Im Mai 2016 reiste der deutsche Außenminister gemeinsam mit seinem französischen Amtskollegen nach Mali. Nun besucht erstmalig die Bundeskanzlerin das westafrikanische Land. Warum ist Mali wichtig für uns?

Mali ist äußerst wichtig für die Stabilität in der Sahara und im Sahel. Die Bundesregierung hat ihr Engagement jüngst deutlich ausgeweitet, um den fragilen Friedensprozess in Mali mit der Umsetzung des 2015 unterzeichneten Abkommens von Algier zu unterstützen. Die Entwicklungshilfe wurde aufgestockt. Deutschland beteiligt sich mit militärischen und zivilen Kräften an der UN-Friedensmission MINUMSA und den europäischen Ausbildungsmissionen EUTM und EUCAP zur Reform und Stärkung der malischen Armee und Polizei.

Der Besuch der Bundeskanzlerin trägt nicht nur dieser Schwerpunktsetzung Rechnung. Zugleich soll er einen außenpolitischen Paradigmenwechsel verdeutlichen. Die jüngsten Migrationsbewegungen haben die Bundesregierung erkennen lassen, dass die Stabilität in Deutschland wie der Europäischen Union auch von den Entwicklungsperspektiven und menschenwürdigen Verhältnissen in den afrikanischen Nachbarländern abhängt. Es ist richtig: Das Wohl Afrikas liegt im deutschen Interesse, wie es die Bundeskanzlerin formuliert hat. Nun kommt es darauf an, dieser nicht gerade neuen Erkenntnis endlich Taten folgen zu lassen und politisch zugunsten von Afrika umzusteuern.

Wie lässt sich Migration in Richtung Europa in Mali nachhaltig einschränken? Besteht in Mali ein echtes Interesse, daran mitzuwirken?

Man braucht einen ganzheitlichen Ansatz, um Entwicklungsperspektiven in den ärmsten Ländern der Welt wie Mali oder Niger zu schaffen und um damit Fluchtursachen „nachhaltig zu bekämpfen“. Das fängt bei der globalen Wirtschafts- und Handelspolitik an, die die Gegebenheiten vieler afrikanischer Staaten schlicht missachtet. Wichtig sind, neben Ernährungssicherheit und staatlicher Infrastruktur, die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung, der (Grund-)Bildung und der Rechtsstaatlichkeit, um langfristig eine Verbesserung der Existenzgrundlage zu erreichen. Angesichts anhaltender Konflikte muss auch die afrikanische Sicherheitsarchitektur verbessert werden.

Darüber hinaus sollte nachgedacht werden, wie die deutsche und europäische Entwicklungszusammenarbeit zielführender und nachhaltiger gestaltet werden kann. In der Praxis bestimmen allzu häufig politische Reflexe sowie wirtschaftliche Überlegungen und Haushaltslogiken das Handeln. Für eine derartige kritische Selbstreflexion scheint es jedoch kein großes Interesse zu geben – zumindest lässt hierauf das Besuchsprogramm der Bundeskanzlerin schließen.

Die zu erledigenden Hausaufgaben liegen jedoch nicht nur im globalen Norden. Auch die afrikanischen Politiker müssen deutlich stärker in die Pflicht genommen werden. Für eine gute Regierungsführung und den Kampf gegen Korruption und Vetternwirtschaft braucht es nicht viele Ressourcen, sondern politischen Willen. Diesen Kulturwandel gilt es, offensiv und kompromisslos sowohl bi- als auch multinational einzufordern.

Für eine gute Regierungsführung und den Kampf gegen Korruption und Vetternwirtschaft braucht es nicht viele Ressourcen, sondern politischen Willen.

Bei der sich abzeichnenden Neuausrichtung deutscher Afrikapolitik muss dem Umstand Rechnung getragen werden, dass Migration auch eine produktive Seite hat. Aus Mali wandern die meisten Migranten nicht nach Europa, sondern in andere Staaten Westafrikas oder in den Maghreb. Die Rücküberweisungen der Auslandsmalier machen etwa sechs bis sieben Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts aus. Sie finanzieren Gesundheitszentren, Brunnen, Gemeindezentren und Moscheen. In einzelnen Regionen übertrifft die Entwicklungsleistung der Migranten die des Staates um ein Vielfaches.

