Das Interview wurde geführt von Claudia Detsch.

Die EU möchte zum Vorreiter in der Klimapolitik werden. Allerdings werden negative Auswirkungen auf den Außenhandel befürchtet. Warum ist der Handel für das Klima oder das Klima für den Handel wichtig?

Handel kann zu höherem Wirtschaftswachstum führen – und damit zu mehr Emissionen. Zudem braucht Handel Verkehr. Und der Klimawandel setzt der Infrastruktur zu und verändert die landwirtschaftliche Produktion. Andererseits werden durch Handel saubere Technologien unter Umständen leichter zugänglich. Handel kann zudem hilfreich sein, um Ernteschwankungen auszugleichen – fährt eine Region der Welt eine gute Ernte ein, kann sie in Länder exportieren, in denen wenig geerntet wurde.

In der EU steigt der Preis für Kohlenstoff. Das ist gut fürs Klima, macht aber viele Produkte teurer. Um die heimische Industrie vor klimaschädlichen Billigimporten zu schützen, soll für bestimmte Güter ein CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) gelten. Wie sähe das in der Praxis aus?

Dieser Ausgleich, im Englischen Carbon border adjustment mechanism und kurz CBAM genannt, soll vor allem die Verlagerung der Produktion aus der EU in Länder mit weniger strengen Klimaschutzauflagen verhindern. Man spricht hier von carbon leakage. Um das zu verhindern, sollen faire Wettbewerbsbedingungen für die in der EU produzierenden Unternehmen geschaffen werden. Für die EU ist dieser Grenzausgleichsmechanismus Teil ihrer Klimapolitik und ihres Emissionshandelssystems, kurz EU-EHS. Der CBAM soll die kostenlosen Emissionszertifikate ersetzen, die die EU bislang denjenigen Unternehmen gewährt, die in der EU produzieren und bei denen das Risiko durch carbon leakage als hoch eingestuft wird.

Der Vorschlag der Europäischen Kommission gilt für Importe von Strom, Zement, Aluminium, Düngemitteln sowie Eisen- und Stahlerzeugnissen. Abgabepflichtig sind diejenigen, die nicht in der EU hergestellte Waren in die EU importieren. Für die Zukunft könnten Länder, in denen der Kohlenstoffpreis ebenso hoch ist wie in der EU, vom CBAM ausgenommen werden.

Zölle gelten allerdings gemeinhin als protektionistische Waffe. Bringen die Handelspartner der EU Verständnis für den CO2-Grenzausgleich auf oder ist mit Vergeltungsmaßnahmen zu rechnen?

Das ist die große Frage. Es besteht die Gefahr, dass Nicht-EU-Länder als Vergeltungsmaßnahme Handelsschranken errichten und dass es zu eskalierenden Auseinandersetzungen und Protektionismus kommt. Die Gefahr des Protektionismus‘ muss aber gegen die Risiken abgewogen werden, die mit dem Klimawandel verbunden sind.

Es besteht die Gefahr, dass Nicht-EU-Länder als Vergeltungsmaßnahme Handelsschranken errichten und dass es zu eskalierenden Auseinandersetzungen und Protektionismus kommt.

Vergeltungsmaßnahmen könnten zudem als rechtswidrig gewertet werden, wenn die WTO den CBAM für legitim befindet. Ich setze auf das hoffentlich realistischere Szenario, dass auch andere Länder eine Bepreisung von Kohlenstoff und Grenzausgleichsmechanismen einführen. Kanada beispielsweise erwägt dies bereits. Anschließend könnten solche Länder mit der EU zusammenarbeiten.

Die WTO wacht sehr sorgfältig über die Einführung neuer Zölle. Sind die Pläne der EU überhaupt mit den Regularien der WTO vereinbar?

Die Rechtmäßigkeit des CBAM ist tatsächlich noch nicht ganz geklärt; die meisten Expertinnen sind allerdings der Meinung, dass man den CBAM so gestalten und anwenden könnte, dass er mit den WTO-Regeln vereinbar ist. Nach diesen Regeln darf ein Land Importe mit Ausgleichsabgaben belegen, um die steuerliche Belastung der einheimischen Produzenten zu kompensieren, die vergleichbare Erzeugnisse herstellen. Deshalb sind direkte Umweltsteuern auf Brennstoffimporte mit den WTO-Regeln vereinbar, solange diese Abgaben nicht höher sind als die Abgaben, die für einheimische Produkte anfallen.

Grenzabgaben auf Produkte, die mit treibhausgasintensiven Verfahren hergestellt werden, sind allerdings unter Umständen nicht mit den WTO-Regeln vereinbar, wenn diese Abgaben als diskriminierend eingestuft werden. Es wäre also wichtig, den Nachweis zu erbringen, dass der CBAM ökologisch und klimaschutzpolitisch und eben nicht wirtschaftlich motiviert ist. Zudem darf die EU keine kostenlosen Zertifikate mehr an einheimische Industrien verteilen, die Produkte herstellen, für die Importeure Emissionszertifikate kaufen müssen.

