Lesen Sie dieses Interview auch auf Russisch.
Die Fragen stellte Nikolaos Gavalakis.
Das Verhältnis zu Russland scheint nach der Vergiftung des Oppositionsführers Alexej Nawalny und seiner Behandlung in der Berliner Charité nachhaltig gestört. Wie sollte Ihrer Meinung nach eine angemessene Reaktion aussehen?
Es war zunächst die einzig richtige Reaktion, dass Alexej Nawalny die Möglichkeit bekommen hat, in Berlin behandelt zu werden. Ich freue mich, dass er inzwischen das Krankenhaus verlassen konnte und sich auch wieder öffentlich äußern kann. Schließlich handelt es sich um den bekanntesten Oppositionspolitiker Russlands, der offenbar mundtot gemacht werden sollte. Das ist nicht gelungen. Der Anschlag auf sein Leben, noch dazu mit einem international verbotenen Nervenkampfstoff, hat viele Fragen aufgeworfen, die nur Russland beantworten kann. Nun erscheint es fraglich, ob es dazu willens ist. Deutschland hat die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OVCW) eingeschaltet, die als internationale Organisation für die Fragen zuständig ist, die mit dem eingesetzten Nervenkampfstoff zusammenhängen. Die OVCW hat den Befund nun bestätigt. Das geht alle etwas an. Daher wird eine Reaktion auch mit unseren Partnern abgestimmt sein.
Es heißt immer, man müsse mit Russland im Gespräch bleiben, da man das Land für die internationale Kooperation und die Lösung von regionalen Konflikten benötige. Mit Blick auf die Situation in der Ukraine, in Syrien und Libyen sowie die Auftragsmorde in Salisbury und Berlin: Muss man nicht eingestehen, dass dieser Ansatz endgültig gescheitert ist?
Im Gespräch zu bleiben, ist keine bloße Option der Außenpolitik, sondern eine Notwendigkeit. Es kommt natürlich darauf an, welche Botschaft wir vermitteln. Wir können und werden nicht aufhören, Russland an seine Verpflichtungen und seine Verantwortung zu erinnern. Das gilt für die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen, für Syrien, Libyen, aber auch für die Verpflichtungen zur Wahrung der Menschenrechte in Russland und weltweit. Aber auch wenn wir derzeit von Russland wenig vertrauensbildende Maßnahmen sehen, werden wir weiter dafür werben, verlorenes Vertrauen wieder aufzubauen. Dafür eignet sich die zivilgesellschaftliche Ebene, wo sich Menschen begegnen und verstehen lernen, besonders gut.
Sie befürworten die Vollendung von Nord Stream 2. Lassen wir die energiepolitischen Aspekte mal beiseite: Sendet man schlichtweg nicht das falsche Signal Richtung Moskau, wenn die Pipeline zum jetzigen Zeitpunkt dennoch vollendet wird?
Das Signal, das wir jetzt an die russische Führung senden müssen, ist, dass die Nutzung von Chemiewaffen sowie schwerste Verletzungen fundamentaler Menschenrechte nicht akzeptabel sind. Dieses Signal sollten wir mit größtmöglicher Geschlossenheit auf europäischer Ebene übermitteln. Dann wird es auch verstanden werden. Dass wir gleichzeitig auch weiterhin mit Russland Handel treiben, ist eine andere Frage und verändert nicht diese klare Botschaft.
Wir können und werden nicht aufhören, Russland an seine Verpflichtungen und seine Verantwortung zu erinnern.
In Belarus demonstrieren seit Wochen Hunderttausende gegen die offensichtlich manipulierte Präsidentschaftswahl. Alexander Lukaschenko kann sich auf seinen loyal ergebenen Sicherheitsapparat sowie die Unterstützung Russlands verlassen. Trotz Protesten hat er sich vereidigen lassen. Was können Deutschland und die EU machen, um zu einer Lösung beizutragen?
Die Beharrlichkeit, mit der die Bürgerinnen und Bürger in Belarus seit Wochen auf die Straße gehen, um friedlich für freie und faire Wahlen zu demonstrieren, ist beachtlich. Lukaschenko ist auf der Grundlage gefälschter Wahlen nicht mehr der legitime Präsident des Landes, auch wenn er sich mit massiven Repressionen an die Macht klammert. Wir wollen nicht von außen eine Lösung in das Land hineintragen, sondern haben Vermittlung angeboten, damit ein Dialog im Land stattfinden kann. Dies wäre im Rahmen der OSZE möglich und angemessen. Da sich aber Lukaschenko nicht darauf einlassen will, hat die EU Maßnahmen gegen diejenigen beschlossen, die für die Repressionen, die Gewalt und die Unterdrückung der Zivilgesellschaft und die Wahlmanipulationen verantwortlich sind.
Im Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Region Berg-Karabach gibt es derzeit die schwerste Eskalation seit Jahrzehnten. Was kann getan werden, um die Streitparteien zu einer friedlichen Beilegung des Disputs zu bewegen?
Erst einmal kommt es darauf an, dass Armenien und Aserbaidschan die Gewalt gegeneinander beenden. Dann braucht es den Wiedereinstieg in substanzielle Verhandlungen zwischen Armenien und Aserbaidschan ohne Vorbedingungen. Für die politische Bearbeitung dieses Konflikts bleibt die OSZE-Minsk-Gruppe das richtige Forum. Politische Verhandlungen gelingen immer einfacher, wenn sie Unterstützung aus den Zivilgesellschaften bekommen. Begegnungen und Austausch von Mensch zu Mensch können langfristig Vertrauen zwischen Gesellschaften fördern und so die Voraussetzungen verbessern für schwierige Verhandlungen zwischen politischen Entscheidungsträgern. Das Auswärtige Amt finanziert seit Jahren ein Projekt, das darauf zielt, durch biografisches Erzählen das Verständnis für die jeweils andere Perspektive unter Menschen auf beiden Seiten des Berg-Karabach-Konflikts zu fördern. Kontakt und Austausch zwischen Zivilgesellschaften bleibt langfristig der richtige Weg, und dafür werbe ich.
Der postsowjetische Raum zwischen der EU und Russland ist allgemein von einer Vielzahl von Konflikten geprägt. Was nehmen Sie sich für Ihre Amtszeit vor, um zu Fortschritten in den Beziehungen zwischen den Ländern beitragen zu können?
Wichtig für mich ist es, dass wir unsere Beziehungen mit gegenseitigem Respekt pflegen und um Vertrauen werben. Das ist in den zwölf Ländern, für die ich zuständig bin, unterschiedlich ausgeprägt. In jedem Fall will ich aber dicke Bretter bohren. Das heißt, langfristige Beziehungen nicht nur zwischen Regierungen, sondern zwischen Menschen zu fördern, ob diese sich um Kultur, Sport, Wirtschaft oder Menschenrechte kümmern oder in Städtepartnerschaften über Lösungen für lokale Probleme sprechen. Darin sehe ich meine Aufgabe, unabhängig von den Entwicklungen in der aktuellen Diplomatie.