Interview von Claudia Detsch

Schülerinnen und Schüler, die für mehr Klimaschutz streiken, rechtspopulistische Parteien, die  mit der Verteidigung von Diesel und Fleischkonsum Wahlkampf machen – löst der Klimawandel gerade Einwanderung und Migration als zentrale Kontroverse der öffentlichen Debatte ab?

Die Klimapolitik zieht zumindest gleich. Wenn man wissen will, was die Bürgerinnen und Bürger am stärksten bewegt, dann war das am Anfang des Jahres noch zu über einem Drittel Einwanderung, Flucht, Migration. Das war das Aufregerthema, das Polarisierungsthema. Inzwischen hat der Klimawandel aufgeschlossen. Es ist das wichtigste Ergebnis von ‚Fridays for Future‘ und der neuen Jugendbewegung, dass sie die Prioritäten der öffentlichen Aufmerksamkeit verschoben hat.

Glauben Sie, dass die Debatte zur Klimapolitik das Zeug hat, der Rechten Zulauf zu bescheren?

Sie hat zumindest das Potenzial einer neuen gesellschaftlichen Polarisierung. Das haben wir ansatzweise auch in Frankreich gesehen mit der Gelbwesten-Bewegung, die sich entzündet hat an einer Erhöhung der Benzinpreise. Da verknüpfen sich die ökologische und die soziale Frage. Deshalb kommt es aus meiner Sicht entscheidend darauf an, beides zusammen zu denken. Wenn man Ökologie gegen wirtschaftliches Wachstum, gegen Arbeitsplätze, gegen Wohlstand, gegen soziale Sicherheit ausspielt, dann werden wir eine massive Gegenreaktion erleben und eher eine Blockade als einen Durchbruch ökologischer Ziele.

Wie kann man die Bevölkerung mitnehmen? Auch diejenigen, die nicht über die nötigen finanziellen Mittel verfügen, um das schlicht aufzufangen?

Es fängt damit an, dass wir die ökologische Frage nicht moralisch überhöhen dürfen, nicht zu einem Kulturkampf machen dürfen zwischen den ökologisch Einsichtigen und den Verstockten und Zurückgebliebenen. Die Privatisierung der Klimafrage halte ich für einen großen Fehler, sie vor allem zu einer Frage der privaten Lebensführung, der persönlichen Lebensführung zu machen statt zu einer strukturellen Frage. Man muss zum Beispiel aufpassen, dass man richtige ökologische Anliegen nicht ausspielt gegen die kleinen Handwerker mit ihren Diesel-Transportern und gegen Pendler. Es braucht soziale Sensibilität und ein Bewusstsein dafür, dass unser persönliches Leben sehr stark von wirtschaftlichen und strukturellen Voraussetzungen abhängt, die wir nur kollektiv verändern können.

Entlassen Sie damit nicht den Konsumenten aus seiner Verantwortung?

Wir sollten die ökologische Frage nicht in erster Linie als Forderung nach Einschränkung anlegen. Dieses „Du darfst nicht! Du sollst nicht!“ nenne ich die ‚Ökologie der Restriktion‘. Vielmehr sollten wir sie stärker als eine Innovationsfrage anlegen, als eine Frage neuer Produkte, Technologien und industrieller Verfahren. Natürlich spielt die individuelle Lebensführung eine Rolle. Mir geht es nicht darum, persönliche Verantwortung kleinzureden. Aber wenn die Herausforderung lautet: die CO2-Emission der hochentwickelten Industriegesellschaften um 90 Prozent zu reduzieren, dann geht das nicht über Einschränkung und Verzicht, sondern nur über radikale technologische Innovation, also über eine grüne industrielle Revolution. Es geht um eine neue Stufe der Industriegesellschaft, die auf Solarenergie, Steigerung von Ressourceneffizienz, Kreislaufwirtschaft ohne Abfall aufbaut. Dafür müssen wir eine Aufbruchsstimmung schaffen und gesellschaftliche Allianzen bilden, auch mit den Gewerkschaften und Unternehmen.

Sie sehen die Lösung im technologischen Fortschritt?

Wir müssen die Flucht nach vorne ergreifen. Das heißt im Kern eine Entkoppelung von Wohlstandsproduktion und Naturverbrauch. Das ist die große Herausforderung für die nächsten zwanzig, dreißig Jahre. Ob uns das gelingt? Das fängt mit der Energiewende an: mit der Abkehr von fossilen Energien, mit neuen Mobilitätssystemen bis hin zu einer Umstellung der chemischen Industrie und der Stahlproduktion auf grünen Wasserstoff statt Mineralöl und Kokskohle. Wir müssen die Industriegesellschaft ökologisch erneuern. Das ist die Antwort.

Haben Sie keine Sorge, dass es wie in der Vergangenheit schlicht zum Rebound-Effekt kommt, dass also erhöhte Energieeffizienz in erster Linie zu mehr Wachstum und höherem Verbrauch führt?

