Die Fragen stellte Nikolaos Gavalakis.

Überraschend hoch hat Kyriakos Mitsotakis mit seiner konservativen Nea Dimokratia (ND) die Wahl in Griechenland für sich entschieden. Welche Faktoren waren ausschlaggebend für den Sieg?

Mehrere Aspekte waren hier entscheidend. Ein wichtiger Faktor für den Sieg von Nea Dimokratia war ihre Fähigkeit, das Agenda-Setting zu bestimmen, unterstützt durch die Dominanz regierungsfreundlicher Medien. Denn die öffentliche Meinung sah vor acht Wochen noch ganz anders aus: „Diese Regierung braucht einen Denkzettel und wird ihn bei den Wahlen bekommen“, lautete damals der Tenor. Nach dem schweren Zusammenprall zweier Züge in Mittelgriechenland mit vielen jungen Opfern war es überall im Land zu Massenprotesten gekommen. Das Zugunglück hatte gezeigt, dass die scheinbaren Erfolge der Konservativen bei der Erneuerung Griechenlands auf tönernen Füßen stehen, und die Regierung schien zunächst die Kontrolle über den öffentlichen Diskurs zu verlieren. In den Umfragen schrumpfte der deutliche Vorsprung der Regierungspartei Nea Dimokratia im April zusehends. Die für April angesetzten Wahlen verschob die Regierung daraufhin auf Ende Mai, in der Hoffnung, die öffentliche Debatte bis dahin wieder zu bestimmen.

Und genau das gelang ihr: Bezüglich des Zugunglücks konnte sie in den Medien erfolgreich ihr Narrativ durchsetzen, nach dem die drei größten Parteien gleichermaßen Verantwortung für das Unglück tragen. Auch der Versuch der Opposition, eine erneute Debatte über den Abhörskandal zu initiieren – die Regierung hatte zugeben müssen, wichtige Politiker und Journalisten abgehört zu haben –, blieb erfolglos. Nach der Neutralisierung der Protest-Stimmung gelang es den Kommunikationsprofis des Premierministers, die Wahl zu einer Abstimmung zwischen Stabilität (Nea Dimokratia) und Chaos (SYRIZA) zu machen. Vor dem Hintergrund der vielen Krisen des letzten Jahrzehnts und des daraus resultierenden starken Wunsches nach Stabilität konnte die ND damit bei den Wählerinnen und Wählern besonders erfolgreich punkten.

Der chaotische Anfang der SYRIZA-Regierung 2015 bestimmt in den Augen vieler Menschen immer noch das Image der Partei.

Dabei half auch, dass der chaotische Anfang der SYRIZA-Regierung 2015 in den Augen vieler Menschen immer noch das Image der Partei bestimmt. Bezeichnenderweise lag SYRIZA seit 2016 in den Umfragen kontinuierlich hinter der konservativen Nea Dimokratia. Die Partei bot darüber hinaus im aktuellen Wahlkampf keine klare Alternative zur Regierungspolitik an. Hinzu kamen Kommunikationsfehler im Endspurt des Wahlkampfes. Die Partei hatte durch unklare Äußerungen suggeriert, die ohnehin bereits hohen Sozialabgaben weiter deutlich anheben zu wollen.

Wie ist das Abschneiden der sozialdemokratischen PASOK-KINAL zu bewerten?

PASOK-KINAL ist der heimliche Gewinner dieser Wahl. In den Umfragen ursprünglich bei acht Prozent, schaffte es die Partei, sich als wählbare Alternative zu den beiden großen Konkurrenten darzustellen. Mit ihrem lösungsorientierten Wahlkampfstil, der die Probleme des modernen Griechenlands aufgriff, konnte sie ihr Wahlergebnis auf fast zwölf Prozent erhöhen. Nun hat PASOK die Chance, sich mit gestärkter Präsenz im Parlament gegenüber der Regierung zu profilieren. Es könnte ihr mittelfristig so gelingen, an Stärke zu gewinnen und sich damit als Hauptoppositionspartei auf der politischen Bühne zu etablieren.

