Die Fragen stellte Mira Groh.

Joe Biden gegen Donald Trump – im November kommt es in den USA aller Voraussicht nach zum ersten Mal seit fast 70 Jahren zur Neuauflage eines Wahlduells, das es schon einmal gab. Der 77-jährige  Ex-Präsident sucht die Revanche, der 81-jährige Amtsinhaber hatte wiederum vor seinem Wahlsieg signalisiert, er werde nach einer Amtszeit den Stab an eine neue Generation übergeben. Heute behauptet er, nur er sei in der Lage, Trump zu besiegen. Sind die Vereinigten Staaten im Stillstand gefangen?

70 Prozent der Amerikanerinnen und Amerikaner waren dagegen, dass bei der diesjährigen Präsidentschaftswahl Biden und Trump zum zweiten Mal gegeneinander antreten. Trotzdem würde ich nicht sagen, dass die USA nicht mehr fähig wären, sich vorwärts zu bewegen. Im politischen System der Vereinigten Staaten gibt es bestimmte Strukturelemente, die früher gute Dienste geleistet haben und heute nicht mehr funktionieren. Das hat vor allem zwei Gründe. Erstens ist die Gesellschaft viel stärker in Lager gespalten und polarisiert als in früheren Zeiten, und zweitens wirken sich genau dadurch manche Strukturen, die sich früher kaum bemerkbar machten, inzwischen sehr deutlich aus. Das offensichtlichste Beispiel ist das Electoral College – das Wahlleutegremium. Dieses demokratische Konstrukt läuft dem Mehrheitsprinzip zuwider und hat sich schon kurz nach seiner Einführung im 18. Jahrhundert als dysfunktional erwiesen. Heute führt es dazu, dass es bei der bevorstehenden Wahl genau wie bei jeder Wahl der vergangenen 20 Jahre letztlich auf sechs Bundesstaaten ankommt – und auf die Stimmen von vielleicht gerade einmal 50 000 Menschen in diesen Staaten. Dass eine demokratische Gesellschaft mit dieser Methode ihre politische Führung wählt, ist aberwitzig.

Es gibt in der Gesellschaft ein Gefühl von Stillstand oder vielleicht sogar von Erschöpfung.

Es gibt in der Gesellschaft ein Gefühl von Stillstand oder vielleicht sogar von Erschöpfung. Die Aufspaltung in parteipolitische Lager ist so tief, dass wir es noch nicht einmal schaffen, Gesetze zu verabschieden, die eigentlich Routine sein sollten, aber nötig sind, um den Staat am Laufen zu halten. Es fehlt die Fähigkeit, Kompromisse einzugehen oder sich auf etwas zu einigen, besonders auf Seiten der Republikaner. Schon bevor er nominiert wurde, hat Trump den Republikanern im Kongress erfolgreich verboten, sich mit den Demokraten auf Vereinbarungen zu verständigen. Ein Beispiel ist das Thema Einwanderung: Trump will, dass die Situation an der Grenze zu Mexiko sich so schlimm wie möglich gestaltet, damit er Biden dafür verantwortlich machen kann. Die Demokraten waren sogar bereit, für ein Einwanderungsgesetz Positionen aufzugeben, an denen sie seit Jahrzehnten festhalten. Viele Republikaner waren gewillt, dieses Gesetz anzunehmen, das viel striktere Kontrollen an den Grenzen vorsah. Im Nachhinein werden viele bedauern, dass sie diese parteiübergreifende Übereinkunft ausgeschlagen haben. Wer weiß, was ein Präsident Trump bei diesem Thema erreichen kann, falls die Demokraten keine Kompromisse machen? Andererseits: Werden die Wählerinnen und Wähler sich im November überhaupt noch daran erinnern, dass Trump und die Republikaner die Kompromissverhinderer waren?

Was heißt es für die Republikanische Partei, dass Trumps Schwiegertochter Lara Trump neuerdings Co-Vorsitzende des Republican National Committee (RNC) ist – also des nationalen Organisationsgremiums der Partei?

