Die Fragen stellte Alexander Isele.
Der rechtsextreme Rassemblement National hat in Frankreich die erste Runde der Parlamentswahl klar gewonnen. Was bedeutet das für die zweite Runde?
Auf jeden Fall gibt es in Frankreich einen deutlichen Rechtsruck, der zu einer Mehrheit im Parlament für den Rassemblement National führen wird. Aus den bisherigen Wahlergebnissen wird klar, dass der RN seine Stellung in seinen Hochburgen weiter festigen konnte, aber auch dort gut abgeschnitten hat, wo er bislang nicht so stark war. Mittlerweile sind die Rechtsextremen für viele Französinnen und Franzosen eine normale, wählbare Partei geworden. Sie bekommen Zustimmung quer durch alle Schichten der Gesellschaft, auch von Angestellten, Fachkräften bis hin zu Akademikern. Der Wunsch vieler Wählerinnen und Wähler nach einem Wechsel ist zudem sehr groß.
In Paris, Nizza und Lyon gingen Tausende Menschen auf die Straße, um gegen die extreme Rechte zu protestieren und ihren Unmut über das Wahlergebnis kundzutun. Wie ist die Stimmung im Land?
Das Ergebnis kommt ja nicht unerwartet. Es bestätigt den Trend, den die Europawahl schon klar gezeigt hatte. In Anbetracht des deutlichen Siegs des RN treibt nun aber echte Angst und Wut viele Menschen auf die Straße, vor allem auch die junge Generation. Viele Wählerinnen und Wähler sind sehr enttäuscht und verärgert über Macron und dessen Regierungspartei. Darüber, dass er diese Neuwahlen angeordnet hat, und über den vor allem gegen Links gewandten Wahlkampf.
Das Land ist nun amtlich bestätigt tief gespalten und die Macronie am Ende.
Das Land ist nun amtlich bestätigt tief gespalten und die Macronie am Ende. Viele befürchten, dass das Zeitalter der liberalen Demokratie für Frankreich möglicherweise vorerst vorbei sein könnte. Gleichzeitig gibt es noch Hoffnung auf ein kleines Wunder im zweiten Wahlgang am kommenden Sonntag. Dazu müssten sich Macrons Ensemble pour la Republiqueund der Nouveau Front Populaire von der Vereinigten Linken sehr diszipliniert absprechen und kooperieren.
Wie wahrscheinlich ist das?
In die zweite Runde der Parlamentswahlen ziehen alle Kandidatinnen und Kandidaten ein, die in ihren Wahlkreisen mindestens 12,5 Prozent der abgegebenen Stimmen erhalten haben und in deren Wahlkreis kein Kandidat eine absolute Mehrheit erzielt hat. Das ist dieses Mal aufgrund der hohen Wahlbeteiligung in der Mehrheit der Wahlkreise der Fall. Wenn sich beide demokratischen Blöcke diszipliniert verhalten und gegenseitig den Vortritt lassen, wo der jeweils andere bessere Chancen hat, könnte erreicht werden, dass der RN nicht die absolute Mehrheit der Sitze in der Assemblée erringt, sondern höchstens mit einer relativen Mehrheit aus diesen Wahlen hervorgeht. Aber es ist fraglich, ob das Macron-Lager da mitspielen wird. Die Dynamik im zweiten Wahlgang ist schwer vorherzusehen, weil es jetzt auf jeden einzelnen Wahlkreis und die dortigen Absprachen ankommen wird, im Sinne von „alles tun, um den RN zu stoppen“.
Das Linksbündnis Nouveau Front Populaire kam bei der ersten Runde der Wahl auf den zweiten Platz. Was bedeutet das für die französische Politik und für die französische Linke?
Es ist sehr beeindruckend, dass die Linke es geschafft hat, innerhalb von nur drei Wochen wieder aufeinander zuzugehen, die zuvor aufgerissenen Gräben zuzuschütten und sich zusammenzutun. Das hat viele Wählerinnen und Wähler auch überzeugt. Aber jedem ist klar, dass innerhalb der Linken weiter ideologische Auseinandersetzungen drohen, auch um Persönlichkeiten wie Jean-Luc Mélenchon. Das bietet Krisenpotenzial, da eben nicht klar ist, welche der dann miteinander koalierenden fünf Parteien den Premierminister stellen würde – sollte das Ergebnis dies erlauben – und nach welchem Prinzip die Regierung aufgestellt würde. Die Spannungen zwischen La France insoumise, den Sozialisten, den Grünen und den Kommunisten gibt es ja weiterhin.
Macrons Bündnis Ensemble ist mit 20 Prozent deutlich abgeschlagen auf dem dritten Platz gelandet. Unabhängig davon, ob der Rassemblement die Regierung stellt oder ob eine republikanische Front aus Macrons Lager und dem Linksbündnis dies noch verhindern kann – endet der Präsident als lahme Ente?
Das kann man so sagen, Macron ist quasi am Ende. Aufgrund der schlechten Wahlergebnisse bei den Europawahlen und jetzt in der ersten Runde, ist Macron jetzt ohne Hausmacht. Der Präsident hat sich verspekuliert, als er vermutlich davon ausging, dass Teile der Republikaner und der Linken sich ihm bei der Wahl anschließen würden. Jetzt ist seine Partei geschwächt, schon im Wahlkampf ging sie regelrecht auf Distanz zu ihm. Zwar hat der Präsident in Frankreich qua Amt viel Macht, aber die bezieht sich vor allem auf die Außen- und Verteidigungspolitik. Für eine mögliche Cohabitation, also den Fall, dass Präsident und Regierung aus verschiedenen Lagern stammen, sind in der Verfassung manche Zuständigkeiten nicht klar geregelt. Das schwächt Frankreich nun insgesamt.
Und innenpolitisch?
Innenpolitisch wird es sehr schwierig. Wenn der RN die relative Mehrheit erlangt, aber nicht regiert, werden die Rechtsextremen blockieren, wo sie nur können. Blockiert der Präsident sie, wie es ihm die Verfassung erlaubt, werden sie daraus politisches Kapital zu schlagen wissen. Der RN hat 2027 fest im Blick. Die nächsten Präsidentschaftswahlen sind ihr Ziel. Dann will Marine Le Pen regieren. Bis dahin werden sie alles dafür tun, um sich dafür in Stellung zu bringen. Das bedeutet aber nichts Gutes für das schwer verschuldete Land. Hier droht nun eine Phase des Stillstands, denn das Parlament wird nicht besonders handlungsfähig sein, was auch Frankreichs Rolle als internationaler Partner schwächen wird.