Die Konservativen des amtierenden Ministerpräsidenten Rajoy konnten gegenüber den Wahlen im Dezember 2015 leicht dazugewinnen. Die Wahlbeteiligung war niedrig. Wollen die Spanier keinen Wechsel?

Die Mehrheit der Wähler möchte den Wechsel: von der liberalen Ciudadanos, über die Sozialdemokraten bis hin zum linkssozialistischen Wahlbündnis Unidos Podemos. Sie kommen auf  57 Prozent der Stimmen und 188 der 350 Sitze. Die konservative PP hat ihr Ergebnis im Vergleich zum Dezember verbessert, liegt indes mit ihren jetzt 33 Prozent weit hinter ihrem Erfolg aus dem Jahr 2011. Damals bescherten ihr die gut 45 Prozent die absolute Mehrheit der Mandate.

Indes: Was zeichnet den Wechsel aus? Darüber haben die drei schon nach den Dezemberwahlen 2015 gestritten. Mag man sich in der Frage der Korruptionsbekämpfung noch einig sein, so liegen bei den  sozioökonomischen Herausforderungen doch erhebliche Differenzen in den Politikkonzepten. Ganz zu schweigen von der Katalonienfrage: Unidos Podemos hat ein Unabhängigkeitsreferendum versprochen. PSOE und Ciudadaos lehnen das strikt ab. Im Gegensatz zur PP, die alles beim Alten lassen möchte, wollen die beiden jedoch eine Verfassungsänderung, die der Region noch mehr autonome Rechte gewähren würde.

Die linke Podemos hatte damit gerechnet, die traditionelle sozialdemokratische PSOE zu überholen und zum Juniorpartner in einer linken Regierung zu machen. Warum konnte sich PSOE behaupten?

Das spanische Wahlrecht präferiert die großen Parteien bei der Sitzvergabe. Mit ein Grund, warum die PP bei den Sitzen so gut und Ciudadanos so schlecht abgeschnitten hat. Und natürlich mit ein Grund, warum Podemos das Wahlbündnis Unidos Podemos (UP) mit der exkommunistischen Vereinigten Linken (IU) schmiedete. In der Hoffnung damit vor der PSOE zu landen und ihrerseits von dieser Regelung zu profitieren.

Das Kalkül des begnadeten Podemos-Rhetorikers Pablo Iglesias ging indes nicht auf. Man habe sich mehr versprochen, gab er am Wahlabend enttäuscht zu. Das Meinungsforschungsinstitut CIS hatte im Mai die Wähler von Podemos nach ihrer politischen Orientierung befragt. Zwei Drittel identifizierten sich mit linken Positionen – gute 10 Prozent ordneten sich als Sozialdemokraten ein –, ein Drittel sah sich jedoch eher bei den Zentristen. Diese fühlten sich bei dem Bündnis mit den Exkommunisten der Izquierda Unida dann doch nicht wohl. Eine vergleichbare wahltaktische Fehleinschätzung unterlief schon der PSOE im Jahr 2000, als sie versuchten mit einem ähnlichen Wahlbündnis die PP zu überrunden – vergeblich.

Mehr noch: Die Spanierinnen und Spanier sind zwar unabhängig und eigenwillig, indes nicht radikal. Auch eine rechtspopulistische Bewegung sucht man im Gegensatz zu fast ganz Europa vergeblich. Die Erinnerung an Terror und Rückständigkeit des Francoregimes sitzen noch zu tief, als dass Nationalkatholiken und Postfranquisten innerhalb der PP es wagen würden, eine eigene Bewegung auf die Beine zu stellen. Bei aller Kritik an Rajoy, der ihnen schon zu liberal ist.

Ist unter diesem kaum veränderten Wahlergebnis eine Regierungskoalition diesmal denkbar, oder bleibt es auf absehbare Zeit bei einer Interimsregierung?

Nach den Wahlen ist vor den Wahlen. Auch jetzt hat keines der Lager eine regierungsfähige Mehrheit von 176 Sitzen zusammenbekommen. PP und Ciudadanos kommen auf 169, PSOE und Unidos Podemos (UP) auf 156. Wie schon im Dezember muss eine Partei über ihren Lagerschatten springen.

Diesmal indes ist der mediale wie öffentliche Druck auf eine schnelle Koalitions- und Regierungsbildung enorm gestiegen: Seit Monaten sehen die Spanier den Parteien zu, wie sie sich nicht einigen können und leben mit einer geschäftsführenden PP-Regierung ohne demokratische Legitimation. Schon bei der konstituierenden Parlamentssitzung am 19. Juli 2016 soll deshalb ein neuer Premier vereidigt werden. Dies setzt alle Beteiligten unter Handlungsdruck. Eine dritte Wahlrunde möchte im Zeichen von sieben Prozentpunkten minus bei der Wahlbeteiligung niemand.

Dabei sind die Konstellationsoptionen die gleichen: Eine Linksregierung aus PSOE und UP mit Unterstützung der Regionalparteien; ein Mitte-Links-Bündnis aus PSOE und Ciudadanos mit Tolerierung durch Unidos Podemos; oder ein Bürgerblock aus PP und Ciudadanos mit Tolerierung durch die PSOE.

Die erste Option hätte PSOE-Chef Pedro Sánchez schon im März haben können und abgelehnt. Die zweite Option ist die Lieblingsvariante der PSOE: Kann Sánchez Podemos diesmal erfolgreich mit einer Großen Koalition drohen? Bleibt also die dritte als das zurzeit wahrscheinlichste Szenario.

Welches sind die drängendsten Probleme, die eine neue Regierung angehen müsste?

Gefragt sind Schritte hin zur Lösung der fünf drängenden Strukturprobleme des Landes: das Spannungsfeld zwischen staatlicher Einheit und regionaler Vielfalt – vor allem, aber nicht nur Katalonien; eine Kultur der verdeckten Korruption in und zwischen Wirtschaft, Verwaltung und Politik, die an der Vertrauenswürdigkeit des politischen Systems nagt; ein kurzfristig wieder steigendes Haushaltsdefizit, das Brüssel auf den Plan ruft; eine im Zeichen von immer noch 48 Prozent Jugendarbeitslosigkeit verlorene Generation mit einem Bildungs- und Ausbildungswesen, das den Jugendlichen keine Basis für eine belastbare Lebensperspektive bietet; sowie die Innovationsdefizite einer zudem einseitig auf Tourismus und Bauwirtschaft ausgerichteten Wirtschaft, die mit ihrem ausgeprägten Nord-Süd-Gefälle zudem für ungleiche Lebensverhältnisse in den Landesteilen sorgt.

Die Fragen stellte Hannes Alpen.