Die Fragen stellte Nikolaos Gavalakis.

Beschäftigte in Irland haben ab April das Recht, außerhalb der regulären Arbeitszeiten nicht erreichbar zu sein, das „Right to Disconnect“. Was bedeutet das konkret? Und warum ist dieser Offline-Feierabend so wichtig?

Beschäftigte haben von nun an das Recht, außerhalb der normalen Arbeitszeit die elektronische Kommunikation abzustellen. Dabei geht es vor allem darum, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer außerhalb der festgelegten Arbeitszeiten grundsätzlich keine Arbeit verrichten und keine Repressalien erwarten müssen, wenn sie außerhalb dieser Zeiten nicht arbeiten wollen. In jedem Job kann es natürlich Notsituationen geben, in denen Mehrarbeit auch weiterhin zulässig ist. Aber nach dieser Regelung, die von der Regierung eingeführt und von den Arbeitgebern akzeptiert wurde, sind die regulären Arbeitszeiten zu beachten.

Damit gehen wir auch gegen unbezahlte Überstunden vor. Viele Menschen arbeiten in Bereichen wie der Versicherungswirtschaft oder in Behörden, in denen es keine vertraglichen Überstundenregelungen gibt. Unternehmen und Vorgesetzte meinten oft, sie hätten das Recht, Personal außerhalb der Arbeitszeit zu kontaktieren. Das hat sich zu einem echten Problem entwickelt.

Welchen Einfluss hatte die Pandemie auf die Verabschiedung der neuen Regelung?

Die Pandemie hat ein Schlaglicht darauf geworfen, dass bestimmte Umstände ausgenutzt werden können. Heutzutage arbeiten viele Leute von zu Hause aus. Es ist viel schwieriger, den Beginn und das Ende der Arbeit festzulegen, wenn die Menschen ihren Arbeitsplatz im Grunde nicht verlassen. Sie arbeiten den ganzen Tag von zu Hause aus und sind für den Arbeitgeber ständig erreichbar. Von den Menschen wird erwartet, dass sie ohne Gehaltsaufschläge länger arbeiten. In Pandemiezeiten sind Regelverstöße einfacher.

Von den Menschen wird erwartet, dass sie ohne Gehaltsaufschläge länger arbeiten.

Das soll nicht heißen, dass es in der Vergangenheit, also vor der Pandemie, nicht auch vorgekommen wäre, dass Arbeitgeber nach der normalen Arbeitszeit eine Online-Verfügbarkeit einforderten. Das war durchaus zuvor schon ein Problem. Doch seit Beginn der Coronakrise hat das Thema an Fahrt gewonnen, weil viele administrative Tätigkeiten jetzt von zu Hause aus erledigt werden.

Wie sieht die neue Regelung in Irland im Vergleich zur Praxis in der EU und in anderen Ländern aus? Das Europaparlament hat vor kurzem ein ähnliches Gesetz gefordert, aber in den meisten Ländern gibt es noch kein Recht auf einen Offline-Feierabend. Ist ihnen Irland in dieser Hinsicht voraus?

Wir wollten ein Gesetz haben, konnten aber nur eine Rechtsverordnung durchsetzen. Trotzdem sind wir vermutlich einigen Ländern voraus, auch was die einzelnen Bestimmungen betrifft.

Die Vereinbarung hat Arbeitgeber und Gewerkschaften an einen Tisch gebracht. Man einigte sich auf allgemeine Prinzipien und darauf, die Bedingungen dieser Verhaltensregeln anerkennen und einhalten zu wollen. Das ist aus unserer Sicht ein guter Erfolg. Die Frage des Right to Disconnect und der Akzeptanz aufseiten der Arbeitgeber rückt damit in den Mittelpunkt. Ein Gesetz wäre uns lieber gewesen, aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Die Telearbeit nimmt insgesamt zu. Brauchen wir weitere Gesetze, um mit den jüngsten Entwicklungen Schritt zu halten?

Die Regierung hat bislang mit uns vereinbart, dass Beschäftigte das Recht haben sollen, die Arbeit im Homeoffice zu beantragen, und Arbeitgeber diesen Antrag ernsthaft prüfen sollten. Das ist der Stand der Verhandlungen: Die Regierung ist bereit, mit uns eine Vereinbarung über Telearbeit abzuschließen.

Allerdings sind beim Thema Telearbeit viele Detailfragen noch offen. Dazu gehört etwa die mögliche Zusatzentlohnung und wie man so etwas organisiert, aber auch Fragen der Gesundheit und Sicherheit, welche Ausstattung der Arbeitgeber stellt und so weiter.

