Die Fragen stellte Kai Doering.
Am Wochenende hat der Iran Israel erstmals direkt angegriffen. Fast alle der mehr als 300 Drohnen und Marschflugkörper konnten jedoch abgefangen werden. Wie ist dieser Angriff zu bewerten?
Es war ein massiver Angriff, und er stellt – eben weil es der erste direkte Angriff des Irans auf Israel war – eine neue Qualität dar. Es ist eindrucksvoll, wie erfolgreich die israelische Luftabwehr, aber auch die Abstimmung und das Zusammenwirken mit den anderen beteiligten Staaten funktioniert hat. Nur so konnten viele Opfer und massive Schäden verhindert werden. Bei aller Heftigkeit war diese kriegerische Attacke dennoch dosiert. Zudem gab es vorab Ankündigungen, und die erste Angriffswelle wurde mit relativ langsam fliegenden Drohnen ausgeführt, wodurch eine Vorwarnzeit entstand. Man kann das so interpretieren, dass der Iran nach wie vor keine totale Eskalation will, sondern dass es ihm vor allem um den Erhalt seiner Macht und seines Einflusses in der Region geht.
Sehen Sie einen Zusammenhang zum Vorgehen Israels in Gaza?
Der Zusammenhang besteht vor allem darin, dass die Hamas mit ihrem Terrorangriff am 7. Oktober die Hisbollah dazu bringen wollte, mit ihrer vollen militärischen Kraft in den Krieg gegen Israel einzusteigen. Dieses Kalkül ist erfreulicherweise nicht aufgegangen. Stattdessen hat Hisbollah-Generalsekretär Nasrallah den Krieg im Gazastreifen als palästinensische Angelegenheit bezeichnet. In den propagandistischen Versuchen Irans, den Angriff auf Israel zu rechtfertigen, hat das militärische Vorgehen Israels im Gazastreifen und die humanitäre Katastrophe dort – soweit mir bekannt ist – keine Rolle gespielt.
Der Angriff war die Reaktion auf die Tötung von zwei Generälen und weiterer Angehöriger der iranischen Revolutionsgarde durch einen mutmaßlich israelischen Luftangriff in Damaskus Anfang April. Irans Staatsführung hat erklärt, dass es die Angelegenheit mit dem Angriff als erledigt betrachtet. Wird Israel darauf eingehen?
Es gibt auch in Israel Stimmen, die das fordern. Eine wie auch immer geartete Reaktion wird aber wohl nicht ausbleiben. In diesem Sinne hat sich die Regierung geäußert, allerdings nach eigenen Angaben noch keinen Beschluss gefasst, wie genau diese Antwort aussehen und wann sie stattfinden soll. Internationaler politischer Druck auf den Iran, insbesondere die Aufnahme der iranischen Revolutionsgarde auf die EU-Terrorliste, könnte Einfluss auf das weitere Vorgehen Israels haben.
Wenn Israel jetzt besonnen reagiert und politisch klug agiert, lässt sich aus dem abgewehrten Angriff vom Wochenende ein strategischer Vorteil machen.
Wenn Israel jetzt besonnen reagiert und politisch klug agiert, lässt sich aus dem abgewehrten Angriff vom Wochenende ein strategischer Vorteil machen. Denn neben den USA und Großbritannien war auch Jordanien aktiv beteiligt. Saudi-Arabien und Ägypten haben offenbar ebenfalls geholfen. Hier zeichnet sich genau die strategische Allianz ab, auf die die Amerikaner hinarbeiten und die auch in einem Nachkriegsszenario für den Gaza-Streifen eine wichtige Rolle spielen könnte. Zudem hat Saudi-Arabien signalisiert, im Gegenzug für signifikante Schritte in Richtung einer Zweistaatenlösung die Beziehungen mit Israel zu normalisieren.
Wie könnte eine israelische Reaktion aussehen?
Ich bin kein Militärexperte, aber es gibt sicher militärische Einrichtungen des Irans oder seiner Verbündeten außerhalb des iranischen Staatsgebiets, die als Angriffsziele in Frage kommen und bei denen sich das Regime in Teheran nicht zwangsläufig zu einer neuen „Vergeltung“ gezwungen sehen würde. Aber auch wenn es jetzt hoffentlich gelingt, eine weitere Eskalation zu vermeiden, bleibt das Kernproblem bestehen, nämlich die Bedrohung durch den Iran, der sich offiziell die Vernichtung des Staates Israel auf die Fahnen geschrieben hat. Zwar funktioniert das Eskalationsmanagement an der nördlichen Front seit dem 7. Oktober einigermaßen, aber eine Lösung der Konfrontationslage mit dem Iran und seinen Proxies, insbesondere der Hisbollah, ist nicht in Sicht.
Solange die unmittelbare Bedrohung nahe der libanesischen Grenze andauert und die Hisbollah nicht den Beschuss einstellt und sich zumindest hinter den Fluss Litani zurückzieht, können die Zehntausenden von Menschen, die in Israel evakuiert werden mussten, nicht in ihre Wohnorte zurückkehren. Das ist ein Zustand, der sich unmöglich dauerhaft aufrechterhalten lässt. Aus israelischer Sicht ist mit dem iranischen Regime und der Hisbollah eine konstruktive Lösung nicht möglich. Das ist eine Analyse, die auch von Militärs und Sicherheitsexperten aus dem linken politischen Spektrum und dem Friedenslager geteilt wird.
In einer Woche beginnt das einwöchige Pessach-Fest. Hat das einen Einfluss auf das weitere Vorgehen?
Nein, ich gehe nicht davon aus, dass das Pessach-Fest einen besonderen Einfluss auf die weitere Entwicklung haben wird. Aber es wird natürlich von der aktuell sehr angespannten Situation überlagert sein.