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Das Interview führte Daniel Kopp.
Der Kandidat der national-konservativen PiS, Andrzej Duda ist am Sonntag als polnischer Präsident wiedergewählt worden. Das Ergebnis war knapp: nur ca. 3 Prozentpunkt trennen Duda von seinem liberalen Kontrahenten Rafal Trzaskowski. Können wir von fairen und freien Wahlen sprechen?
Es gibt keinen Zweifel daran, dass die Wahlen fair und frei waren. Die Verschiebung der Wahlen – die eigentlich im Mai hätten stattfinden sollen – hat die Restriktionen, denen die Wahlkämpfer unter Corona-Bedingungen ausgesetzt gewesen wären, weitestgehend beseitigt. Die Mobilisierung für diese Wahlen war enorm: Mit 68 Prozent Prozent Wahlbeteiligung wurde ein neuer Rekord bei Präsidentschaftswahlen erreicht. Andrzej Duda hat 10,4 Millionen Stimmen erhalten, mehr als jeder andere Präsidentschaftskandidat seit 1991. Und auch Trzaskowski hat deutlich mehr Stimmen erhalten als der PO-Kandidat bei den Wahlen vor fünf Jahren. Die polnische Gesellschaft ist enorm politisiert, aber auch enorm polarisiert.
Und kann das Ergebnis trotzdem als „Achtungserfolg“ für die liberalen Kräfte in Polen gewertet werden, wie die Deutsche Welle titelte?
Das Ergebnis von Trzaskowski stellt tatsächlich einen Erfolg dar. Er hat in kürzester Zeit die Oppositionswähler reaktiviert und einen sehr guten Wahlkampf geführt. Die Vermutung, er könne als Bürgermeister Warschaus die Wählerinnen und Wähler auf dem flachen Land und in den kleineren Städten nicht erreichen, hat sich nicht bewahrheitet. Wahrscheinlich hat er nur einen größeren Fehler gemacht: Als er sich weigerte, an dem Kandidaten-Duell des staatlichen Fernsehens teilzunehmen. Dies hätte ihm die Chance gegeben, auch jene Hälfte Polens zu erreichen, die der PiS nicht ablehnend gegenübersteht. Das hätte vielleicht die fehlenden Stimmen bringen können.
Das Ergebnis der Wahlen war ähnlich eng wie 2015; auch damals hatte Duda einen leichten Vorsprung von 3 Prozentpunkten. Haben sich die politischen Konfliktlinien in der polnischen Gesellschaft also seitdem bloß weiter gefestigt?
Der knappe Wahlausgang ist eigentlich eine Überraschung. An sich waren die Umstände für eine reibungslose Wiederwahl Dudas günstig: Polens Wirtschaft brummt seit Jahren, das Land wächst weit über dem EU-Durchschnitt, die Arbeitslosigkeit ist stark gesunken, die Löhne steigen und die Sozialpolitik der Regierung hat die Lebenssituation vieler ärmerer Familien deutlich verbessert. Duda führte seit Jahren kontinuierlich die Listen der vertrauenswürdigsten bzw. beliebtesten Politiker an. Und dann ist das Land auch noch sehr gut durch die Corona-Krise gekommen, mit sehr wenigen Toten und dem geringsten Wirtschaftseinbruch in der EU. Entsprechend sah es auch lange nach einer problemlosen Wiederwahl des Amtsinhabers aus.
Dass es dennoch wieder ähnlich knapp wurde wie 2015 zeigt in der Tat, dass sich in Polen zwei verfestigte politische Lager gegenüberstehen, zwischen denen es wenig Austausch und Bewegung gibt.
Dass es dennoch wieder ähnlich knapp wurde wie 2015 zeigt in der Tat, dass sich in Polen zwei verfestigte politische Lager gegenüberstehen, zwischen denen es wenig Austausch und Bewegung gibt: Das Polen der PiS, die eine der letzten echten Volksparteien in Europa ist, eine klassen- und milieuübergreifende Allianz der Kleinen – Arbeiter, kleine und mittlere Angestellte, kleine Unternehmer, Landwirte, Bewohner von Dörfern und Kleinstädten – und das Polen des Anti-PiS-Lagers, das sich ebenfalls auf verschiedenen soziale Milieus stützt, aber generell besser verdienend, besser gebildet und stärker urbanisiert ist als die PiS-Anhängerschaft.
Lassen sich die beiden Lager überhaupt noch zusammenbinden?
