Die Fragen stellte Olga Vasyltsova.

Am Dienstag noch wurde ein umstrittenes Gesetz über „ausländische Agenten“ in der ersten Lesung verabschiedet, nun die angekündigte Rücknahme des Gesetzes nach Massenprotesten. Um was ging es in diesem Gesetz? 

Am 20. Februar brachte die Fraktion Macht des Volkes einen Gesetzesentwurf „Zur Transparenz ausländischen Einflusses“ in das georgische Parlament ein. Bei der Macht des Volkes handelt es sich um eine Abspaltung von der Regierungsfraktion des Georgischen Traums, bestehend aus neun Abgeordneten, die trotz der Abspaltung weiterhin zur Regierungsmehrheit gehören. Das Ziel der Gesetzesinitiative sei die Herstellung von Transparenz über ausländischen Einfluss auf die georgische Politik. Der Entwurf sieht die Einrichtung eines Registers für sogenannte ausländische Agenten vor, in dem sich Medien und Nichtregierungsorganisationen mit ausländischer Finanzierung von über 20 Prozent unter Androhung von Geldstrafen registrieren lassen sollen. Außerdem hätten zusätzliche Berichtspflichten für diese „Agenten“ gegolten und Kontrollmöglichkeiten durch das Justizministerium wären eingeführt worden. Der Georgische Traum unterstützte das Vorhaben.

Befürchtet wird aber, dass, wenn ein Gesetz erstmal verabschiedet worden ist, es jederzeit zu Verschärfungen kommen kann. 

Kritik gab es aus der Zivilgesellschaft, den Medien und von ausländischen Beobachterinnen und Beobachtern, die auf die Ähnlichkeiten des Entwurfs mit den russischen und ungarischen „Agentengesetzen“ verweisen. Die Unterstützerinnen und Unterstützer des Gesetzes entgegnen, der Entwurf basiere auf dem US-amerikanischenForeign Agents Registration Act von 1938, was wiederum von offiziellen Vertreterinnen und Vertretern der USA für falsch erklärt wurde. Anders als das US-amerikanische Gesetz beziehen das russische Gesetz und der georgische Entwurf explizit Medien mit ein. Im russischen Gesetz gehen jedoch die Sanktionen deutlich weiter und Publikationen sogenannter „Agenten“ müssen entsprechend deklariert werden, was im georgischen Fall nicht so ist. Befürchtet wird aber, dass, wenn ein Gesetz erstmal verabschiedet worden ist, es jederzeit zu Verschärfungen kommen kann. 

Was bedeutet das für die demokratische Entwicklung Georgiens?

Der Entwurf erscheint unverhältnismäßig zum Gesetzeszweck. Wenn es um die Herstellung von Transparenz in der Finanzierung von zivilgesellschaftlichen Organisationen geht, so wäre dies beispielsweise über steuerrechtliche Auflagen möglich gewesen, ohne gleich die Wortwahl „ausländischer Agent“ zu wählen. Für Georgien, welches immer ein Vorbild für eine gelungene demokratische Entwicklung in der Region war, ist es ein ungewöhnlicher Schritt. Der aktuelle Entwurf ist nach Ansicht der EU und der Mitgliedstaaten mit dem EU-Acquisinkompatibel. So widerspricht er der Europäischen Menschenrechtskonvention und dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Es gibt Hinweise auf Verstöße gegen wesentliche Normen, etwa der Vereinigungsfreiheit, des Diskriminierungsverbots, des Schutzes persönlicher Daten und möglicherweise der Freiheit des Kapitalverkehrs. Der Entwurf steht zudem im Widerspruch zu den zwölf Empfehlungen der EU, die Georgien erfüllen soll, um einen EU-Kandidatenstatus zu erhalten. Die siebte Empfehlung betrifft die Medienfreiheit und die zwölfte die Stärkung der Zivilgesellschaft. Als Reaktion auf die Kritik brachte die Macht des Volkes einen zweiten Entwurf ein, der sich stärker an dem US-Vorbild orientieren soll und Regelungen enthält wie Haftstrafen bei Zuwiderhandlung von bis zu fünf Jahren. Damit soll gezeigt werden, dass der ursprüngliche georgische Entwurf „milder“ als das amerikanische Gesetz sei. Beide Gesetze sollten der Venedig-Kommission des Europarates vorgelegt werden, die Staaten verfassungsrechtlich berät. Nun aber der Rückzieher, da der Widerstand der mutigen georgischen Bevölkerung und die internationale Kritik womöglich stärker waren, als es die Parlamentsmehrheit erwartet hatte.

Was passierte auf den Straßen von Tiflis?

