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Interview von Claudia Detsch und Nikolaos Gavalakis
Im vergangenen Jahr ist die Regierungsbildung noch an persönlichen Differenzen gescheitert, nun finden die sozialdemokratische PSOE unter Pedro Sánchez und die links-populistische Podemos unter Pablo Iglesias doch noch in einer gemeinsamen Regierung zueinander. Handelt es sich um mehr als ein aus der Not geborenes Zweckbündnis?
Zwischen beiden Koalitionspartnern gibt es zwar ein Regierungsabkommen, in dem die beabsichtigten Schwerpunkte der politischen Arbeit umrissen werden – indes ist es bei weitem nicht mit den detaillierten Koalitionsverträgen etwa in Deutschland vergleichbar. Eher gilt: Halb zog sie ihn, halb sank er hin.
Beflügelt durch das gute Abschneiden der PSOE bei den Wahlen im April hatte Sánchez zunächst auf ein noch besseres Abschneiden bei den Novemberwahlen gehofft – vergeblich. Er blieb auf Podemos angewiesen. Mehr noch war die Stimmungslage der Mehrheit in der PSOE wie Podemos klar: Weder sollte es persönliche Animositäten noch taktische Spielchen um Zahl und Kompetenz von Ministerien geben – schließlich hatte die PSOE im Vergleich zum April drei und Podemos sogar sieben Mandate eingebüßt. Deshalb auch die schnelle Einigung nach den zweiten Neuwahlen im November mit den demonstrativen Umarmungsszenen. Zudem waren die Kooperationsalternativen begrenzt: Die konservative PP lehnte eine Unterstützung ab. Die rechtsliberale Ciudadanos, der große Wahlverlierer, kam durch die dramatischen Mandatsverluste als Partner nicht mehr in Frage. Die Rechtspopulisten der VOX waren natürlich ohnehin keine Option. VOX zog mit gleich 15 Prozent erstmals in das spanische Parlament ein und ist damit im europäischen Vergleich eine der stärksten parlamentarischen Vertretungen der Rechtspopulisten.
PSOE und Podemos verfügen über keine eigene Mehrheit im Parlament, zudem handelt es sich um die erste Koalitionsregierung der jüngeren Geschichte. Wie tragfähig ist diese Regierung überhaupt?
Bei der Frage, ob aus der Vernunftsentscheidung der ersten Koalitionsregierung Spaniens seit den 30er Jahren ein planvolles progressives Bündnis wird, das das Land auf Jahre prägen wird, ist Skepsis angebracht. Beide bringen es nur auf 155 der notwendigen 176 Mandate für eine Mehrheit. Es ist daher eine Regierung auf Abruf, sie bleibt abhängig von den baskischen wie katalanischen Regionalparteien. Letztere haben den Regierungschef schon im letzten Jahr bei den Abstimmungen über den Staatshaushalt im Stich gelassen – was dann der Auftakt für die doppelten Neuwahlen war.
Von den anderen Parteien ist keine Unterstützung zu erwarten: Die rechtsliberale Ciudadanos ist nach dem Wahldesaster und dem Rücktritt ihres Vorsitzenden zunächst einmal mit sich selbst beschäftigt und sucht einen neuen Kurs. Die konservative PP wird nach jeder Möglichkeit Ausschau halten, diese (in ihren Augen) Frankenstein-Regierung zu Fall zu bringen.
Sánchez wurde mit den Stimmen der größten katalanischen Separatistenpartei ERC gewählt. Welche Zugeständnisse musste Sánchez dafür machen?
In einer gemeinsamen Absichtserklärung mit der ERC hat Sánchez einem Dialog über den „politischen Konflikt“ zwischen Madrid und Barcelona zugestimmt. Die ERC interpretiert dies schon als Einstieg in Verhandlungen über ein Unabhängigkeitsreferendum. Der Premier hat indes immer deutlich gemacht, dass man zwar über mehr autonome Rechte sprechen könne, indes alles im Rahmen der spanischen Verfassung und des Verbleibs Kataloniens bei Spanien. Schon in zwei Wochen sollen die Gespräche losgehen. Die Konflikte sind vorprogrammiert.
Dabei wäre eine Lösung der Katalonienfrage ein Segen. Sie hängt wie eine lähmende Dunstglocke über der spanischen Politik und Gesellschaft. Sie spaltet die Parteien und sorgt dafür, dass oft zu den wirklich wichtigen Zukunftsfragen (wie etwa Rente, Digitalisierung, Klima) nicht vorgedrungen wird. Die Frage ist, wie man den gordischen Knoten durchtrennt, der das Land in katalanische Unabhängigkeitsbefürworter (wie die ERC), Verfechter föderativer Lösungen (wie die PSOE und weite Teile von Podemos) und zentralistische Hardlinier (PP, VOX) teilt. Letztere würden am liebsten zum starken Zentralstaat zurückkehren und die katalanischen Querulanten erneut unter Zwangsverwaltung stellen. Zum dialogbereiten Kurs von Sánchez und seiner Politik der kleinen Schritte sehe ich allerdings keine sinnvolle Alternative.
Welche konkreten Reformen strebt die Regierung an?
Das sozialpolitische Vorzeigevorhaben soll das Zurückdrehen der konservativen Reform der Arbeitsgesetze aus dem Jahr 2012 sein. Deshalb haben sich auch die beiden Gewerkschaftsbünde UGT und CCOO so vehement für das Zustandekommen der Koalitionsregierung eingesetzt. Sie erhoffen sich wieder bessere Organisations- und tarifpolitische Handlungsmöglichkeiten. Dazu bedarf es jedoch einer parlamentarischen Mehrheit und im Vorfeld erfolgreicher Übereinkommen zwischen den Sozialpartnern – hier ist der Ausgang mehr als ungewiss.
Pedro Sánchez steht für eine selbstbewusste Rolle Spaniens innerhalb der EU. Welche Außenpolitik ist von diesem linken Regierungsbündnis zu erwarten?
Die neue Regierung bleibt nicht nur eine Regierung auf Abruf, sondern auch eine Regierung der Innenpolitik. Ja, es gibt ein neues europapolitisches Selbstbewusstsein und den Willen, sich nach einem Jahrzehnt des Stillstands wieder in Europa einzumischen. Der neue EU-Außenbeauftrage sowie die neue Vorsitzende der S&D-Fraktion sind Ausdruck davon. Außenpolitisch dürfte eher auf Sicht gefahren werden, und man wird sich dort engagieren, wo unmittelbar spanische Interessen berührt sind, wie es etwa in einer gemeinsamen europäischen Migrationspolitik oder dem Verhältnis zu den nordafrikanischen wie lateinamerikanischen Ländern der Fall ist.