In Griechenland sind alle Banken geschlossen; das Land geht auf ein Referendum zu. Wie haben Sie die letzten Tage erlebt?

Die letzten Tage und Wochen sind geprägt von Unsicherheit und Angst, aber auch Frust und Wut. Diese Verhandlungen ziehen sich nun seit Monaten. Wir durften deshalb schon viele „Tage der Entscheidung“ erleben und mussten zusehen, wie sie verstrichen, ohne dass wirklich etwas passierte.

Gemeinhin herrschte in Griechenland bislang stets die Überzeugung, dass alles am Ende gut ausgehen werde. Nicht, weil das Vertrauen in die Regierung so groß war, sondern eher das Vertrauen zu Europa und dessen Fähigkeit, auch abweichende Positionen zu integrieren. Das ist jetzt offensichtlich kaum mehr möglich. In den eher regierungsnahen Kreisen machen sich Frust und Wut breit, sie sehen den Schwarzen Peter eindeutig in Brüssel und Berlin. Bei denjenigen, die skeptischer gegenüber Tsipras waren, stellt man Enttäuschung und auch Sorge fest: Sorge um die europäische Zukunft des Landes und Enttäuschung über das Versagen beider Seiten in den Verhandlungen. Dass diese ganze Szenerie nun auch noch vor geschlossenen Banken stattfindet, und sich die Sorge um Knappheit von Medikamenten oder Benzin verbreitet, heizt die Stimmung zusätzlich an.

Vorsichtig ausgedrückt sind die Reaktionen auf das angekündigte Referendum durchwachsen. Wie wird es in Griechenland diskutiert?

Momentan ist Griechenland ein gespaltenes Land. Ein Teil der Presse macht den Lesern deutlich: Es geht tatsächlich um die Entscheidung, ob das Land in der Eurozone bleiben soll. Das ist jedoch die eher regierungskritische Presse. Die Mehrheit ist weiterhin im Lager der Regierung verankert. Syriza ist es gelungen, mediale Dominanz zu erlangen. Die Wahrnehmung der Bürger ist von der Weltsicht Syrizas geprägt.

Teile der Bevölkerung glauben, sie könnten das Reformpaket ablehnen, dann gestärkt an den Verhandlungstisch zurückkehren und weiterhin Mitglied in der Eurozone bleiben.

Teile der Bevölkerung scheinen zu glauben, sie könnten tatsächlich das Reformpaket ablehnen, dann gestärkt an den Verhandlungstisch zurückkehren und weiterhin Mitglied in der Eurozone bleiben. Ein Teil der Bevölkerung freut sich über das Referendum, weil es ihnen – so glauben sie – die Chance gibt, sich aktiv in die Verhandlung einzubringen und ihren Frust gegenüber den Gläubigern zu artikulieren.

Wird es denn überhaupt möglich sein, ein rechtlich belastbares Referendum in der Kürze der Zeit durchzuführen?

Verwaltungstechnisch wird das sicherlich schwierig. Es muss ja innerhalb von einer Woche organisatorisch auf die Beine gestellt werden, und verursacht natürlich auch Kosten - etwa 110 Millionen Euro. Dennoch halten wir das für machbar – die griechische Verwaltung ist meist dann besonders gut, wenn es darum geht, kurzfristig Dinge zu improvisieren.

Rechtlich ist das Referendum umstritten, denn eigentlich darf in Griechenland über fiskalische Maßnahmen kein Referendum durchgeführt werden. Allerdings erlaubt die Verfassung die Volksbefragung bei Angelegenheiten von nationaler Bedeutung. Indem Tsipras diese Frage – nicht ganz zu Unrecht – dazu stilisiert, bewegt er sich vermutlich noch halbwegs auf dem Boden der Verfassung. Aber diese rechtlichen Bedenken spielen aktuell kaum mehr eine Rolle, das ist jetzt vor allem eine politische Frage.

Was ist der Schritt von Tsipras denn jetzt – Husarenstreich oder Verzweiflungstat?

Die Referendumsidee ist eine Mischung aus beidem. Es ist einerseits eine Idee, die aus der Verzweiflung geboren ist, weil man keinen anderen Ausweg mehr gesehen hat. Andererseits ist es aber auch ein Husarenstreich, weil so etwas durchaus ein gamechanger sein kann. Denn ein Referendum wäre ja durchaus wünschenswert, auch aus Perspektive der anderen Seite. Die Idee einer Volksabstimmung zu der Frage "Euro ja oder nein!“ gab es ja schon 2011. Damals hat sich der Referendumsvorschlag von Papandreou nicht durchgesetzt. Die Geschichte zeigt, dass diese wichtige Entscheidung des griechischen Volkes noch immer aussteht. Daher empfinden wir die Durchführung eines echten Referendums als hilfreich.

Allerdings ergibt sich ein Paradox, wenn Tsipras die Bevölkerung auffordert, das Reformpapier abzulehnen: Stimmt die Regierung für den Kurs der Regierung, endet es höchstwahrscheinlich in einem Grexit. Stimmt die Bevölkerung gegen Tsipras, müsste dieser eine Politik umsetzen, von der er selbst behauptet, sie sei „erpresserisch“ und „erniedrigend“ für das griechische Volk. Eine griechische Regierung, die eine Politik umsetzt, die sie für falsch hält: Das ist eigentlich nicht vorstellbar. Neuwahlen wären vermutlich die Folge.

Auf Twitter verkündete Tsipras gestern, ein griechisches Nein würde seine Verhandlungsposition stärken. Ist das eine realistische Einschätzung?

Das glauben wir nicht. Die griechische Regierung geht derzeit davon aus, dass sie nach einem Nein der Bevölkerung weiterverhandeln wird. Bei Tsipras und Syriza besteht anscheinend noch die Hoffnung, dass eine Ablehnung des „Rettungsrings aus Blei“ von Seiten der griechischen Bevölkerung die Gläubiger wieder an den Verhandlungstisch zurück bringt. Diese Hoffnung ist aus unserer Sicht unbegründet.

Martin Schulz hat deutlich gemacht: Die griechischen Bürgerinnen und Bürger haben – sollte es tatsächlich zu einem Referendum kommen – eine letzte Chance, Tsipras zum Einlenken zu bewegen. Diese Einschätzung teilen auch viele Bürgerinnen und Bürger. Es gibt erste Berichte von einer Initiative der Bürgermeister von Athen und Thessaloniki zur Gründung eines nationalen Komitees zum Ja im Referendum. Demnach sollen 50 Persönlichkeiten den Bürgern die Auswirkungen eines Grexit erklären und sie zu einem Ja zum Euro und zum Verbleib Griechenlands in der Eurozone ermuntern. Die Parteien ND, PASOK und To Potami unterstützen die Initiative.