In Irland besteht großes Interesse an hybriden Arbeitsformen, in denen die Menschen künftig sowohl am Arbeitsplatz als auch im Homeoffice arbeiten. Es zeichnet sich ab, dass die Beschäftigten das künftig entscheiden können, und wir versuchen, so etwas mit der Regierung und den Arbeitgebern zu vereinbaren. Auf welcher Grundlage das geschehen wird, haben wir noch nicht festgelegt.

Viele westliche Gesellschaften erleben eine Landflucht und eine Abwanderung in die Großstädte. In großen Städten wird der Platz knapp, die Mieten steigen. Bietet Telearbeit eine Chance, diesen Entwicklungen entgegenzuwirken?

Einer der Vorschläge, die derzeit diskutiert werden, ist die Einrichtung von Work Hubs, also gemeinsam genutzten Büroarbeitsplätzen für die Telearbeit. Das heißt, der Staat würde den Beschäftigten in den kleineren Städten des Landes Büroplätze zur Verfügung stellen. Die Menschen könnten dann an einem Ort arbeiten, der näher an ihrem Zuhause liegt, statt stundenlang in die Großstadt zu pendeln.

Irland ist ein kleines Land. Es hat knapp fünf Millionen Einwohner. Nach deutschen Maßstäben sind einige unserer Kleinstädte sehr klein, aber das aktive Leben auf dem Land soll erhalten bleiben. Die strategische Einrichtung von Work Hubs in mittleren Städten, die es ermöglichen, dass Menschen zur Arbeit gehen können und gleichzeitig in die Kernbelegschaft des Unternehmensstandorts eingebunden sind, möchten wir in unseren Gesprächen mit der Regierung vorschlagen. Entscheidend ist dabei, dass die Nutzung solcher Work Hubs freiwillig ist.

Die Menschen könnten dann an einem Ort arbeiten, der näher an ihrem Zuhause liegt, statt stundenlang in die Großstadt zu pendeln.

Ein Problem – und ich bin sicher, dass viele Städte in Europa dasselbe erleben – ist der Einzelhandel. Die Leute haben neue Einkaufsgewohnheiten entwickelt und das hat sich seit Beginn der Pandemie zugespitzt. Man muss befürchten, dass viele Einzelhändler nach der Coronakrise nicht mehr aufmachen, was verheerend wäre für das Leben in den Ortskernen.

Die Hub-Idee könnte zur Wiederbelebung der Innenstädte beitragen. Denn wenn in diesen Work Hubs viele Menschen arbeiten, geben sie in der jeweiligen Stadt auch eher ihr Geld aus und schaffen Nachfrage. Einige Einzelhandelsgeschäfte könnten auf diese Art doch überleben. Das ist ein zusätzlicher Vorteil, wenn man solche Strukturen schafft.

Sehen Sie die Gefahr, dass sich die Zunahme der Arbeit zu Hause negativ auf die Einkommen auswirken könnte? Mark Zuckerberg hat beispielsweise schon angekündigt, dass Beschäftigte, die in Regionen mit niedrigeren Lebenshaltungskosten arbeiten, mit Gehaltskürzungen rechnen müssen. Andere Unternehmen haben ähnliche Vorstellungen.

Viele Unternehmen haben solche Ideen. In Irland deutet aber noch nichts darauf hin, dass sie auch wirklich in diese Richtung gehen. Ich vermute, in einigen größeren Städten, insbesondere in Dublin, macht man sich Sorgen, ob die Geschäftstätigkeit in der Stadt nach der Pandemie noch den gleichen Umfang haben wird, vor allem im Einzelhandel. Wenn die Menschen auf Work Hubs ausweichen und feststellen, dass ihnen das persönlich Vorteile bringt, könnte sich die Geschäftstätigkeit in den größeren Städten und vor allem in Dublin abschwächen.

Zu den akutesten gesellschaftlichen Problemen zählen der Mangel an Wohnraum und die hohen Mietpreise. Angesicht dieser Problematik könnte ein Büroarbeitsplatz in Wohnortnähe, der dennoch mit der Zentrale verbunden ist, für Beschäftigte attraktiv sein. Die Leute finden das womöglich angenehmer, als morgens und abends zwei oder drei Stunden zu fahren, um in ihrem Büro in Dublin zu arbeiten. Da wird es sicherlich Vor- und Nachteile geben.

Aus dem Englischen von Anne Emmert