Dass Trump die Kontrolle über den RNC übernimmt, hat für die Republikaner eine große Tragweite. An sich ist es nichts Ungewöhnliches, dass ein Präsidentschaftskandidat in dem Gremium seine eigene Mannschaft installieren will, zumal wenn die vorherige Führungsriege eine andere ideologische Einstellung hatte. Aber dass ein Präsident so viele Mitarbeitende des RNC vor die Tür setzt und seine Schwiegertochter ernennt, ist schon sehr außergewöhnlich. Gegen Trumps Vorgehen gab es auch bereits einigen Widerstand – nachdem er zum Beispiel im ganzen Land Kontaktstellen (sogenannte Outreach Centers) dichtgemacht hatte, die Amerikaner mit hispanischen, afrikanischen und asiatischen Wurzeln als Wähler für die Republikaner gewinnen sollten.

Größere Sorgen bereiten den Republikanern allerdings zwei andere Dinge: Zum einen gibt es die Befürchtung, Trump könnte die gesamten Ressourcen der republikanischen Wahlkampforganisation für seine Anwaltskosten aufbrauchen. Die zweite Sorge ist, dass er den RNC benutzen könnte, um Trump-Anhänger als republikanische Kandidaten für die vielen anderen bei der Wahl zu vergebenden Ämter auszusuchen. Das wäre deswegen ein Problem, weil die Republikaner ideologisch ein breiteres Spektrum abbilden müssen, wenn sie auch dort gewinnen wollen, wo sie nicht traditionell die stärkste Kraft sind. Dass Trump die Angewohnheit hat, ihm treu ergebene und deshalb genehme Kandidaten zu platzieren, hat er am deutlichsten bei den Midterms 2022 bewiesen. Man kann fast mit Sicherheit sagen, dass dies 2022 den Republikanern die Senatsmehrheit gekostet hat – und das Gleiche könnte in diesem Jahr bei der Wahl zum Repräsentantenhaus passieren.

Gibt es für Republikaner, die keine Trump-Anhänger sind, überhaupt noch Platz in der Partei?

Der Platz ist sehr begrenzt. Natürlich gibt es Ausnahmen. Ein Beispiel ist David Valladeo. Er ist einer der beiden Republikaner im Repräsentantenhaus, die nach dem Aufstand vom 6. Januar für Trumps Amtsenthebung gestimmt haben. Er hält sein Mandat noch immer. Doch die Basis der Republikanischen Partei steht hinter Trump und diese Basis ist so stark, dass sie gegen alle Widerstände seine erneute Nominierung durchsetzen konnte. Sie wird auch nicht verschwinden, selbst wenn Trump sich morgen in Luft auflösen würde. Diese Art von Populismus in Frage zu stellen, ist für Republikaner, die ein Amt oder Mandat innehaben, sehr schwer.

Die meisten Republikaner sind im Grunde ihres Herzens Konservative à la  Ronald Reagan.

Die meisten Republikaner sind im Grunde ihres Herzens Konservative à la Ronald Reagan. Sie sind weder überzeugt von Trumps Absage an den Globalismus noch von seinem Wunsch, unsere Verbündeten und speziell die NATO sich selbst zu überlassen. Sie sind auch nicht von Trumps erklärter Präferenz für Russland und von der Abkehr von Handel oder nationaler Geschlossenheit überzeugt. Das dürfen sie aber nicht öffentlich sagen – und das ist in der politischen Geschichte der USA eine durchaus erstaunliche und ganz neuartige Entwicklung. Die Wenigen, die dafür bekannt sind, dass sie ihre Stimme gegen Trump erheben, sind überwiegend ehemalige Mandatsträger wie Liz Cheney.

2020 verlor Trump die Stimmen der weiblichen Wählerschaft in den Vorstädten. Werden diese Stimmen auch diesmal eine Rolle spielen?

