Das Gespräch führte Claudia Detsch.

Europa ächzt unter hohen Gas- und Strompreisen. Wäre der Ausbau der Erneuerbaren Energien stärker vorangetrieben worden, hätten wir dieses Problem nicht in diesem Ausmaß. Stromgenossenschaften gelten als Pioniere beim Ausbau der Erneuerbaren. Welche Rolle kommt ihnen in der Energie- und Klimawende zu?

Eine noch zu geringe. Sie könnten eine stärkere Rolle spielen, würden die Weichen politisch anders gestellt. Über Genossenschaften lässt sich die Energiewende dezentral organisieren, das ist ein riesiger Vorteil. Durch regulatorische Veränderungen in den letzten Jahren haben es allerdings gerade kleinere Gruppen, die über eine Genossenschaft in ihren Kommunen die Energiewende vorantreiben wollen, immer schwerer. Derzeit lohnt es sich erst ab einer bestimmten Größenordnung überhaupt, eine Genossenschaft zu gründen.

Die Voraussetzungen haben sich verschlechtert in den letzten Jahren?

Es gab eine Gründungswelle ab 2009. Anlass war das Erneuerbare-Energie-Gesetz mit der garantierten Einspeisevergütung. Damals hat es sich für viele Akteure gelohnt, Erneuerbare Energien zu produzieren. Doch mittlerweile gelten Ausschreibungspflichten auch für kleinere Anlagen, die es den Akteuren unnötig erschweren, ihre Vorhaben auf den Weg zu bringen.

Über Genossenschaften lässt sich die Energiewende dezentral organisieren, das ist ein riesiger Vorteil.

Wie muss man sich das praktisch vorstellen? Da schließt sich beispielsweise in einem Dorf eine kritische Menge an Haushalten zusammen, um eine Genossenschaft auf den Weg zu bringen?

Es braucht mindestens eine Person, die das Vorhaben wirklich voranbringen will und Gleichgesinnte um sich sammelt. Meist gibt es dann eine Gruppe von Überzeugungstätern oder -täterinnen. Die gehen zum Teil von Haus zu Haus und überzeugen die Nachbarn. Im besten Fall läuft es in Zusammenarbeit mit der Kommune. Genossenschaften im Bereich Photovoltaik beispielsweise arbeiten häufig mit Kommunen zusammen. Sie bekommen Dachflächen auf öffentlichen Gebäuden zur Verfügung gestellt oder können diese pachten. Davon hat die Kommune einen Vorteil, weil die erzeugte Energie selbst genutzt werden kann. Und die Genossenschaft kann über die Einspeisevergütung Einnahmen generieren und mit diesen Einnahmen wiederum neue Projekte anstoßen.

Lohnt sich eine Beteiligung auch finanziell?

Da kommen die politischen Rahmenbedingungen ins Spiel. Die Erneuerbaren Energien werden aktuell bevorteilt, weil der Umstieg politisch gewollt ist. Würde man noch stärker unterstützen, lohnte sich der Aufwand, eine Photovoltaik-Anlage zu installieren, natürlich noch mehr. Wenn gleichzeitig die fossilen Energieträger teurer würden, die Schere also weiter auseinanderginge, dann wird das Modell umso attraktiver. Davon profitiert dann nicht nur die Umwelt, sondern auch das einzelne Mitglied, wenn Überschüsse an die Mitglieder verteilt oder eingezahlte Darlehen verzinst werden.

Allerdings bedeutet eine Beteiligung an einer Genossenschaft häufig Einlagen in Höhe von mehreren tausend Euro. Dazu kommen teils noch Umbaukosten im eigenen Haus. Sind Genossenschaften also nicht zwangsläufig ein eher elitäres Projekt?

Das ist eine wichtige Frage. Es zeigt sich tatsächlich, dass solche Initiativen häufig von Menschen angestoßen werden, die ein gewisses unternehmerisches Know-how mitbringen. Die Leute, die sich so etwas zutrauen, sind oft selbst Unternehmer oder Selbständige. Eine Genossenschaft gründet sich nicht einfach mal so. Man braucht wirtschaftlichen Sachverstand für die Ausarbeitung eines Geschäftsplans und es fallen Investitionskosten an. Der Vorteil ist jedoch, dass sich der Aufwand und die Kosten in einer Genossenschaft auf mehrere Schultern verteilen lassen.

