Die Fragen stellte Claudia Detsch.
Wenn in Deutschland die Sprache auf Subventionen kommt, hat das meist einen negativen Beigeschmack. Sind Subventionen böse?
Nein, natürlich nicht! Sie sind ein wesentliches Instrument, um gewünschte wirtschaftliche Entwicklungen zu befördern oder in eine andere Richtung zu lenken. Ein Staat ohne Subventionen ist ein Nachtwächterstaat, der sich völlig aus der Wirtschaft raushält. Davon träumen nur Marktradikale.
Dennoch gibt es viele Subventionen, die politischen Zielen im Wege stehen. Besonders deutlich wird das beim Klimaschutz. Wenn wir über klimaschädliche Subventionen sprechen, um welche Sektoren geht es dann?
Es geht insbesondere um die energieintensive Industrie und um den Spritverbrauch der privat oder unternehmensmäßig genutzten Automobile. Da gibt es einen Subventionsaltbestand, an den sich die Politik nicht herantraut und der jedes Jahr enorme Summen ausmacht. In Deutschland sind es fast 40 Milliarden Euro im Jahr, die der Staat ausgibt, um de facto den Verbrauch fossiler Brennstoffe zu fördern. Diese Ausgaben beziehen sich auch auf entgangene Einnahmen infolge von Steuernachlässen. Im Subventionsbegriff gelten Steuernachlässe, wenn man also bestimmte Tätigkeiten geringer besteuert als andere, genauso als Subventionen wie die direkte Auszahlung aus der Staatskasse. Der Effekt ist der gleiche. Allerdings tauchen diese Steuernachlässe oft nicht in der offiziellen Statistik auf. Ein Beispiel ist das Steuerprivileg Diesel. Die Mineralölsteuer auf Diesel ist wesentlich niedriger als auf anderes Benzin. Die Differenz macht pro Jahr 11,5 Milliarden Euro aus.
Nun haben Sie es selbst angesprochen: Es ist schwierig, solche Privilegien wieder abzubauen, nachdem die Bevölkerung sich daran gewöhnt hat. Ein solcher Schritt kann sogar zu sozialen Protesten führen. Wir haben das in Frankreich gesehen, wo eine geplante höhere Besteuerung von Treibstoffen die Gelbwesten-Bewegung auslöste.
Genau, dort sollte das Dieselprivileg beendet werden. Die französische Regierung wollte den Leuten diese Vergünstigung nehmen, ohne sie an anderer Stelle zurückzugeben. Daran kann man die verteilungspolitische Borniertheit von Herrn Macron und seinen Ministern erkennen. Es gibt eine ‚goldene Regel‘: Wenn man angestammte Privilegien wegnimmt, dann muss man das an anderer Stelle zurückgeben. Das ist eine sehr alte Erkenntnis, die damals von den Franzosen ignoriert wurde. In Deutschland wird sie zumindest teilweise berücksichtigt.
Sie sind zuversichtlich, dass mit einer kohärenten Politik des Ausgleichs und begleitet von einer guten Öffentlichkeitskampagne solche Proteste abgefedert werden können?
Ich bin davon fest überzeugt. Ein sehr großer Teil der Bevölkerung hat inzwischen verstanden, dass dringend etwas passieren muss. Sonst erben unsere Kinder eine Welt, in der die Lebensbedingungen dramatisch schlechter sind. Aber man muss das vernünftig erklären und die Lasten fair verteilen. Denn es wird Lasten geben, das ist unvermeidlich. Entweder wird die Physik uns Lasten auferlegen – da geht es dann aber extrem ungerecht zu, weil die Reichen sich immer irgendwo freikaufen können – oder man teilt die Lasten jetzt fair auf. Diejenigen, die mehr tragen können, müssen auch mehr bezahlen.
Aber auch die Industrie warnt davor, dass bei einer höheren Besteuerung von Energie oder einem Abbau bestehender Subventionen ihre Wettbewerbsfähigkeit leidet. Zuletzt war das bei den Gesprächen der Stahlindustrie mit der Regierung zu beobachten. Dieses Szenario weckt Ängste, weil bei einer Abwanderung der Industrie ins günstigere Ausland viele Arbeitsplätze betroffen wären. Sind solche Befürchtungen generell berechtigt oder ist das ein zuweilen auch erpresserisch genutztes Argument?
