Herr Annen, wir treffen uns auf der Münchner Sicherheitskonferenz, die sich in den letzten Jahren zur bedeutendsten sicherheitspolitischen Konferenz der Welt entwickelt hat. Ist es eigentlich Zufall, dass diese Konferenz ausgerechnet in Deutschland stattfindet?

Auf jeden Fall ist es für alle, die sich in Deutschland mit Außen- und Sicherheitspolitik beschäftigen, eine einmalige Gelegenheit zum Austausch, weil wir eine Dichte von Veranstaltungen, vor allem auch einen Kreis von Teilnehmern haben, der fast schon an eine Art Mini-Ausgabe der UN-Generalversammlung erinnert. Es ist der Platz, an dem ganz viel passiert - vieles davon bei zufälligen Treffen in den Gängen und in den Räumen, in denen man sich zu bilateralen Gesprächen trifft. Aber es hat auch immer wieder Debatten gegeben, die im Plenum, also im öffentlichen Teil angestoßen worden sind. Wie in diesem Jahr die Rede der Bundeskanzlerin. Aber auch die MSC selbst löst immer wieder Debatten aus, die Geschichte dieser Tagung ist ja nicht unumstritten…

Sie meinen die Historie als Wehrkundetagung…

Genau, das war damals auch die Ausrichtung. In den letzten Jahren hat sich das Themenspektrum allerdings verbreitert. Der Fokus bleibt: die Sicherheitspolitik. Aber wir haben heute auch beispielsweise über die Frage ziviler Konfliktprävention und Klimawandel und Sicherheit gesprochen. Das ist heute ein Teil der MSC und das unterstütze ich sehr. Ich glaube, diese Breite repräsentiert das, was die deutsche Außenpolitik ausmacht: sich nicht nur auf einen Aspekt zu konzentrieren, sondern das gesamte Spektrum in den Mittelpunkt zu rücken. Das provoziert selbstverständlich auch Kritik. Es gibt auch immer mal wieder Demonstrationen. Ich erinnere mich, dass ich einmal als damals noch junger Abgeordneter mit dem damals ganz frisch gekürten neuen Vorsitzenden der Sicherheitskonferenz Botschafter Ischinger mit Gegnern der Sicherheitskonferenz diskutiert habe. Am Ende wurde Blumenwasser über uns ausgekippt, und wir mussten den Saal durch den Hinterausgang verlassen. Aber das ist eben Teil einer lebendigen Debatte (lacht).

Der Titel der Veranstaltung dieses Jahr lautet ja „Wer wird die Scherben der zerfallenen Weltordnung aufsammeln?“ Bei allen Herausforderungen: Ist das in der Dramatik nicht völlig übertrieben?

Ich hoffe zumindest, dass sich das so nicht bewahrheiten wird. Aber diese Weltordnung, von der wir sehr profitiert haben, die sich auf gemeinsame Regeln und Werte verständigt hat, ist massiv unter Druck. Das betrifft Länder wie Deutschland, die sehr an den Wert von Zusammenarbeit geglaubt haben in den letzten Jahren und sich in Fragen von hard security eher zurückhalten konnten. Eben weil wir Teil eines Bündnisses gewesen sind. Das ist heute keine Selbstverständlichkeit mehr. Deswegen denke ich: Die Debatte, die wir hier in München führen, zur Frage was können wir eigentlich selber dazu beitragen, dass wir weiterhin regelbasiert leben und wirtschaften können, ist zentral. Da muss man nicht alles Schwarzmalen. Aber die Probleme sind sehr ernst. Wir sehen, dass sowohl die Kriege in unserer Nachbarschaft als auch die drohenden Handelskriege deutsche Interessen direkt betreffen. Davor kann man nicht die Augen verschließen.

Eine Antwort der Bundesregierung und insbesondere des Bundesaußenministers lautet ja: die Allianz der Multilateralisten. Hier in München hat man den Eindruck, dass die zweite Reihe der internationalen Mächte hervortritt. Gerade saß etwa die kanadische Außenministerin auf dem Podium. Können diese Mächte die Ordnung zusammenzuhalten, wenn die Großmächte ausscheren?

Für uns ist Kanada ein Freund und Verbündeter erster Ordnung. Ich würde Kanada als ein gutes Beispiel für das, was Heiko Maas beschrieben hat, sehen. Unterm Strich heißt die Politik: Wir müssen uns mehr um unsere Freunde kümmern. Wir dürfen diese Freundschaften nicht für eine Selbstverständlichkeit halten. Es geht darum, durch konkrete Zusammenarbeit dafür zu sorgen, dass die Stimme der Multilateralisten gehört wird, dass sie stärker wird. Das bedeutet auch, in einigen Punkten robust unsere eigenen Interessen zu verteidigen, wie wir das zum Beispiel beim Iran-Deal jetzt - leider, muss ich sagen - tun müssen. Wir müssen die Werte, für die wir einstehen, auch dann verteidigen, wenn es konkret wird. Deswegen hat Deutschland beispielsweise die kanadische Position unterstützt, die sich in dem Konflikt mit China und der Inhaftierung zweier kanadischer Staatsbürger sehr dramatisch darstellt. Diesen Geist müssen wir leben. Deswegen arbeiten wir mit vielen Partnern oder, wie man im Diplomatenslang gerne sagt: mit like-minded Akteuren daran, diese Kooperation noch zu verstärken.

