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Interview von Claudia Detsch
Der französische Präsident Emmanuel Macron scheint die außenpolitische Führungsrolle in Europa übernommen zu haben. Welche Ziele verfolgt er in der Außen- und Sicherheitspolitik?
Emmanuel Macron will sich auf eine europäische strategische Autonomie hinbewegen. Er greift damit auf ein altbekanntes französisches Projekt im Stile De Gaulles und Mitterrands zurück, zu dem er sich bekennt. Diese europäische strategische Autonomie soll nicht gegen die Vereinigten Staaten gerichtet sein. Sie besteht einfach darin, aus einer Abhängigkeit herauszukommen, deren historische Wurzeln (der Kalte Krieg und die drohende sowjetische Übermacht) nicht mehr existieren. Aber Gewohnheiten überleben die Realität. Diese europäische strategische Autonomie war lange Zeit nicht möglich wegen der Schwäche Europas, das nach dem Zweiten Weltkrieg zerstört war. Es geht darum, mit den Vereinigten Staaten verbündet zu sein, ohne sich nach ihnen auszurichten. Die derzeitige Haltung von Donald Trump, der den Europäern regelmäßig Botschaften der Feindseligkeit sendet und sogar die Europäische Union als Feind bezeichnet, macht dies notwendiger denn je.
Hat er das Ziel, die gegen Russland verhängten Sanktionen zu lockern und generell eine versöhnlichere Position einzunehmen?
Unsere Beziehungen zu Russland können nicht so bleiben, wie sie derzeit sind. Es ist paradox, dass wir heute schlechtere Beziehungen zu Moskau haben als zu Zeiten der Sowjetunion. Wir haben ernsthafte Meinungsverschiedenheiten mit Russland, was Syrien und die Ukraine angeht. Wir stimmen mit Moskau überein, wenn es um den Iran geht. Aber sollen wir ewig an den Sanktionen festhalten, wenn wir Fortschritte erzielen wollen? Ich persönlich würde sagen (im Elysée-Palast oder im Außenministerium würde das niemand offiziell sagen), dass es aus rein logischer Sicht paradox erscheinen mag, Sanktionen gegen Russland wegen der illegalen Annexion der Krim zu verhängen, aber die Vereinigten Staaten und Großbritannien nicht für den Irakkrieg 2003 sanktioniert zu haben, der ebenfalls illegal war und viel katastrophalere strategische Folgen hatte.
Es liegt nicht in unserem Interesse, Russland in die Arme Chinas zu treiben. Am Ende des Zweiten Weltkriegs haben wir die Annexion der baltischen Staaten nicht anerkannt. Das hat uns nicht daran gehindert, eine Entspannungspolitik mit der Sowjetunion zu initiieren, die im Helsinki-Abkommen ihren Höhepunkt fand. Wir können die Normalisierung unserer Beziehungen zu Russland nicht von der Wiedereingliederung der Krim in die Ukraine abhängig machen, die zudem die Bevölkerung der Krim nicht will. Der neue ukrainische Präsident sendet Öffnungssignale und Russland müsste sich um eine Entspannung der Lage in der Ostukraine bemühen und die vollständige Umsetzung des Minsker Abkommens ermöglichen.
Wie schätzen Sie die Interessen Frankreichs gegenüber denen der deutschen Bundesregierung ein, ist eine Kollision möglich?
Wir haben vielleicht manchmal abweichende Interessen, bei Themen, in denen wir konkurrieren. Insgesamt aber sind unsere Interessen auf globaler Ebene nicht nur kompatibel, sie stimmen sogar überein. Das französische Projekt der europäischen strategischen Autonomie ist ohne ein starkes und handlungsfähiges Deutschland nicht möglich. Im Moment verhält Deutschland sich aus Sorge um seine Absatzmärkte Donald Trump gegenüber zurückhaltend, obwohl dieser Angela Merkel gegenüber viel brutaler und unhöflicher auftritt als gegenüber Emmanuel Macron. Das deutsch-französische Tandem bleibt die wesentliche Triebkraft der europäischen Integration. Auch wenn es in einem Europa der 28 oder 27 nicht mehr die gleiche treibende Kraft hat wie in einem Europa der 12: die Vorstellung, dass Frankreich Interesse an einem schwachen Deutschland haben könnte, ist längst hinfällig – seit den Zeiten De Gaulles und Mitterrands. Wir müssen zusammenarbeiten, um den derzeit stark bedrohten Multilateralismus zu verteidigen und zu fördern.
Welche Strategie verfolgt die französische Regierung gegenüber den Vereinigten Staaten – möchte Macron sich als zentraler Widersacher Donald Trumps positionieren?
Emmanuel Macrons Haltung gegenüber Trump lässt sich so zusammenfassen: Trump ist Präsident der Vereinigten Staaten, damit müssen wir leben, auch wenn es unangenehm ist. Es ist daher notwendig, den Schaden möglichst in Grenzen zu halten und zu versuchen, so viel Handlungsspielraum wie möglich zu schaffen. Zuerst versuchte Macron, Trump über eine Charmeoffensive davon zu überzeugen, seine Meinung zu ändern. Das war erfolglos. Derzeit versucht er eher, Trumps Fähigkeit, Schaden anzurichten, einzudämmen und gleichzeitig die Charmeoffensive fortzusetzen. Trump gegenüber bedient er sich eher psychologischer statt geopolitischer Mittel. Er versucht, ihn zu erweichen, ja sogar ihm zu schmeicheln, aber ab einem gewissen Punkt muss man standhaft sein und die Unterschiede deutlich machen. Frankreich braucht dafür jedoch Partner, bei denen Deutschland an erster Stelle steht. Es ist zu hoffen, dass eine neue Regierung in Italien wieder handlungsfähiger ist und auch Spanien seine Gestaltungskraft wiederfindet.
Wie bewerten Sie den jüngsten G7-Gipfel: Ist das Format noch gerechtfertigt? Hat der Gipfel konkrete Fortschritte erwirkt?
Im Vergleich zu der im Vorfeld befürchteten Katastrophe war der G7-Gipfel produktiv. Die Ergebnisse sind natürlich nur vorläufig. Aber die Spannungen um den Iran konnten etwas abgebaut werden und die Amazonasfrage rückte ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Diplomatie bringt keine spektakulären Sofortergebnisse, sondern muss langfristig wirken. Wir wissen sehr wohl, dass die G7 nicht mehr dieselbe Bedeutung hat wie früher und dass die westliche Welt, auf der sie basiert, nicht mehr so allmächtig ist, wie sie einmal war. Dennoch kann man nicht sagen, dass es in der heutigen Welt zu viele diplomatische Bemühungen gibt. Diese Treffen sind immer nützlich.
Aus dem Französischen von Claudia Detsch und Benjamin Schreiber.