Bei dieser Wahl werden sie wohl keinen signifikanten Einfluss haben, weil die Dynamik nicht sehr viel anders sein wird als bei den beiden vorangegangenen Wahlen. Eine etwas größere Rolle könnte die weiße Arbeiterschaft spielen, denn sie hat 2020 mehrheitlich für Biden votiert und wird das diesmal möglicherweise nicht tun. Der Grund dafür ist eine massive Strukturveränderung, die seit relativ kurzer Zeit in Amerikas politischer Landschaft vor sich geht: Die Parteien sind dabei, ihre Klassenbasis zu tauschen. Bill Clinton verlor die Stimmen der Akademiker, gewann aber dafür eine stattliche Mehrheit bei der amerikanischen Arbeiterschaft hinzu. Heute ist es umgekehrt. Trump wird bei den Amerikanern ohne Hochschulbildung die Mehrheit holen und dafür fast alle Stimmen der Akademiker verlieren, zu denen tendenziell auch die Wählerinnen in den Suburbs gehören. Bei ihnen ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie die Demokraten wählen, sehr hoch – und auch der Stimmenvorsprung der Demokraten dürfte sich bei dieser Gruppe gegenüber der letzten Wahl vergrößern. Um ihre Stimmen wird Trump sich im Wahlkampf nicht besonders intensiv bemühen. Die entscheidende Frage ist, wie viele von ihnen zur Wahl gehen, denn sie gehören nicht zur klassischen Demokraten-Wählerschaft. Sie wünschen sich einen Kandidaten, der viel mehr als Joe Biden über einen ausgeglichenen Staatshaushalt, ein starkes Amerika mit einer starken Verteidigung, über Hochschulbildung und die Leistungsgesellschaft redet.

Wirtschaftspolitisch kann sich Bidens Bilanz sehen lassen. Er sorgt wieder für mehr Beschäftigung und arbeitet im Vergleich zum Chaos der Trump-Regierung geräusch- und reibungslos. Warum verliert er den Rückhalt der amerikanischen Arbeiterschaft?

Fakt ist, dass Biden eine bessere Wirtschaftsbilanz vorzuweisen hat als Trump 2019. Was Bidens wirtschaftspolitisches Team in gerade einmal anderthalb Jahren bewerkstelligt hat, damit das Land sich von der Inflation erholt, gehört zu den größten Leistungen, die ich in meinem ganzen Leben unter irgendeinem Präsidenten erlebt habe. Trotzdem haben die Menschen nach wie vor das Gefühl, es wäre ihnen 2019 besser gegangen. Der Präsident steht vor einem doppelten Problem: Erstens versteht Bidens Team sich nicht gut darauf, seine Erfolge kommunikativ zu vermitteln. Die meisten Wählerinnen und Wähler wissen gar nicht, dass es diese Erfolge gab. Zweitens ist die Inflation nicht verschwunden und trifft die Arbeiterschicht am härtesten. Momentan wenden die Amerikaner einen so großen Anteil ihres Einkommens für Lebensmittel auf wie seit 30 Jahren nicht mehr. Inflation ist leider in vielen Fällen ein echter Präsidentenkiller.

Aktuell liegt Trump in den Umfragen vorn. Was würden Sie den führenden Politikern in Europa in der jetzigen Situation raten?

Wir wissen nicht, ob Trump die Wahl gewinnt, und wir wissen auch nicht, was passiert, wenn er sie denn gewinnt. Wie viele andere Populisten auch kündigt Trump bestimmte Maßnahmen an, die er in Wahrheit nicht durchziehen will oder nicht durchziehen kann. Zum einen hat er anscheinend wirklich eine Antipathie gegenüber den Bündnissen der USA und ein empathisches Verhältnis zu Diktatoren. Zum anderen gab es aber während Trumps Präsidentschaft keine signifikante Hinwendung der USA zu Russland oder China. Europa sollte jetzt nicht in Panik verfallen, aber sich darauf einstellen, dass Amerika weniger als bisher eine weltweite Führungsrolle spielen würde. Auch für den Fall, dass Trump verliert, sollte Europa sich bereitmachen, denn Sätze wie „Wir müssen raus aus der NATO, unsere Verbündeten hauen uns alle übers Ohr“ könnte Trump nicht sagen, wenn sie nicht der tatsächlichen Stimmung in Teilen der amerikanischen Bevölkerung entsprechen würden.

Die Politiker in Europa müssen begreifen, dass für die USA die transatlantische Beziehung nicht mehr den gleichen Stellenwert hat wie früher. Sie müssen sich mehr als bisher ernsthaft klarmachen, was eine „Zeitenwende“ real bedeuten würde: dass Europa entschlossener als bisher die Führung übernimmt, dass Deutschland seine militärischen Kapazitäten stärkt und bereit ist, sich der amerikanischen Führungsrolle zu widersetzen und zu einer Instanz zu werden, die demokratische Gesellschaften in der ganzen Welt zusammenführt. Deutschland muss in Europa und in der Welt eine andere Rolle einnehmen und in vielfältiger Weise das Vakuum füllen, das durch Amerikas Rückzug entsteht.

 

Aus dem Englischen von Andreas Bredenfeld