Abkommen?
Allgemein geht es bei dem Investitionsabkommen zum einen um den Marktzugang für europäische Investoren. Der chinesische Markt ist im Vergleich zum europäischen mit wesentlich mehr Beschränkungen versehen. China wird beispielsweise im Dienstleistungsbereich Marktöffnungen durchführen. Diese reichen über das Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) der Welthandelsorganisation hinaus. Dies ist bei Finanz-, Umwelt- und IT-Dienstleistungen, Bauleistungen und im Seeverkehr der Fall. Auch im Produktionsbereich wird es Öffnungen geben, so im Bereich der Automobilindustrie, der Verkehrs- und Telekommunikationsausrüstungen, im Chemie- und Textilsektor. Einige Bereiche sind ausdrücklich ausgenommen, beispielsweise audiovisuelle Dienste.
Zum anderen ist China auf Investitionen aus dem Ausland angewiesen. Das Investitionsabkommen mit der EU hat hier starke Signalwirkung.
Zum andern geht es um Regeln, die ein „level-playing field“, ein ausgeglichenes Spielfeld herstellen sollen. Es geht um Regeln gegen erzwungenen Technologietransfer. Darunter fällt beispielsweise das Verbot verschiedener Arten von Investitionsanforderungen, die einen Technologietransfer erzwingen: den Transfer von Technologie zum Joint Venture Partner oder Lokalisierungsauflagen für Forschungseinrichtungen sowie das Verbot, sich direkt oder indirekt in die vertraglich festgelegte freie Vergabe von Technologielizenzen einzumischen.
Es gibt Vorschriften zum Schutz vertraulicher Geschäftsinformationen, die von Behörden gesammelt werden. Vorgesehen sind auch Regeln, die eine Diskriminierung europäischer Investoren durch chinesische Staatsunternehmen verhindern. Und es gibt einen wichtigen Pfeiler mit Regeln für nachhaltige Entwicklung. Dazu zählen auch Verpflichtungen, die von der internationalen Arbeitsorganisation aufgestellten Kernarbeitsnormen zu ratifizieren und umzusetzen, so die ILO Norm 105 gegen Zwangsarbeit.
Warum erfolgte der Abschluss gerade jetzt? Gibt es dafür praktische Gründe oder stand der Symbolcharakter im Vordergrund?
Nach 7 Jahren, 35 Verhandlungsrunden und viel Stillstand hat sich die chinesische Seite in den letzten Wochen sehr stark auf uns zubewegt. Ich glaube, dass von oberster Stelle in China eine Entscheidung an die Verhandlungsführer vorgegeben wurde. Das kann mehrere Gründe haben: zum einen die in Kürze antretende Biden-Regierung in den USA, die bereits jetzt signalisiert hat, verstärkt mit statt gegen die EU arbeiten zu wollen. Diese Botschaft kommt natürlich auch in Peking an, dort macht man sich Gedanken, wie sich China in diesem Gefüge positionieren sollte.
Zum anderen ist China auf Investitionen aus dem Ausland angewiesen. Dafür muss ein möglichst stabiles und transparentes Umfeld geschaffen werden. Das Investitionsabkommen mit der EU hat hier starke Signalwirkung.
Bei allen Schwierigkeiten, die wir mit China haben, ist das Land ein wichtiger wirtschaftlicher und auch politischer Partner.
Bei allen Schwierigkeiten, die wir mit China haben, ist das Land ein wichtiger wirtschaftlicher und auch politischer Partner. Es ist in unserem Interesse, unsere bilateralen Beziehungen proaktiv zu gestalten. Das wird auch in Beijing so gesehen. Und zudem war es natürlich im Interesse der zum Jahresende auslaufenden Deutschen Ratspräsidentschaft und insbesondere der Kanzlerin. Das hat vielleicht auch einen Schub gegeben.
Die Europäer haben in der Vergangenheit stets auf einen besseren Zugang ihrer Unternehmen zum chinesischen Markt, mehr Schutz für ausländische Investitionen und mehr Arbeitnehmerrechte gedrängt. Sind die nun im Abkommen getroffenen Zusagen entsprechend weitreichend oder wurden die eigenen Forderungen aufgeweicht? Immerhin zeigt sich selbst der Europäische Arbeitgeberverband skeptisch, dass China hier tatsächlich Zugeständnisse machen wird.
All diese Fragen werden im Abkommen behandelt. Es gibt allerdings noch keinen finalen Text, deswegen bin ich mit einem abschließenden Urteil sehr vorsichtig. Auf den ersten Blick meine ich, dass das Ergebnis im Hinblick auf die ökonomische Seite der Medaille (Marktzugang, Transparenz und Rechtssicherheit) einiges für europäische Investoren bietet. China hat zum ersten Mal überhaupt Regeln zu Arbeitnehmerrechten akzeptiert. So sind in dem „Phase 1“-Abkommen zwischen den USA und China oder in dem neuen RCEP-Handelsabkommen im asiatischen Raum keinerlei Regeln zu Arbeitnehmerrechten zu finden. Ob die Regeln im CAI (Comprehensive Agreement on Investment) zwischen China und der EU weit genug gehen, wie sie umgesetzt werden und ob die dafür vorgesehenen Mechanismen wirklich Zähne haben, werden wir im Parlament im Detail analysieren. Dafür werden wir uns Zeit nehmen, und wenn nötig Forderungen für Nachbesserungen aufstellen.