Wenn es zu Substitutionseffekten kommt, dann können Sie auch dem Rebound-Effekt entgehen. Wenn wir nur Kohlekraftwerke immer effizienter machen, dann bleiben wir im Rebound-Effekt gefangen. Wenn uns der Sprung in eine Erneuerbare-Energien-Welt gelingt, dann können wir ihm entkommen. Das gilt auch für das Stichwort Kreislaufwirtschaft, also die Kreislaufführung von Ressourcen in einer Zero-Waste-Ökonomie. Natürlich sind das große Herausforderungen, bei denen man sich nicht darauf verlassen kann, dass der Markt sie von selbst lösen wird. Wir brauchen politische Weichenstellungen, politische Hebel, zum Beispiel über die Internalisierung von ökologischen Kosten in die Marktpreise. Märkte funktionieren nur als ein intelligentes Allokations- und Innovationssystem, wenn die Preise auch die tatsächlichen Kosten reflektieren, nicht nur die direkten Produktionskosten, sondern die volkswirtschaftlichen. Das sind die großen Weichenstellungen, die Politik vornehmen muss, um diesen Prozess zu beschleunigen und in die richtige Richtung zu lenken.

Wen sehen Sie dabei in der Führungsrolle? Sind das noch die westlichen Industriestaaten? Oder eher aufstrebende Schwellenländer, allen voran China?  

Die alten hochentwickelten Industriegesellschaften haben nach wie vor eine besondere globale Verantwortung, nicht nur wegen des CO2-Kontos, das wir über die letzten 150 Jahre aufgehäuft haben. Gleichzeitig haben wir alle Voraussetzungen, um die ökologische Modernisierung zu einer Erfolgsgeschichte zu machen. Wir haben ein leistungsfähiges Bildungs- und Wissenschaftssystem. Wir haben Industrien mit einem hohen Ingenieurwissen und technischem Knowhow. Wir haben eine kritische Öffentlichkeit. Wir haben viel Enthusiasmus für gesellschaftliches Engagement. Ich denke nach wie vor, dass wir das Schaufenster für die Welt sein müssen, dass man Wohlstand und soziale Sicherheit mit Umweltverantwortung unter einen Hut bringen kann. Gleichzeitig sind wir auch in einer Innovationskonkurrenz – mit China, Japan, mit Südkorea und zunehmend auch Indien. Die warten nicht darauf, was die Europäer tun. Wir haben kein Monopol mehr auf Hochtechnologie. Das gilt auch für den ganzen Bereich ökologischer Innovation. Wenn wir da zu viel Zeit verlieren, dann verpassen wir den Zug in die Zukunft.

Welche Bedeutung hat für Sie der Klimaschutz für die Verteidigung der Demokratie, die stark unter Druck steht in den traditionellen Industriegesellschaften?

Wenn wir den Wettlauf mit dem Klimawandel verlieren, dann rutschen wir in eine Art ökologischer Notstandsverwaltung, die die Freiheit des Einzelnen immer stärker reglementieren wird. Gleichzeitig gibt es aus dem Gefühl der Dringlichkeit heraus auch eine autoritäre Versuchung der Ökologie, jetzt massiv mit Verboten zu arbeiten, mit Einschränkungen, mit einer Art ökologischem Obrigkeitsstaat. Das halte ich für eine Sackgasse, nicht nur aus Demokratiegründen, sondern weil wir letztlich auf die Freisetzung von innovativen Lösungen setzen müssen. Ich bin immer noch überzeugt, dass eine offenen Gesellschaft mit politischen Pluralismus, Unternehmertum, Wettbewerb um die besten Lösungen und einer kritischen Öffentlichkeit die kreativeren Lösungen hervorbringt.

Wo sehen Sie die USA? Sie haben angesprochen, dass wir die Unternehmen für den Wandel der Industriegesellschaft brauchen.

80 Prozent aller Innovationen finden in Unternehmen statt. Wir brauchen deren Wissen. Und wir brauchen auch Unternehmertum im besten Sinn: das Neues-Wagen und die Umsetzung von wissenschaftlicher Forschung in neue Geschäftsmodelle. Das ist nach wie vor eine Stärke der USA mit ihrer hoch innovativen Wirtschaft, die wissenschaftliche Entdeckungen rasch in neue Produkte, Dienstleistungen, Technologien umsetzen kann. Gleichzeitig läuft die Schere immer weiter auseinander zwischen den innovativen, modernen Teilen der amerikanischen Gesellschaft und den zurückbleibenden Regionen. Das gilt auch für eine Politik, die so tut, als könnte man zurück in die Vergangenheit des fossilen Zeitalters und nationaler Selbstgenügsamkeit. Deshalb glaube ich, dass in vieler Hinsicht die nächste Präsidentschaftswahl eine Wahl von globaler Bedeutung wird.

Wie bewerten Sie Vorschläge der US-Demokraten rund um einen Green New Deal?