Wir sehen auch in anderen Feldern, zum Beispiel in den Bereichen Soziales, Wohnungsgenossenschaften, Konsum oder solidarische Landwirtschaft, dass Genossenschaften häufiger in Regionen gegründet werden, wo Menschen mehr Einkommen zur Verfügung haben. Es gibt aber auch zunehmend Genossenschaften, die das sensibel handhaben und etwa die Höhe der Anteile staffeln, z.B. Wohnungsgenossenschaften in München oder Berlin.

Menschen mit niedrigen Einkommen ließen sich durch entsprechende politische Weichenstellungen aber durchaus noch besser fördern, oder?

Solche Förderungen gibt es zum Teil schon. So ist es zum Beispiel für Hartz IV-Empfänger förderfähig, wenn sie eine Genossenschaftswohnung übernehmen und dafür Anteile zeichnen müssen, wenn auch nur bis zu einer bestimmten Höhe. Ansonsten gibt es derzeit auch die Möglichkeit, über die KfW ein Darlehen zu erhalten in Höhe von 50 000 Euro. Allerdings sollte das Kreditvolumen deutlich erhöht werden. Für Einkommensschwache ist es nach wie vor sehr schwierig, die zum Teil hohen Summen aufzubringen, die es für neuen Wohnraum braucht.

Die genossenschaftliche Idee erlebt gerade weltweit ein Comeback.

Ist das Genossenschaftswesen eigentlich etwas eher originär Deutsches oder gibt es das auch in anderen Ländern?

In anderen Ländern ist es häufig sogar noch stärker. Die genossenschaftliche Idee erlebt gerade weltweit ein Comeback. Überall nehmen der Handlungsbedarf und das Interesse an alternativen wirtschaftlichen Lösungen zu. Menschen fragen sich, wie man Wirtschaft auf sozial verantwortliche Weise organisieren kann. Da gerät schnell das Genossenschaftsmodell in den Blick. In anderen Ländern entwickelt sich das Gründungsgeschehen dynamischer. Italien ist immer das Paradebeispiel. Dort ist die Förderung der Genossenschaften sogar in der Verfassung verankert und die Unternehmen erhalten steuerliche Vorteile. Auch in Frankreich passiert relativ viel, ebenso in England.

Unsere Nachbarländer begreifen den genossenschaftlichen Ansatz viel stärker als alternatives Wirtschaftsmodell. Zwar wirtschaften Genossenschaften nicht unbedingt anti-kapitalistisch, aber sie entziehen sich doch dem Verwertungszwang, denn sie erbringen ihr Angebot für einen bestimmten Kreis von Nutzerinnen und sind damit unabhängiger vom Wettbewerbsdruck. Und der Wertzuwachs verbleibt im Unternehmen, das heißt im kollektiven Eigentum. Mit einem Genossenschaftsanteil kann man deshalb auch nicht spekulieren. Dieses Selbstverständnis ist im deutschsprachigen Raum allerdings nicht sehr ausgeprägt. Man versteht sich eher als Teil der sozialen Marktwirtschaft, um die Position des Einzelnen am Markt zu verbessern.

Die Genossenschaft garantiert, dass die Wertschöpfung vor Ort bleibt, anders als bei einem privaten Investor.

Wie sieht es in Osteuropa aus? Gerade dort wird die Energiewende häufig als von Brüssel oder Berlin vorgegeben empfunden. Durch lokale genossenschaftliche Ansätze ließe sich dieser Vorwurf entkräften. Oder leiden in den postsozialistischen Ländern Genossenschaften unter einem schlechten Ruf?

Ja, es macht einen Unterschied, ob man über West- oder Osteuropa spricht. Zwar ist das Modell in Ostdeutschland bekannter, denn es war ein entscheidender Pfeiler für die zentral gelenkte sozialistische Planwirtschaft. Man kann aber beobachten, dass das Modell hier noch erklärungsbedürftiger ist, denn es handelte sich damals nicht um freiwillige Zusammenschlüsse, sondern um staatlich verordnete. Das Gleiche dürfte für Osteuropa gelten. Aber auch dort bewegt sich relativ viel, insbesondere in der Landwirtschaft und im Energiesektor. Und die Argumente sprechen tatsächlich für sich und lassen sich ja auch übertragen. Die Genossenschaft garantiert, dass die Wertschöpfung vor Ort bleibt, anders als bei einem privaten Investor. Diejenigen, die ihre Dächer oder ihre Ackerflächen zur Verfügung stellen, um Erneuerbare Energien zu produzieren, profitieren von geringeren Energiekosten und indirekt auch von den Einnahmen für die Genossenschaft. Auch die Kommune hat davon einen Vorteil.