Sagen wir mal so: Das geht fließend ineinander über. Wenn die Kostendifferenz zwischen der Herstellung von Stahl in China oder der Türkei und der Herstellung von Stahl innerhalb der Europäischen Union zu groß wird, dann findet natürlich bei freien Märkten eine Verlagerung der Produktion statt. Einfaches Beispiel: Die Bauindustrie braucht laufend Baustahl. Den Baustahl kauft sie zu einem bestimmten Preis, und wenn sie den einschließlich Zöllen und Transportkosten und Lieferrisiken in der Türkei billiger bekommt als in Deutschland, dann kauft sie den in der Türkei. Das kann man den Unternehmen auch nicht vorwerfen. Deswegen ist das Argument nicht grundsätzlich falsch. Allerdings wird es in der Regel zu einem Zeitpunkt und bei Kostendifferenzen bemüht, wo das wirkliche Leben ganz anders spielt.
Ehrlicherweise muss man sagen, dass große Teile des führenden Managements gerade in den deutschen energieintensiven Industrien inzwischen begriffen haben, dass ihre bisherige Produktionsweise keine Zukunft hat. Teilweise sind das also Rückzugskämpfe, die jetzt geführt werden. Deswegen versprechen sie ja vollmundig: Wir werden bis 2050 klimaneutral werden. Der Staat muss uns das aber bezahlen.
Der nötige Umbau wird extrem teuer werden, da darf man sich keine Illusionen machen. Die zentrale Frage ist nun, wieviel von diesen Kosten der Steuerzahler übernehmen muss und welchen Anteil die Aktionäre tragen.
Das ist der harte Kern der Auseinandersetzung. Der nötige Umbau wird extrem teuer werden, da darf man sich keine Illusionen machen. Die gesamte Chemieindustrie muss von Grund auf umgebaut werden, wenn sie klimaneutral werden will. Die zentrale Frage ist nun, wieviel von diesen Kosten der Steuerzahler übernehmen muss und welchen Anteil die Aktionäre tragen. Die Stahlindustrie hält im Moment beide Hände weit auf und sagt: Bitte, bezahlt uns doch den Umbau auf die Wasserstoffbefeuerung unserer Stahlwerke. Dagegen ist grundsätzlich nichts zu sagen. Doch wenn der Staat praktisch die Investitionskosten der Stahlindustrie tragen soll, kann diese nicht gleichzeitig Dividenden für die Aktionäre auszahlen. Darüber wird aber nicht verhandelt, der Diskurs findet schlicht nicht statt. Das ärgert mich wahnsinnig!
Von politischer Seite wird zu wenig Druck ausgeübt?
Ja. Darüber wird gar nicht nachgedacht. Wenn eine börsengehandelte Firma keine Dividenden mehr zahlt, dann sinkt natürlich der Aktienkurs und sie wird potenziell zum Übernahmekandidaten für Investoren aus dem Ausland. Diese Unternehmen müsste man unter Umständen davor schützen. Mit anderen Worten: Wenn wir beim Klimaschutz wirklich ernst machen, müssen wir tief in das Marktgeschehen eingreifen. Wir müssen innerhalb von zehn Jahren grundlegende industrielle Strukturen verändern. Dafür brauchen wir enorme Mengen an Subventionen und tiefe Eingriffe in den Markt. Sonst werden wir scheitern.
Das ist eine klare Ansage.
Es handelt sich um eine Verteilungsfrage. Ganz simpel gefragt: Wieviel soll der Steuerzahler zahlen und wieviel bezahlen die Kapitalbesitzer? Das muss offen angesprochen werden. Das muss Thema der Koalitionsverhandlungen im Herbst sein.
Für Sie ist der Klimaschutz also eng verbunden mit der Frage des Wirtschaftssystems?
Die allgemeine Kapitalismusdebatte würde ich nicht führen. Aber in seiner heutigen Ausprägung und mit der heutigen großen Freiheit für die Kapitalbesitzer ist konsequenter Klimaschutz nicht vereinbar.
Der Ruf nach einer stärkeren Rolle des Staates setzt sich derzeit ohnehin durch, nicht zuletzt wegen der Erfahrungen in der Pandemie, aber auch auf dem Feld der Digitalisierung. Umsteuern bedeutet aber eben auch immense Subventionsleistungen seitens des Staates. Das verlangt doch eher nach einer massiven Steigerung der Subventionen?
