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Interview von Claudia Detsch
Sie haben die Auswirkungen der Energiewende auf die Beschäftigung untersucht. Wie fällt die Bilanz aus?
M. Hoch: Die gesamtwirtschaftlichen Effekte der Energiewende sind positiv. Unterschiede gibt es aber zwischen den Branchen. Einige Branchen haben verloren – zum Beispiel der Sektor Bergbau und Energieversorgung. Positive Beschäftigungseffekte dagegen finden sich im Baugewerbe oder im verarbeitenden Gewerbe.
Wie sähe die Beschäftigungsentwicklung in Deutschland ohne die Energiewende aus?
M. Hoch: Wir haben die Jahre zwischen 2003 und 2018 untersucht, in diesem Zeitraum wurden durch die Energiewende ca. 70 000 Personen mehr beschäftigt, als dies in einem kontrafaktischen Szenario ohne Energiewende der Fall gewesen wäre.
Sie haben angesprochen, dass die Beschäftigungsentwicklung sektorenabhängig ist. Das bringt uns auch zu den Regionen. Welche Auswirkungen haben Klimaschutzmaßnahmen auf die Beschäftigungsentwicklung in den Regionen, die bisher stark von konventionellen Energiequellen abhängig sind?
M. Hoch: Die zukünftigen Beschäftigungseffekte des untersuchten Szenarios sind in der Summe in jedem Bundesland positiv. Zwar nimmt in einigen Regionen die Beschäftigung überproportional ab, etwa im (Braunkohle-)Bergbau, aber es gibt auch dort positive Entwicklungen, so durch das Baugewerbe. Ein Beispiel ist NRW, das energieintensivste Bundesland. In einzelnen Branchen kann es dort durchaus zu Beschäftigungsverlusten kommen. NRW ist aber auch das bevölkerungsreichste Bundesland - es gibt entsprechend viele Gebäude, die saniert werden müssen. Die Effekte gleichen sich also aus. Zu Problemen wird es in einigen Branchen trotz allem kommen.
Insbesondere die konventionelle Energieerzeugung und einige energieintensive Branchen werden langfristig von den Klimazielen durch den Abbau von Arbeitsplätzen betroffen sein, warnen Sie. Welche vorausschauenden Maßnahmen könnte man bereits jetzt ergreifen, um den Beschäftigten dieser Branchen den Übergang in ein anderes Arbeitsfeld zu ermöglichen?
M. Hoch: Es gibt verschiedene Maßnahmen, die helfen können: Einerseits die individuelle Förderung oder Absicherung von bestimmten Beschäftigtengruppen und auf der anderen Seite infrastrukturelle und wirtschaftspolitische Maßnahmen für die Region. Bezüglich der individuellen Förderung kommt es auf das Alter und die Qualifikation der Beschäftigten an. Bei älteren Beschäftigten, die ohnehin in absehbarer Zeit in Rente gehen, kann man über Frühverrentungsprogramme oder über finanzielle Hilfen nachdenken. Verfügen junge Beschäftigte nicht über die notwendigen Qualifikationen für andere Branchen, können gezielte Weiterbildungsprogramme helfen. Strukturpolitisch sind es Investitionen, welche die Attraktivität von Standorten in bestimmten Regionen erhöhen sowie die Förderung von Branchen, die in dieser Region zukünftig eher profitieren werden.
Welche Maßnahmen müssen realisiert werden, damit Deutschland seine CO2-Emissionen tatsächlich bis 2050 auf ein Minimum reduzieren kann?
A. Kirchner: Einmal müssen wir das gesamte Elektrizitätsversorgungssystem auf erneuerbaren Strom umstellen. Das heißt, wir steigen sobald wie möglich aus der Kohle und perspektivisch auch aus dem Gas aus. Langfristig würden wir zudem das Gas, das wir noch zur Absicherung des Stromsystems brauchen, synthetisch herstellen, mit Hilfe von erneuerbarem Strom. Auch die Netze müssen entsprechend ausgebaut und fit gemacht werden für ein so komplett verändertes Stromsystem, bei dem das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage sowohl regional als auch zeitlich sehr stark variiert.
Es ist sehr wichtig, dass die Gebäude bis 2050 alle energetisch auf einem sehr hohen Standard durchsaniert sind - da kommt die Bauwirtschaft wieder ins Spiel. Dazu müssten wir die Sanierungsrate fast verdoppeln. Zudem darf langfristig die Wärme, mit der die Gebäude beheizt werden, nur noch mit erneuerbaren Quellen erzeugt werden. Wir hätten dann im Wesentlichen nur noch Wärmepumpen und Nahwärmesysteme, die selbst wiederum mit erneuerbaren Energien beheizt und gefüttert werden.
Im Verkehr muss eine weitgehende Elektrifizierung stattfinden. Bei den Pkws werden langfristig vier Fünftel des Bestandes elektrifiziert sein. Bei den Lkws ist es am kostengünstigsten, die großen Transitstrecken mit Oberleitungen zu elektrifizieren und entsprechende Hybrid-Lkws einzusetzen. Die übrigen Strecken müssen die Lkws mit synthetischen Kraftstoffen bewältigen. Diese müssten dann allerdings aus Ländern importiert werden, in denen sie günstig herzustellen sind.
Das wäre in Deutschland nicht möglich?