Um Anrainerstaaten der EU oder ärmere Staaten im Globalen Süden vor den Folgen eines solchen Klimazolls zu schützen wird über Ausnahmeregelungen diskutiert. Ist eine Vorzugsbehandlung für bestimmte Gruppen von Staaten überhaupt realisierbar?

Die Länder der Europäischen Freihandelszone EFTA sind ausgenommen, weil sie sich am europäischen Emissionshandelssystem beteiligen oder daran angebunden sind. Länder, in denen die Kohlenstoffpreise so hoch sind wie in der EU, könnten in Zukunft ebenfalls ausgenommen werden.

Eine generelle Ausnahmeregelung für Entwicklungsländer würde womöglich als Verstoß gegen das Meistbegünstigungsprinzip der WTO gewertet. Eine so weitreichende Ausnahme für ärmere Staaten des Globalen Südens wäre eine willkürliche und nicht vertretbare Ungleichbehandlung. Die EU könnte allerdings eine Ausnahmeregelung für die 46 am wenigsten entwickelten Länder treffen. Der EU ist bewusst, dass diese am wenigsten zum Klimawandel beitragen, am stärksten unter ihm zu leiden haben und die geringsten Möglichkeiten haben, damit fertigzuwerden.

Welche Alternativen gibt es zu einseitig verhängten Klimazöllen – und wie realistisch sind sie?

Die Alternative zum CBAM wäre, weiterhin im großen Stil kostenlose Zertifikate an die Branchen zu verteilen, die unter Wettbewerbsdruck stehen. Das würde die Klimaschutzambitionen der EU allerdings massiv beeinträchtigen. Deshalb sollte man den CBAM vor allem als einen Mechanismus betrachten, der Klimaschutz innerhalb der EU möglich macht, und nicht als Bestrafung für Länder, die nicht der EU angehören. Um dies zu vermitteln, muss die EU sich diplomatisch stärker ins Zeug legen.

Kooperation ist natürlich fast immer besser als das Handeln im Alleingang. Es gibt eine Fülle von Möglichkeiten, den CBAM durch multilaterale und plurilaterale Initiativen zu ergänzen. So hat zum Beispiel die EU eine Zeitlang erwogen, auf WTO-Ebene eine Handels- und Klimainitiative auf die Beine zu stellen.

Meiner Meinung nach beweist die EU Mut und Führungsstärke, wenn sie es schafft, den CBAM durchzusetzen.

Kritiker warnen, dass der CBAM auf der einen Seite vielleicht die einheimischen Märkte schützt, die Waren aber auf den Weltmärkten trotzdem teurer würden und somit nicht wettbewerbsfähig seien. Andere Länder – allen voran China und die USA – müssen aber doch auch ihre Zusagen aus dem Pariser Klimaabkommen einhalten und Emissionen entsprechend verteuern. An welchem Punkt steht die EU also: Spielt sie eine Vorreiterrolle oder macht sie sich mit ihren Ambitionen industriepolitisch zum Narren?

Meiner Meinung nach beweist die EU Mut und Führungsstärke, wenn sie es schafft, den CBAM durchzusetzen. Das wird hier und da zu inneren Reibungen und zu Spannungen mit Handelspartnern führen, und man wird zu Beginn ein wenig herumexperimentieren müssen. Doch auch beim EU-Emissionshandelssystem brauchte es einige Anläufe und etliche Fehlschläge, bevor das System sich zum Vorbild für den Rest der Welt entwickelt hat, das es heute ist.

Wie sieht es mit den großen Wettbewerbern aus?

Den weltweit größten Kohlenstoffmarkt hat mittlerweile China, wenn auch die Zertifikate zunächst großzügig gestaltet und preisgünstig sind und Verstöße nicht sehr hart bestraft werden. In den USA dürfte die CO2-Bepreisung es allerdings auf absehbare Zeit nicht durch den Kongress schaffen. Die Biden-Regierung strebt inzwischen „weniger strenge“ Maßnahmen wie einen „Clean Energy Standard“ an.

In der Klimapolitik ist es schwierig, aus dem Stand perfekte Maßnahmen umzusetzen. Es wird interessant sein zu sehen, ob der CBAM in der Klimapolitik der EU eine systemische Rolle wird spielen können, ob es also gelingt, innerhalb der EU größere Ambitionen zu entwickeln und die Sorge vor Einbußen bei der Wettbewerbsfähigkeit zu zerstreuen. Vor allem aber hoffe ich, dass der CBAM der erste Schritt hin zum Klimaclub-Modell sein kann.

Was müsste passieren, damit Klimaclubs in Gang kommen? Wo kann die EU Verbündete finden, um sie voranzubringen?