In den USA steht Joe Biden kurz vor der Amtseinführung. Er hoffte auf einen Schulterschluss mit den Europäern, um Druck auf China auszuüben. Die EU hat ihm mit dem Abkommen de facto eine Absage erteilt. Ist Peking inzwischen wichtiger als Washington?
So würde ich die Situation auf keinen Fall sehen – das tun im übrigen die Amerikaner auch nicht. Ganz im Gegenteil. Wir sind uns einig, dass es immens wichtig sein wird, das transatlantische Verhältnis wieder mit einer positiven Agenda zu versehen. Das Investitionsabkommen sehe ich als Teil einer gemeinsamen Strategie, denn von dessen Regeln profitieren in vielen Fällen auch amerikanische Unternehmen. Die EU-China-Verhandlungsergebnisse waren reif für eine politische Einigung. Viele Bereiche, die die Amerikaner in ihrer jüngsten Untersuchung zu China kritisieren, werden in dem Abkommen angegangen.
Um systemische Änderungen in China durchzusetzen, braucht es den Druck einer Gemeinschaft von Staaten. Insofern werden wir auch den engen Kontakt mit der Biden-Administration suchen.
Es gibt noch eine ganze Reihe weiterer Punkte, in denen wir sehr gut gemeinsam mit den USA gegenüber China unsere Interessen vertreten und diese auch im Rahmen der WTO verankern können. Es gibt eine Vielzahl von Themen wie den Umgang mit geistigem Eigentum oder den Umgang mit Daten, für die wir gemeinsam Lösungen suchen werden. Um systemische Änderungen in China durchzusetzen, braucht es den Druck einer Gemeinschaft von Staaten. Insofern werden wir auch den engen Kontakt mit der Biden-Administration suchen. Die EU wird aber sehr selbstbewusst die europäischen Interessen definieren und entsprechend handeln.
Neben besseren Wirtschaftsbeziehungen geht es beim europäisch-chinesischen Abkommen auch um eine engere Kooperation beim Klimaschutz und der nachhaltigen Entwicklung. Wie wird das konkret aussehen?
Ein Hauptaugenmerk liegt zurzeit auf den Bestimmungen zur Bekämpfung von Zwangsarbeit. Ende letzten Jahres hat das Europäische Parlament eine Resolution zur Lage in Xinjiang angenommen und auf die zum Teil unmenschlichen Zustände dort hingewiesen. Hier muss das Investitionsabkommen einen Hebel bieten – auch wenn es allein sicherlich nicht dazu dienen kann, das politische System zu verändern. Ich denke aber, man muss das Abkommen als Teil einer umfassenden China-Strategie sehen, in der auch unilaterale Instrumente wie das Sanktionsinstrument gegen Menschenrechtsverstöße eine Rolle spielen. Und auch das geplante verbindliche Gesetz zur Sorgfaltspflicht in Lieferketten wird hier einzuordnen sein.
Für die gemeinsamen Anstrengungen gegen den Klimawandel bietet das Abkommen Ansatzpunkte. Explizit wird das gemeinsame Umsetzen des Pariser Klimaabkommens betont. Investitionen zum Schutz des Klimas sollen gefördert und klimafreundliche Güter und Dienstleistungen entwickelt werden. Hier wird die Kooperation besonders betont. Nachdem China nun auch klare Ziele für Klimaneutralität gesetzt hat, bieten sich bei erneuerbaren Energien, Energieeffizienz und klimafreundlichen Technologien Möglichkeiten der Zusammenarbeit.
Das EU-Parlament muss dem Abkommen noch zustimmen. Wird es das tun?
Wir stehen ganz am Anfang eines langen Prozesses, an dessen Ende eine Abstimmung im Plenum des Europäischen Parlaments stehen wird. In den kommenden Monaten werden wir das Abkommen durchleuchten, uns mit Expertinnen und Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft beraten und natürlich die weiteren Entwicklungen in China beobachten. Am Ende werden wir auf Grundlage dieser Erkenntnisse eine Entscheidung treffen.
Nur ein gutes Abkommen, das den chinesischen Markt nachhaltig öffnet und uns einen verlässlichen Hebel in die Hand gibt, um Nachhaltigkeitsziele zu verankern und durchzusetzen, kann eine Mehrheit im EP finden. Die Entwicklung der Menschenrechtslage wird sicher eine große Rolle spielen. Ich gehe davon aus, dass es hinsichtlich der Verpflichtungen zur Nachhaltigkeit Nachforderungen zur Umsetzung, zum Zeitplan und zur Durchsetzungskraft geben wird. Der Text muss nach der politischen Einigung noch technisch überarbeitet werden, das dauert vielleicht bis Februar/März. Dann kommen Übersetzung und juristische Überprüfung, so dass sicherlich erst gegen Endes des Jahres die formale Unterschrift erfolgen kann. Und danach fängt der Ratifizierungsprozess im EP statt.