Allerdings ist es gar nicht so einfach, eine Genossenschaft ins Leben zu rufen, wie wir gesehen haben. Besteht nicht die Gefahr, dass sich regionale Ungleichheiten sogar noch verschärfen? Die fitten Kommunen können sich durch den Förderdschungel kämpfen, die finanziell klammen oder ausgebluteten aber nicht.

Ja, man sieht definitiv sehr starke Unterschiede. Zwar kommt es auch in den abgehängteren Regionen zu Gründungen sowohl im Bereich Energie als auch im Bereich Soziales, aber bezogen auf die Bevölkerungsgröße ist in diesen Regionen das Gründungsgeschehen weniger dynamisch. Und wir können mit unseren Erhebungen zeigen, dass sich hier Genossenschaften auch häufiger wieder auflösen. Die Gründe sind vielfältig. Und das unterschiedliche Einkommensniveau spielt tatsächlich eine entscheidende Rolle. Welches Startkapital haben die Leute zur Verfügung? Da kann man natürlich mit Förderprogrammen unterstützen. Aber wer hat die Informationen über solche Förderprogramme? Wer hat die Zeit, sich darum zu kümmern? Gibt es dafür Ansprechpartner in den Kommunen und kann das Engagement der Bürger unterstützt werden? Das liegt nicht unbedingt an der Bereitschaft, sondern auch an den Möglichkeiten auf kommunaler Ebene und da gibt es starke Unterschiede. So können Förderprogramme zum Teil nur abgerufen werden, wenn auch ein Eigenanteil finanziert werden kann. Und das ist für einige Kommunen schwieriger als für andere. Wenn man da nicht politisch gegensteuert und mit diesen Unterschieden sensibel umgeht, können sich bestehende Ungleichheiten tatsächlich verstärken.

Die Anhebung des CO2-Preises wäre enorm wichtig. Dann wird das Modell noch sehr viel attraktiver.

Was muss konkret auf nationaler und auf europäischer Ebene geschehen, um die Gründung von Energie- und anderen Genossenschaften stärker zu fördern?

Die Anhebung des CO2-Preises wäre enorm wichtig, weil Erneuerbare Energien damit im Vergleich günstiger werden. Dann wird das Modell noch sehr viel attraktiver. Und die Akteure wünschen sich stabile und verlässliche Rahmenbedingungen. Zudem sollte man den Zugang zu Fördermitteln erleichtern. Häufig wird berichtet, dass es zum Teil direkte Kontakte in die Ministerien braucht, um von Förderprogrammen zu erfahren. Und es bräuchte sehr viel mehr Kenntnis und Informationen zum genossenschaftlichen Modell. Es gibt zwar die Energieagenturen, die beratend tätig sind. Ausgerechnet diese aber haben das genossenschaftliche Modell häufig nicht auf dem Schirm. Das Gleiche gilt leider auch für die IHKs, die dazu kaum auskunftsfähig sind.

Hilfreich wäre auch die Möglichkeit einer Professionalisierung. Würden diejenigen, die solche Vorhaben anschieben, vorübergehend eine stärkere Förderung oder Entlohnung erhalten, ließe sich viel erreichen. Heute machen die Leute das ehrenamtlich in ihrer Freizeit. Das machen sie erfolgreich. Aber es fehlt einfach an einigen Stellen die Kapazität, um die eigentlich sehr guten Vorhaben richtig in Schwung zu bringen.

Damit ließe sich auch die regionale Wirtschaft fördern, man schüfe Arbeitsplätze oder Einkommensmöglichkeiten in diesem Bereich.  

Genau! Gerade im Bereich Erneuerbare Energien ist das Geschäftsmodell so überzeugend, dass eine solche Regelung sehr tragfähig wäre. Die Verankerung in den Regionen und die Förderung der lokalen Wertschöpfung ist für die Beteiligten in aller Regel ein sehr wichtiges Motiv.