In den Nächten auf Mittwoch und auf Donnerstag gab es jeweils Massenproteste vor dem Parlament und in der umliegenden Innenstadt bis tief in die Nacht hinein. Dabei versuchten einige Demonstrantinnen und Demonstranten das Parlament zu stürmen. Leider flogen zum Teil auch Steine, Flaschen und Molotowcocktails, die Polizei reagierte mit Tränengas und Wasserwerfern. Die Zahl der Protestierenden hat in der zweiten Nacht wohl deutlich zugenommen. Auch in anderen Städten wie Batumi, Kutaisi, Zugdidi, Poti, Akhaltsikhe, Marneuli und Gori wurde in der letzten Nacht demonstriert. Auch öffentliche Figuren wie der Fußballverein Dinamo Tiflis und der beim italienischen Tabellenführer Napoli spielende Stürmerstar Chwitscha Kwarazchelia haben sich zu den Protesten bekannt. 

Warum haben die Leute protestiert? Was droht ihnen? 

Die Verabschiedung des „Agentengesetzes“ in der ersten Lesung ist im Kontext einer anhaltenden enormen Polarisierung von Politik und Medien zu sehen, welche das Land lähmt. Mit dem „Agentengesetz“ verbinden viele Menschen die Angst, dass die EU sich deshalb gegen den Kandidatenstatus für Georgien entscheiden und das Land am Ende außen vor bleiben könnte – während die Ukraine und die Republik Moldau diesen Status längst bekommen haben.

Der EU-Beitritt wird in Georgien von mehr als 80 Prozent der Menschen unterstützt.

Der EU-Beitritt wird in Georgien von mehr als 80 Prozent der Menschen unterstützt. Seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hat dieser ohnehin schon seit zwei Dekaden sehr hohe Wert weiter zugenommen. Zudem galt Georgien unter den drei assoziierten Ländern, neben der Republik Moldau und der Ukraine, als das Land, welches das Assoziierungsabkommen mit der EU am weitesten umgesetzt hatte – übrigens ein Verdienst des Georgischen Traums, der natürlich auch den Grundkonsens des EU-Beitritts unterstützt. Es droht, dass Georgien letztlich keinen Kandidatenstatus bekommt und das Europathema zum Gegenstand der Polarisierung und des Parlamentswahlkampfes 2024 wird. Wohl auch deswegen ist das Gesetz nun zurückgenommen worden.

Ist damit die Krise beendet? 

Die Protestierenden sind zwar erleichtert, aber es bleibt große Skepsis und Misstrauen. Technisch wurde bislang nur angekündigt, das Gesetz zurückzunehmen. Praktisch muss nun das Parlament erneut zusammenkommen und die Rücknahme formell beschließen. Bis Ende der Woche ist aber keine weitere Plenarsitzung angekündigt. Die Protestierenden wollen sich daher am Donnerstagabend erneut vor dem Parlament versammeln. Zudem hat der Georgische Traum in einer Stellungnahme angekündigt, der Öffentlichkeit besser zu erklären, wofür das Gesetz gedacht war und warum es wichtig sei, „die Transparenz des ausländischen Einflusses zu gewährleisten“. Dafür werde man die Öffentlichkeit über „jedes einzelne Detail der Angelegenheit informieren“. Es steht zu befürchten, dass zwar das Gesetz gekippt wurde, es aber bei der Stimmungsmache gegen ausländische Einflussnahme bleibt.

Präsidentin Salome Surabischwili hatte ein Veto in Aussicht gestellt. Konnte sie damit die Gesellschaft beruhigen? 

Das angekündigte Veto der Präsidentin hatte einen symbolischen Wert. Gleichwohl kann dieses durch die Parlamentsmehrheit wiederum überstimmt werden. Surabischwili, die mit Unterstützung des Georgischen Traums ins Amt kam, hat sich aus dem fernen New York an die Seite der Demonstrierenden gestellt. Es ist nicht das erste Mal, dass sie sich kritisch gegenüber der Regierung äußert. Zwar droht der Graben zwischen Präsidentin und Regierung weiter aufzuklaffen, aber Surabischwili kann in dieser schwierigen Situation im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Möglichkeiten auf beide Seiten einwirken und so zu einer Beruhigung der Situation beitragen. Theoretisch hätte sie sogar die Möglichkeit, im Falle einer noch schlimmeren Eskalation bei gleichzeitiger Vorlage von 200 000 Unterschriften, das Parlament aufzulösen.

Wie war die Reaktion der internationalen Gemeinschaft? Wie sollte der Westen handeln?

Die Position der EU und der anderen westlichen Partner Georgiens sind deutlich: Das „Agentengesetz“ widerspricht den georgischen Beitrittsambitionen. Laut Brüssel würde ein Beschluss des Gesetzes auch entsprechende negative Auswirkungen haben. Die USA sind in ihren Äußerungen sogar noch schärfer, auch Sanktionen gegen Einzelpersonen standen offenbar im Raum.

Die Polarisierung in Georgien hat tiefergehende Ursachen als das jetzt diskutierte „Agentengesetz“.

Das Problem muss aber auch jenseits dessen angegangen werden: Die Polarisierung in Georgien hat tiefergehende Ursachen als das jetzt diskutierte „Agentengesetz“. Es muss darum gehen, sowohl die Zivilgesellschaft zu unterstützen, als auch für einen Dialog zwischen Regierung und Zivilgesellschaft zu werben, denn das große Ziel vereint beide Seiten: Georgiens europäische Zukunft.