Spötter könnten einwenden: Schönes Ziel, aber Deutschland schafft es ja nicht einmal, das in der eigenen Nachbarschaft tatsächlich umzusetzen und dort einen echten Interessensausgleich herzustellen.

Kritik gibt es immer. Und wer spotten will, dem ist das erlaubt. Ich freue mich darüber, dass wir mehr über Außenpolitik diskutieren, im Kern bringt es uns voran. Deutschland ist keine Supermacht. Das ist auch nicht unser Anspruch. Wir spielen aber eine wichtige politische und ökonomische Rolle. Und wir sind dabei, unsere Verteidigungsfähigkeit zu stärken. Darüber gibt es im Parlament, in der Öffentlichkeit naturgemäß unterschiedliche Meinungen. Aber ich finde es wichtig, dass wir nicht nur über die negativen Aspekte sprechen.

Deutschland ist ja eben kein machtlos an der Seite stehender, nur kommentierender Spieler. Wir sind mit dem Ansehen, das sich unser Land in der Welt über viele Jahre erarbeitet hat, mit unserer wirtschaftlichen Stärke, mit unserer demokratischen, sehr transparenten Politik für viele Länder ein ganz wichtiger Partner. Wir sind, obwohl wir nicht neutral sind, in vielen Konflikten in der Lage, mit verfeindeten Konfliktparteien zu reden. Wir sprechen nicht immer öffentlich darüber, was hinter den Kulissen passiert. Aber die deutsche Außenpolitik spielt eine wichtige Rolle - nur manchmal wird der Ruf nach einem größeren Engagement gleichgesetzt mit der Imitation amerikanischer oder russischer oder sonstiger Machtpolitik. Damit können wir nicht dienen, es würde auch nicht funktionieren.

Das heißt, wir sind manchmal zu selbstkritisch?

Es wird immer gesagt: Deutschland tut nichts. Deutschland tut zu wenig. Deutschland ist eigentlich kein Akteur. Wenn ich mir angucke, mit welchen Themen ich jeden Tag zu tun habe und in denen Deutschland sehr konkret eine Rolle spielt, dann ist dieser Teil der Münchner Sicherheitskonferenz nicht immer der Teil, der mich überzeugt. Wir sind im Bereich der humanitären Hilfe inzwischen ein global beispielgebendes Land. Gleiches gilt für das Thema Stabilisierung und auch im Bereich Mediation machen wir mehr und mehr. Bei der Verhandlung des Minsker Abkommens zur Ukraine hat Deutschland eine entscheidende Rolle gespielt. Da soll man das eigene Licht nicht unter den Scheffel stellen.

Das ist die wichtige Rolle, die Staaten spielen können, um die internationale Ordnung abzusichern. Welche Funktion können oder sollen nicht-staatliche Akteure übernehmen?

Ich glaube, eine sehr wichtige. Wir haben gesehen, dass eine nicht-staatliche Organisation, ICAN, einen internationalen Vertrag angestoßen hat. Das ist bemerkenswert. Auch wenn wir in der Wahl der Mittel unterschiedlicher Meinung sind, handelt es sich ohne Zweifel um einen bemerkenswerten Erfolg einer Initiative, die auch mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Es war gut, dass es dadurch gelungen ist, ein ganz wichtiges Thema auf die Tagesordnung zu bringen: die Frage der nuklearen Abrüstung.

Wir haben bei unseren Stabilisierungsbemühungen im Auswärtigen Amt eine neue Abteilung gegründet, die mit vielen nichtstaatlichen Organisationen zusammenarbeitet, die uns vor Ort helfen, mit ihrem Engagement, mit ihrer Expertise unsere Politik mit umzusetzen. Die Zivilgesellschaft ist und bleibt für uns ein ständiger Ratgeber und Gesprächspartner. Das gilt natürlich auch für die politischen Stiftungen mit einem ganz besonderen Zugang zu vielen Akteuren in fast allen Teilen der Welt. Wer glaubt, dass man diese regelbasierte Ordnung alleine durch Regierungspolitik stabilisieren kann, der wird sehr schnell seine eigenen Grenzen erkennen.

 

Die Fragen stellte Michael Bröning.