Für den Wahlgewinner reicht es für eine Alleinregierung nicht. In Griechenland sind Koalitionsregierungen jedoch sehr unüblich. Könnte es nun dennoch dazu kommen?

Premierminister Mitsotakis hat sich schon am Wahlabend gegen eine Koalition ausgesprochen und Neuwahlen für Ende Juni angekündigt. Das unerwartet gute Abschneiden der Nea Dimokratia interpretierte Mitsotakis als Auftrag der Wählerinnen und Wähler, beim nächsten Wahlgang die Alleinregierung zu stellen. Bei einer erneuten Wahl kann die Regierungspartei mit deutlichen Sitzgewinnen im 300 Sitze zählenden Parlament rechnen. Denn bei der nächsten Wahl gilt ein geändertes Wahlrecht, das dem Wahlsieger bis zu 50 Bonusmandate beschert.

Es ist also zu erwarten, dass Ende Juni erneut gewählt wird. Was könnte sich bei dieser Wahl ändern?

Wie gesagt winken der ND bei der Wahl im Juni bis zu 50 Bonussitze. Dann reichen schon circa 37 Prozent der Stimmen für eine absolute Mehrheit der Sitze. Auf genau diese absolute Mehrheit spekuliert die konservative Regierungspartei. Wenn die Regierung ihr Ergebnis halten kann, dann kann sie mit über 170 Sitzen im 300 Abgeordnete zählenden Parlament rechnen. Sogar eine verfassungsändernde Mehrheit von 180 Sitzen wäre in Reichweite. Bei gleichbleibendem Ergebnis würde die radikallinke SYRIZA von gegenwärtig 71 auf 60 Sitze abstürzen, auch die sozialdemokratische PASOK würde sieben Sitze verlieren und auf 34 Abgeordnete im Parlament kommen.

Die Mitsotakis-Partei hat mehrere Optionen.

Sollte es im Juni wider Erwarten nicht zu einer absoluten Mehrheit der Sitze für die Mitsotakis-Partei reichen, hat die Regierungspartei mehrere Optionen: Sie könnte versuchen, mit PASOK über eine Koalition zu verhandeln; ein Bündnis mit der rechtspopulistischen Kleinpartei „Griechische Lösung“ wäre die zweite Option. Die dritte Option ist es, eine kleine Zahl von Abgeordneten abzuwerben und in das eigene Lager herüberzuziehen. Mitsotakis hat diese wenig demokratische Option ganz offen als Möglichkeit in Aussicht gestellt.

Könnte PASOK am Ende die Rolle der Königsmacherin einnehmen, obwohl die Beziehungen zu SYRIZA wie auch zur ND deutlich vorbelastet sind?

Sowohl das Abhören ihres Vorsitzenden als auch die Vertuschung dieser Abhöraffäre durch die Regierung spricht aus der Sicht der sozialdemokratischen PASOK gegen eine Regierungsbildung mit der konservativen Regierungspartei. Dagegen spricht auch der zweifelhafte Umgang mit der Pressefreiheit – Griechenland rutschte unter der konservativen Regierung auf den EU-weit letzten Platz im Ranking von Reporter ohne Grenzen. Die Praxis illegaler Pushbacks von hilfsbedürftigen Migranten ist aus Sicht von PASOK ein weiteres Argument gegen eine Zusammenarbeit.

Für eine PASOK-SYRIZA-Regierung wiederum reichen die Stimmen im Parlament nicht. Gemeinsam kommen beide Parteien gerade einmal auf 112 Sitze. Auch eine Koalition aller linken Parteien unter Einschluss der Kommunisten hätte mit 138 Sitzen keine Mehrheit. Ohnehin würde die Koalitionsbildung wohl an der über Jahrzehnte gewachsenen Spaltung der Linken in Griechenland scheitern.