Wenn man nicht überzieht, sowohl im Hinblick auf deficit spending, was jetzt schon ein riesiges Problem der USA ist, als auch im Hinblick auf eine überzogen starke Reglementierung, dann ist das eine Chance für eine Allianz von Arbeit und Umwelt. Darum geht es ja eigentlich. Das halte ich nicht nur für die USA für richtig. Es braucht nicht nur steuerliche und gesetzliche Hebel, um ökologische Innovation voranzubringen, sondern auch öffentliche Investitionen, zum Beispiel die Modernisierung des öffentlichen Verkehrssystems oder eine viel schnellere ökologische Sanierung des Gebäudebestands. Das sind Investitionen in großem Stil. Das gehört zu den Schizophrenien der wachstumskritischen Bewegung: Ökologischer Umbau erfordert steigende Investitionen, und zwar sowohl privatwirtschaftlich wie öffentlich. Und das kann man nicht in einer schrumpfenden Volkswirtschaft generieren. Deshalb ist es falsch, wirtschaftliches Wachstum und Ökologie gegeneinanderzustellen. Es sei denn, man hat die Vorstellung: Wir erreichen die Klimaziele durch Schrumpfung. Das ist in der Sache illusionär und würde die Gesellschaft total spalten.

Wie bewerten Sie die aktuelle Debatte in Deutschland und Europa? Sind Sie optimistisch, dass wir uns in eine solche Richtung bewegen?

Einerseits bin ich beflügelt durch die neue Öko-APO, außerparlamentarische Opposition, die die ökologische Herausforderung wieder ins Zentrum der öffentlichen Debatte gerückt hat. Und gleichzeitig bin ich alarmiert über eine wachsende Kluft zwischen der Rhetorik des Müssens und der Trägheit sowohl des politischen Systems wie von Teilen der Industrie. Wenn nicht jetzt eine spürbare Bewegung kommt, zum Beispiel im Hinblick auf CO2-Bepreisung oder auf eine beschleunigte ökologische Verkehrswende, wenn die Kluft immer größer wird zwischen der Forderung nach engagiertem Handeln und tatsächlich passiert unheimlich wenig – das ist das Potenzial für eine erhebliche Radikalisierung.

Sie sehen die Gefahr einer Radikalisierung der jetzigen Umweltbewegung, der Fridays for Future- Bewegung?

Die Gefahr sehe ich durchaus. Dass es zur Blockade von Autobahnen kommen könnte zum Beispiel oder zur Blockade von Produktionsstätten. Dann geht der Riss mitten durch die Gesellschaft. 

Wie ließe sich dem entgehen?

Wir müssen jetzt eine konstruktive Wendung finden und neue Allianzen bilden, politisch wie gesellschaftlich, mit den innovationsbereiten Teilen der Industrie, mit Gewerkschaften, der IG Metall zum Beispiel. Die ist sehr offen. Die hat eine Idee davon, dass wir bruchartige Verwerfungen, etwa in der Autoindustrie, vermeiden müssen, dass es darum geht, einen Transformationsprozess sozialverträglich zu gestalten. Ich bin ein bisschen unruhig, weil ich fürchte, dass wir in eine Polarisierung rutschen zwischen denen, die Veränderung ‚jetzt und radikal‘ fordern und denen, die versuchen, den Status quo solange wie möglich zu verteidigen.

Was sind Ihre konkreten Forderungen an die Parteien, um das zu vermeiden?

Ich glaube, dass wir rasch einen Umbau des Steuersystems brauchen, also eine ökologische Steuerreform im ernst gemeinten Sinn: nicht einfach zusätzlich noch Abgaben und Steuern auf Umweltverbrauch draufsatteln, sondern verbunden mit einer Senkung der Lohnsteuer oder in Form eines Öko-Bonus, der als Pro-Kopf-Pauschale an alle Bürgerinnen und Bürger zurückgezahlt wird. Wir haben mit dem Kohlekompromiss jetzt einen Fortschritt im Stromsektor. Der ist aber halbherzig. Auch da müssten wir die Umsetzung beschleunigen, etwa was den Ausbau von Netzen angeht. Wir stoßen jetzt schon an eine Schwelle, wo der Zuwachs erneuerbarer Energien gekoppelt ist an den Ausbau von Verteilernetzen. Wir müssen das Thema Stromspeicher forcieren. Und wir brauchen Transformationsstrategien für bestimmte Branchen. Die Autoindustrie ist ein Schlüssel.

Glauben Sie, dass sich der Erfolg der Grünen in Deutschland auf andere Länder in Europa übertragen lässt?

Ich wünsche mir gar nicht, dass dieser Wandel jetzt alleine von den Grünen getragen wird. Das halte ich für eine Illusion. Wir brauchen breitere Bündnisse. Die Engführung sozialdemokratischer Parteien auf den Sozialstaat, und dann auch noch auf ein vergangenes Modell des Sozialstaats, halte ich für extrem gefährlich. Die SPD müsste sich mit Modernisierungsthemen befreunden und die ökologische Frage als eine industrielle und technologische Frage diskutieren. Da ist eigentlich ein weites Feld offen, weil die Grünen sich damit eher schwertun. Die sind immer noch hin und hergerissen zwischen Anti-Wachstumspolitik und Innovation.