Richtig! Umso dringender wäre es, dass wir die noch bestehenden schädlichen Subventionen endlich kürzen. Derzeit wird zwischen Europa-Parlament und dem Rat über das Europäische Klimagesetz verhandelt. Das Parlament dringt darauf, endlich die Subventionen abzubauen, die den Verbrauch von fossilen Brennstoffen fördern. Die Mehrheit des Rates hat das wieder abgelehnt. Es steht wieder nicht im Gesetz. Ich verstehe nicht, was die Politiker da reitet. Wir haben europaweit versucht, die Gründe zu recherchieren. Im Grunde haben wir nichts gehört außer faulen Ausreden: Die Wählerinnen und Wähler wollen das nicht. Entschuldigung, aber die Politiker sind nicht nur dafür da zu tun, was die Wähler wollen. Wenn sie bessere Erkenntnisse haben als die Mehrheit ihrer Wählerschaft, dann müssen sie die Führung übernehmen und erklären, was sie für notwendig halten. Das haben sie während der Pandemie auch getan. Das wird im Zuge des Klimawandels noch viel dringender.
Es scheint, dass die Fossilwirtschaft sehr erfolgreich gegen einschneidende Veränderungen lobbyiert.
Ja, und das ist auch verständlich. Der Verbrauch fossiler Brennstoffe ist seit 150 Jahren Bestandteil unserer westlichen Industriegesellschaft. Da braucht es politische Führung um zu sagen: Liebe Leute, es kann nicht bleiben, wie es war. Wir können nur versuchen, den Wandel zu gestalten oder er wird uns aufgezwungen. Das sind die beiden Alternativen.
Gerade haben die Vereinten Nationen darauf gedrungen, die Methanemissionen zu senken. Dazu wird zuallererst gehören, dass man die Erdgasförderung einschränkt. Dieser Lobby muss man also wirklich auf die Füße treten.
Es gibt allerdings eine Lobby, die besonders aggressiv und rücksichtslos agiert. Das sind die Betreiber der Infrastruktur von Erdgas. Die beiden Staatskonzerne Equinor aus Norwegen und Gasprom aus Russland haben zusammen mit den europäischen Gasnetzbetreibern die Mehrheit der EU-Regierungen davon überzeugt, dass Erdgas eine Übergangstechnologie sei, die wir brauchen. Das ist in jeder Hinsicht falsch. Und es ist irrsinnig gefährlich für den Klimaschutz. Es werden weiterhin über 100 Milliarden Euro investiert in eine Gas-Infrastruktur, von der wir jetzt schon wissen, dass wir sie abschaffen müssen. Der prominenteste Fall ist Nord Stream 2. Ich bin nicht anti-russisch eingestellt. Aber diese Pipeline braucht niemand. Je mehr Geld in solche Infrastruktur fließt, desto mehr erwarten diejenigen, die investieren, dass sich die Investitionen amortisieren. Der Gasverbrauch aber sinkt seit vielen Jahren in Europa.
Der Diskurs der Brückentechnologie in eine saubere Zukunft ist also falsch?
Das ist wissenschaftlich widerlegt. Ein Gaskraftwerk produziert pro Kilowattstunde wesentlich weniger CO2 als ein Kohlekraftwerk, das stimmt. Was aber außer Acht gelassen wird, ist das Methan. Bei der Förderung und dem Transport von Erdgas wird Methan in großem Stil freigesetzt, insbesondere auf den Erdgasfeldern Russlands, aber auch beim Fracking in den USA. Dieses freigesetzte Methan ist 80 Mal wirksamer als CO2. Es richtet enormen Schaden beim Klima an. Gerade haben die Vereinten Nationen darauf gedrungen, die Methanemissionen zu senken. Dazu wird zuallererst gehören, dass man die Erdgasförderung einschränkt. Dieser Lobby muss man also wirklich auf die Füße treten.
Wo sehen sie ansonsten den größten Handlungsbedarf?
Gerade in Deutschland gibt es einen ganzen Dschungel von absurden Subventionen für jede Art von industrieller Produktion. Praktisch die gesamte Industrie ist freigestellt von der Energiesteuer, die einen Anreiz schaffen soll, effizientere Techniken einzusetzen und weniger Energie zu verbrauchen. Es gibt keinen Grund, diese Subventionen pauschal der gesamten Industrie zuzugestehen.
Der zweite große Brocken sind die Lizenzen für den Emissionshandel. Jede Industrie, die Treibhausgase emittiert, muss entsprechende Lizenzen kaufen. Aber fast die Hälfte der Industrie ist davon freigestellt und bekommt die Lizenzen kostenlos. Sie nutzt das Argument des Wettbewerbsnachteils, verbunden mit der Drohung einer Abwanderung ins Ausland. Oft sind aber gar keine ausländischen Konkurrenten vorhanden, die tatsächlich die Produkte günstiger anbieten könnten. Da muss man die Industriellen beim Wort nehmen und sagen: Damit ihr den Anreiz bekommt, in großem Stil zu investieren und euch dabei vom Steuerzahler subventionieren zu lassen, müsst ihr im Gegenzug das Ende der kostenlosen Emissionslizenzen akzeptieren. Bis spätestens 2030 muss das der Fall sein. Danach darf es keine kostenlosen Emissionslizenzen im europäischen Emissionshandel mehr geben. Doch auch dieser Diskurs wird noch nicht offen geführt.