Als Ergänzung zur Klimarahmenkonvention UNFCCC könnten die Klimaclubs Gruppen von Ländern und nichtstaatlichen Akteuren zusammenbringen, die mit vereinten Kräften dafür sorgen, dass wir beim Klimaschutz schneller vorankommen. In Klimaclubs können die Länder sich kooperativ einer konkreten Klimaproblematik annehmen. Sie erhalten dafür Vorteile, die von allen beteiligten Ländern gemeinsam genutzt werden können. Klimaclubs könnten intelligentere Grenzausgleichsmaßnahmen erarbeiten, von denen die Clubmitglieder ausgenommen wären. Sie könnten Technologiestrategien entwickeln und sie könnten Ländern helfen, sich auf den Klimawandel einzustellen. Die Einnahmen, die innerhalb des Clubs in Form von Kohlenstoffsteuern und -zöllen erzielt werden, könnten an bedürftige Staaten oder Entwicklungsländer verteilt werden, um Klimaanpassungsmaßnahmen und klimabezogene Transformationsprozesse zu unterstützen.

In den USA dürfte die CO2-Bepreisung es allerdings auf absehbare Zeit nicht durch den Kongress schaffen.

Eine besondere Variante des Klimaclubs wäre ein „Club of Carbon Markets“ (CCM) oder „Carbon Market Club“ (CMC). Ein solcher Club hätte das Ziel, die heimischen Kohlenstoffmärkte weiterzuentwickeln und zu harmonisieren und dafür zu sorgen, dass diese Märkte größere Ambitionen entwickeln. Wenn die Clubmitglieder ihre Emissionseinheiten gegenseitig anerkennen könnten, wäre dies ein hilfreicher Schritt auf dem Weg zu einem global harmonisierten CO2-Preis.

Gibt es weitere Maßnahmen, mit denen durch Handel Klimaschutz gefördert werden könnte?

Es gibt eine ganze Reihe handelspolitischer Maßnahmen, die denkbar sind. So steht derzeit die WTO auf dem Prüfstand. Sie soll umfassend reformiert werden. Das wäre ein sehr guter Zeitpunkt, um über Änderungen der WTO-Abkommen nachzudenken und dabei mögliche Konflikte zwischen Handelssystem und Klimaschutz zu thematisieren.

Zweitens könnte die WTO so nachgerüstet werden, dass ihre Expertise beim Klimawandel oder auch der Beilegung von Streitigkeiten gestärkt wird. Hilfreich wäre auch, wenn im Rahmen des WTO-Mechanismus zur Überprüfung der Handelspolitik klimabezogene Folgenabschätzungen verpflichtend vorgeschrieben würden. Außerdem ist die Koordination zwischen der WTO und der Klimarahmenkonvention UNFCCC verbesserungsfähig. Das im Rahmen des UNFCCC geschaffene Forum zu Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen sollte berücksichtigen, wie solche Maßnahmen sich auf den Handel auswirken. In Freihandelsabkommen könnte man strengere Klimaschutzvorschriften aufnehmen, und die WTO könnte Grenzausgleichsmaßnahmen ausdrücklich erlauben.

Zudem könnte das Handelssystem für eine Reform der Subventionen für fossile Brennstoffe genutzt werden. Diese Subventionen führen zu einem höheren und obendrein ineffizienten Verbrauch von fossilen Brennstoffen. Sie beschränken sich zudem meistens nicht auf die ärmeren Gruppen, die am stärksten auf die Subventionen angewiesen sind. Die Staaten könnten ihre Subventionen für fossile Brennstoffe transparenter machen und sich im Rahmen der WTO verpflichten, diese Subventionen nach und nach abzubauen.

Durch den Handel mit klimafreundlichen Technologien ergibt sich außerdem ein Riesenpotenzial, um diese erschwinglicher zu machen, für eine stärkere Verbreitung zu sorgen und Innovationen zu fördern. Dafür müssen wir Zölle und andere Hemmnisse für den Handel mit Umweltgütern und -dienstleistungen beseitigen. Die Bemühungen um ein „Abkommen über den Handel mit Umweltschutzgütern“ (EGA) im Rahmen der WTO sind vor einigen Jahren gescheitert. Die Vertragsparteien konnten sich nicht darauf einigen, für welche Güter der Handel liberalisiert werden soll. Die Staaten sollten die Verhandlungen wiederaufnehmen und dabei den Klimawandel in den Blickpunkt rücken. Der Klimaschutz könnte zudem gezielt in die Handelshilfe einbezogen werden, um den Entwicklungsländern zu mehr Wohlstand zu verhelfen.

Das Fazit lautet also: Der Handel kann einen wesentlichen Beitrag leisten, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen, sofern die entsprechenden Maßnahmen gut konzipiert und durchdacht sind. Es ist an der Zeit zu erkennen, dass Handel und Klimawandel untrennbar miteinander verbunden sind. Dabei wird es entscheidend darauf ankommen, diese Themen nicht nur technokratisch anzupacken. Wir müssen die Auswirkungen auf den Menschen sowie Recht und Gerechtigkeit im Blick behalten.

Aus dem Englischen von Andreas Bredenfeld