Daher kann die malische Regierung eigentlich kein Interesse daran haben, die Migration generell zu unterbinden, schließlich profitieren Land und Gesellschaft enorm davon. Damit trifft der europäische Ansatz der „Bekämpfung von Fluchtursachen“ in Mali auf eine komplexe innenpolitische Lage. Die EU versucht deshalb bereits seit längerem, die Kooperation durch Druck oder finanzielle Anreize herbeizuführen. So wurden im Rahmen des auf dem Migrationsgipfel von Valetta (2015) aufgelegten Trust Funds bereits mehr als 91,5 Millionen Euro in Mali ausgegeben oder zugesagt. Ob mit diesem Geld aber wirklich strukturelle Herausforderungen angegangen werden oder eher teure Symbolpolitik betrieben wird, lässt sich mit Fug und Recht fragen.

Deutsche Soldaten sind im Rahmen der UN-Friedensmission MINUSMA und der europäischen Ausbildungsmission EUTM in Mali aktiv. Eine Ausweitung der Bundeswehreinsätze wurde Anfang des Jahres beschlossen. Hat dies zu mehr Sicherheit geführt?

Die Sicherheitslage hat sich weder im Norden noch im Zentrum des Landes nachhaltig verbessert und stellt damit weiterhin eine zusätzliche Hürde für die Wiederaufnahme der Entwicklungszusammenarbeit dar. Die International Crisis Group spricht in einem aktuellen Bericht sogar von einer neuen Krise, die derzeit im Zentrum Malis entsteht und zu einem ethnischen Konflikt zu werden droht.

Diese Entwicklung ist jedoch nicht der MINUSMA oder dem Bundeswehr-Kontingent anzulasten. Diese leisten einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung des Landes, können und sollen jedoch nicht den malischen Staat ersetzen.

Der malische Staat ist bis heute in weiten Teilen des Landes ganz oder teilweise abwesend.

Der malische Staat ist bis heute in weiten Teilen des Landes – nicht nur im Norden – ganz oder teilweise abwesend. Polizisten und Gendarmen, Präfekten, Lehrer, Mediziner und Richter sind in der Fläche kaum präsent. Trotz des großen Engagements der EUTM gelingt es auch der malischen Armee bisher nicht, für eine nachhaltige Verbesserung der Sicherheitslage zu sorgen. Eine Grenzsicherung, wie sie künftig laut Merkel zukünftig von der EUCAP unterstützt werden soll, ist unter diesen Rahmenbedingungen nicht zu leisten.

Infolge der Begrenzung des staatlichen Gewaltmonopols auf regionalen Zentren und angesichts der fehlenden Regulierung sozialer Konflikte drohen Auseinandersetzungen, wie etwa zwischen den Peulh und Bambara im Binnendelta des Niger, zu eskalieren; Kriminelle und Terroristen nutzen die Abwesenheit staatlicher Sicherheitsorgane für ihre Zwecke. Hinzu kommt, dass es bei der Umsetzung des Friedensabkommens von Algier, beim staatlichen Wiederaufbau und bei der Reform der Armee und Polizei kaum Fortschritte gibt. Darüber hinaus läuft Mali Gefahr, Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. So werden etwa ehemalige Rebellen und Kämpfer – mit zweifelhaften Kompetenzen und Loyalitäten – in die Armee integriert. Das hat schon in der Vergangenheit zu massiven Problemen in der malischen Armee beigetragen.

Für die breite Bevölkerung steht eine „Friedensdividende“ noch immer aus. Paradoxerweise wird dies jedoch meist nicht der malischen Regierung, sondern der MINUSMA angelastet.

Es bleibt zu hoffen, dass Bundeskanzlerin Merkel ihre Reise nutzt, um von Staatspräsident Ibrahim Boubacar Keita und seiner Regierung ein nachdrücklicheres Eintreten für Reformen als Voraussetzung für Frieden und Entwicklung in Mali zu verlangen.