Um welche Größenordnung geht es hier?
Wir haben das im vergangenen Jahr recherchiert. Allerdings haben wir nur für siebzehn der siebenundzwanzig europäischen Länder wirklich stabile Zahlen gefunden. Diese ergeben ein Ausmaß an klimaschädlichen Subventionen, das genauso hoch ist wie das gesamte EU-Budget eines Jahres. Dieses Geld brauchen wir für den Umbau. Deswegen müssen wir raus aus diesen schädlichen Subventionen und das Geld in die richtigen umschichten.
Warum geschieht das nicht? Sie sind ja der Meinung, die Bevölkerung sei längst reif für den Umbau.
Ich bin mir sehr sicher, dass die Bevölkerung reif dafür ist – vorausgesetzt, es geht fair zu. Es darf nicht darauf hinauslaufen, dass die normale Mittelschichtsbürgerin auf ihre Flugreisen verzichten muss und die Reichen fliegen weiterhin, wohin sie wollen. Wie vermeiden wir die Klimadiktatur? Wir vermeiden sie, indem wir die Verhältnisse ändern. Dann verändert sich auch das Verhalten. In dem Moment, wo die Mehrheit der Bevölkerung das Gefühl hat: Die Reichen können sich freikaufen und wir müssen alle Lasten tragen, scheitert die gesamte Klimaschutzpolitik. Dann fangen die Leute an, Populisten zu wählen.
Wen sehen Sie in der Verantwortung? Kann man die wichtigsten Maßnahmen noch auf deutscher Ebene voranbringen oder ist es ohnehin längst die europäische Ebene, die hier die Vorgaben macht?
Beim deutschen Subventionsdschungel können wir mindestens die Hälfte national beseitigen. Anderes muss auf europäischer Ebene geregelt werden. Um bei dem Klassiker zu bleiben: Wenn wir das Diesel-Privileg abschaffen, ist die Logistikbranche betroffen. Deswegen wäre eine europäische Vereinbarung über eine Mindestbesteuerung bei der Mineralölsteuer sinnvoll, damit nicht alle Speditionen nach Polen oder Rumänien verlagert werden. Genau da hakt aber die europäische Ebene. Alles, was mit Steuern zu tun hat, kann auf europäischer Ebene nur einstimmig beschlossen werden. Und irgendeine besonders rückständige Regierung ist immer dagegen oder auch nur irgendeine besonders korrupte, weil sie sich von irgendeinem Lobbyverein hat kaufen lassen. Deswegen haben wir ein Dilemma in Europa. Wir müssen das Steuerproblem auf europäischer Ebene lösen. Wir brauchen Mehrheitsentscheidungen in der Steuerpolitik. Das ist ebenso zukunftsentscheidend wie in der Außenpolitik. Sie fragten: Welche Ebene ist wichtiger? Meiner Ansicht nach ist die europäische Ebene wichtiger.
Wie bewerten Sie vor dem Hintergrund Ihrer eigenen Recherchen die Aussichten des European Green Deal?
Wenn ich den derzeitigen Stand betrachte, sage ich: Der Green Deal wird scheitern. Ich sehe das erbärmliche Ergebnis bei den Verhandlungen über das Klimagesetz. Ich sehe den Durchmarsch der Gaslobby bei der Festlegung dessen, was am Kapitalmarkt das Etikett ‚Grün‘ bekommt. Das verbirgt sich hinter einem technischen Begriff: die Taxonomie für Kapitalanlagen. Bisher wird da nur Schmu betrieben. Was Sie bisher an vermeintlich nachhaltigen Fonds angeboten bekommen, hat auf den zweiten Blick jede Menge Dreck mit drin.
Die EU-Kommission hat eine Superpolitik gemacht. Sie hat eine Expertengruppe eingesetzt, die wirklich wusste, worum es geht. Sie hat einen tollen Katalog vorgelegt: Das ist Grün, das nicht. Dann hat die Gaslobby den Durchmarsch gemacht und alles sabotiert. Deswegen droht auch das jetzt zu scheitern.
In dem Moment, wo die Mehrheit der Bevölkerung das Gefühl hat: Die Reichen können sich freikaufen und wir müssen alle Lasten tragen, scheitert die gesamte Klimaschutzpolitik. Dann fangen die Leute an, Populisten zu wählen.