Die Frage, ob sich die Lager noch zusammenbinden lassen, ist tatsächlich interessant. Das perfekte Symbol für die Lagerbildung waren die Bilder des seltsamen „TV-Duells“ der Kandidaten letzte Woche: Keine gemeinsame Debatte, sondern zwei parallele Monologe auf zwei verschiedenen Fernsehkanälen, mit jeweils einem leeren Podest für den jeweils anderen Kandidaten. Man kann für das Land nur hoffen, dass sich die Situation jetzt, da auf absehbare Zeit keine Wahl mehr ansteht, allmählich entspannt.
Nachdenken müssten eigentlich beide Seiten: Die PiS darüber, warum es ihr trotz der wirtschaftlichen und sozialen Erfolge nicht gelingt, die Aversionen eines erheblichen Teils des liberalen und bürgerlichen, aber auch eines liberal christlichen Polens zu überwinden. Und die PO darüber, warum sie jetzt die sechste landesweite Wahl hintereinander verloren hat. Trzaskowski hatte im Wahlkampf erklärt, dass er die Spaltung Polens überwinden wolle und durchaus willens sei, bestimmte politische Entscheidungen der PiS – etwa in der Sozialpolitik – nicht anzutasten. Das ist wahrscheinlich der Weg, den die PO auch als Partei gehen müsste, um wieder mehrheitsfähig zu werden.
PiS kann jetzt für mindestens drei Jahre – bis zu nächsten Parlamentswahl 2023 – ungehindert regieren und ihre Macht weiter konsolidieren. Was steht politisch ganz oben auf der Agenda der Partei?
Das ist ein Rätsel. Die Antwort hängt zentral davon ab, welche Kräfte sich in der PiS und dem rechten Lager durchsetzen: Die hardliner oder die moderateren Kräfte. Man kann ganz unterschiedliche Einschätzungen lesen und hören. Auf alle Fälle stehen im Herbst die Erneuerung der Führungsstrukturen der Partei an. Die Frage ist auch, ob Jarosław Kaczyński als Parteivorsitzender weiter macht oder aber eine Verjüngung auch auf dieser Ebene ermöglicht, mit ihm als „Alters“- oder Ehrenvorsitzenden. Bisher hat der 71-Jährige die Lager zusammengehalten und etwa auch den Aufstieg des Premiers Mateusz Morawietzki in der PiS ermöglicht. Morawietzki steht für einen pragmatischen Kurs, der sich vor allem auf die wirtschaftliche Entwicklung konzentriert.
Aber es gibt natürlich in der polnischen Gesellschaft Ängste, dass das Lager der Weltanschauungskrieger im rechten Lager jetzt seine Agenda weiter voran treibt.
Aber es gibt natürlich in der polnischen Gesellschaft Ängste, dass das Lager der Weltanschauungskrieger im rechten Lager jetzt seine Agenda weiter voran treibt: Mit einem weiteren Umbau des Justizsektors, einer Polonisierungs-Politik bei den Medien und einem konfrontativen Kurs gegenüber der EU und den liberal regierten Großstädten. Interessant wird in diesem Falle sein, wie sich der Staatspräsident verhält. In der zweiten Amtsperiode ist der Präsident immer freier als in der ersten, da er sich nicht um eine Wiederwahl – für die er die Unterstützung eines Parteiapparates braucht – bemühen muss. Duda könnte also in den kommenden Jahren zunehmend auf eigene Rechnung agieren.
Seitdem die PiS an der Macht ist, ist das Verhältnis Polens zur EU angespannt – um es milde zu formulieren. Kann man hier also, nach Dudas Sieg, Kontinuität erwarten?
Ja, das ist zu erwarten. Die Regierung wird nicht zu vielen Konzessionen bereit sein. Sie hat ein klares demokratisches Mandat und wurde jetzt bei drei Wahlen mit Rekordbeteiligung – den Europawahlen, den Parlamentswahlen und den Präsidentschaftswahlen – von den Wählerinnen und Wählern bestätigt. Die polnische Regierung wird ihre Vision der EU – eine Art De Gaulle’sches „Europa der Vaterländer“ – weiter vertreten. Auf der anderen Seite wissen die Handelnden in Warschau natürlich auch sehr genau, was sie an der EU haben. Insofern würde ich von einer Art utilitaristischen Pragmatismus im Umgang mit Brüssel in den kommenden Jahren ausgehen: Im Zweifelsfall wird man es nicht zum Bruch kommen lassen. Das würde die enorm europafreundliche Gesellschaft Polens ihren Regierenden nicht verzeihen.