A. Kirchner: Die Produktion von relativ kleinen Mengen Wasserstoff schon. Aber die Produktion von sogenannten Power-to-Liquid-Stoffen in großem Stil ist in Regionen, die größere Potenziale und vor allem höhere Volllaststunden im Bereich der Solar- und Windenergie aufweisen, günstiger. Das wären zum Beispiel Länder im Wüstengürtel der Erde.
Damit könnten dort Beschäftigungs- und Entwicklungsmöglichkeiten geschaffen werden?
A. Kirchner: Genau! Es ist natürlich sehr wichtig, dass diese Länder nicht nur für Deutschland oder den Export dieser Energieträger produzieren, sondern auch für sie selbst eine Entwicklungsperspektive damit verbunden ist, beispielsweise beim Ausbau der Elektrizitätsversorgung. Dann bieten sich sehr große Chancen für diese Länder.
Wie sieht es im Agrarsektor aus?
A. Kirchner: Bei der Landwirtschaft haben wir im Wesentlichen drei Hebel: Das eine ist ein sehr effizientes Düngermittelmanagement. Wenn wir keine anderen Kompensationsmechanismen finden, müssen die Emissionen aus der Landwirtschaft aber noch weiter, auf ca. 50 Prozent des heutigen Standes, sinken. Da sehen wir vor allem eine Reduzierung des Wiederkäuerbestandes, was also weniger Export und ggf. weniger Rindfleischkonsum bedeuten würde. Es gibt zudem bestimmte natürliche Futterzusätze aus Algen, die die Methanemissionen aus den Verdauungsprozessen reduzieren können. Diese bewirken, dass die Methanemissionen von Wiederkäuern nicht so hoch sind. Das wäre vermutlich umstritten, aber es geht.
Welche Umwälzungen sind im Industriesektor nötig?
A. Kirchner: Grundsätzlich ist es notwendig, sämtliche technischen Effizienzpotenziale auszuschöpfen, so bei Motoren, Pumpen, Drucklufterzeugung, Abwärmenutzung, Kühlung etc. Als Energieträger wird langfristig verstärkt Biomasse eingesetzt werden - feste Biomassen für Niedertemperaturprozesswärme und Biogas für Hochtemperaturprozesswärme und, soweit möglich, auch schon erneuerbaren Kohlenstoff als Input beispielsweise in der Chemie. Bei der Roheisenerzeugung, der Müllverbrennung und Zementproduktion werden wir nicht umhin kommen, mit der CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) Kohlendioxid abzuscheiden und entweder zu nutzen oder aber längerfristig unterirdisch zu speichern.
Was umstritten ist.
A. Kirchner: Es ist komplett umstritten. Aber wenn wir wirklich die Wirtschaft fast vollständig dekarbonisieren wollen, ist das ohne CCS extrem schwierig. Es gibt hier und da noch andere Möglichkeiten, zumindest beim Stahl; da kann man mit dem sogenannten Direktreduktionsverfahren mit Wasserstoff arbeiten. Es ist heute allerdings noch nicht absehbar, ob man das zu konkurrenzfähigen Kosten leisten kann, sodass die CCS-Lösung voraussichtlich die günstigere Lösung sein wird.
Damit ließe sich dann immerhin die Abwanderung von Arbeitsplätzen vermeiden?
A. Kirchner: Genau. Wobei wir für diese Studie ein ziemlich extremes Szenario berechnet und ausgewertet haben. Wir haben eine Reduktion der Treibhausgasemissionen um 95 Prozent bis 2050 gegenüber 1990 angestrebt. Ein solches Szenario ist nur mit internationaler Einbindung und international bindenden, multilateralen Verträgen denkbar. Globale CO2-Steuern beziehungsweise globaler Emissionshandel wären eine Voraussetzung dafür. So ein System ist nur möglich, wenn wir langfristig neue Handelsbeziehungen, neue Zertifikatshandelsbeziehungen und einen guten internationalen Technologieaustausch sowie Technologieentwicklung haben. Wir brauchen also eine internationale Arbeitsteilung, sonst bekommen wir das nicht im notwendigen Tempo hin. Wenn die anderen Länder nicht mitziehen, müsste man die heimische Industrie stärker schützen – soweit das überhaupt ginge. Das würde eine zusätzliche Belastung für den Steuerzahler bedeuten.
Vorausgesetzt, all‘ die genannten Maßnahmen würden umgesetzt, wie sieht die Prognose für die Beschäftigungsentwicklung aus?
M. Hoch: Es handelt sich nicht um eine Prognose, sondern ein mögliches Szenario. Die gesamten erwähnten Maßnahmen setzen Investitionen mit einem gewissen Volumen voraus, zum Beispiel Investitionen in Gebäudebestände, energetische Sanierungen, Effizienztechnologien und erneuerbare Stromerzeugung. Das schafft wiederum Arbeitsplätze, vor allem in den Bereichen Energieversorgung, Baugewerbe, Anlagenbau und Werkstoffe. Aber es handelt sich natürlich um Maßnahmen, die politisch umgesetzt werden müssen. Ob es schlussendlich wirklich so kommt, steht auf einem anderen Blatt. Auf die gesamtwirtschaftliche Beschäftigungsentwicklung wirken sich diese Maßnahmen eher neutral aus. Deshalb ist aus unserer Sicht die teilweise stattfindende Diskussion, ob man in Deutschland lieber Klimaschutz oder Arbeitsplätze haben will, nicht zielführend.