Ein extrem wichtiger Bereich sind die Agrarsubventionen. Das ist eine der größten Verschwendungen von Steuergeld überhaupt in Europa. Sie machen fast ein Drittel des EU-Etats aus. Auch da hat die EU-Kommission den Schuss gehört. Die Kommissare haben versucht umzuschichten. Es sind die nationalen Regierungen, die diese Politik nach Strich und Faden sabotieren. Gemeinsam mit vielen Abgeordneten des EU-Parlaments haben die nationalen Regierungen verhindert, dass der gesamte Agraretat allein nach ökologischen Kriterien ausgegeben wird.
Sie sehen: An allen Fronten brennt es. Und an allen Fronten bremsen die nationalen Regierungen, weil sie von Politikern geführt werden, die entweder überhaupt noch nicht verstanden haben, was passiert – das trifft zum Beispiel auf die Regierungen in Polen und Tschechien ganz eindeutig zu –, oder die zu feige sind, ihren Wählerinnen und Wählern die Wahrheit zu sagen.
Wenn wir auf die nationale Ebene gehen, sind sie ähnlich pessimistisch? Sie haben gesagt, dass das Thema der Subventionsumschichtungen im deutschen Wahlkampf eine Rolle spielen sollte. Meinen Sie, bei uns ist ausreichend Bewegung drin inzwischen?
In den Führungsetagen der großen Unternehmen gibt es inzwischen viele Leute, die verstanden haben, dass es so nicht weitergeht. Ein führender Lobbyist der energieintensiven Industrie in Deutschland hat mir Folgendes gesagt: Ja, wir haben die Macht durchzusetzen, dass wir noch zehn Jahre weitermachen wie bisher. Aber wenn wir das tun, wird es uns wahrscheinlich in fünfzehn oder zwanzig Jahren in Europa nicht mehr geben. Wir haben verstanden, dass sich etwas ändern muss. Es geht nur noch um die Frage: wer bezahlt?
Ihr Tenor ist also: Die Wirtschaft ist weiter als die Politik?
Zumindest erhebliche Teile des führenden Managements sind inzwischen weiter als die Politik. Die haben es allerdings natürlich auch leichter. Sie müssen nur die Aktionäre überzeugen und nicht gleich eine Mehrheit der Wahlbevölkerung. Aber mir macht Hoffnung, dass der Widerstand sinkt. Der Bundesverband der deutschen Industrie ist nur der kleinste gemeinsame Nenner. Er repräsentiert nicht unbedingt die Mehrheitsmeinung der Industrie.
Sie haben erwähnt, dass Sie während Ihrer Recherchen positiv von der Haltung der Industrievertreter überrascht waren. Was war Ihre negativste Überraschung?
Die EU-Kommission hat keine Ahnung vom tatsächlichen Umfang der klimaschädlichen Subventionen in Europa. Die haben die Ermittlung dieser Subventionen an irgendeine private Consulting-Firma ausgelagert. Mit denen habe ich korrespondiert und habe festgestellt, dass die de facto Industrieinteressen vertreten und deswegen völlig falsche Zahlen liefern.
Gilt auch in Deutschland, dass der Umfang der Subventionen nicht systematisch zusammengetragen wird?
Das Umweltbundesamt hat einen guten Überblick. Deren Zahlen sind wesentlich sauberer als der Subventionsbericht der Bundesregierung. Etwas Vergleichbares gibt es aber auf europäischer Ebene nicht. Darum bin ich mir relativ sicher, dass die 140 Milliarden, die wir im Rahmen der Recherche auf europäischer Ebene direkt erheben konnten, viel zu niedrig sind. Vermutlich sind es über 200 Milliarden Euro.
Ist die Ausgangslage in den europäischen Mitgliedstaaten in etwa vergleichbar oder gibt es große Unterschiede beim Ausmaß klimaschädlicher Subventionen?
Es gibt große Unterschiede. Wenn Sie auf unsere Karte gucken, sind die Deutschen und die Belgier die Schlimmsten. Es sind aber auch Schlimme dabei, wo man es nicht erwarten würde, nämlich zum Beispiel Schweden und Norwegen. Die leisten sich zum Teil Subventionen für eine nicht nachhaltige Waldindustrie. Natürlich fördern die Norweger indirekt immer noch die Öl- und Gasförderung. Damit sind sie reich geworden und davon kommen sie nur sehr schwer los. Man muss ihnen allerdings zugutehalten, dass sie sich darüber sehr bewusst sind und dass darüber eine harte und offene Auseinandersetzung geführt wird. Was diesen Diskurs angeht, kann Deutschland noch viel lernen.