In der Ukraine ist die Gewalt in den vergangenen Tagen weiter eskaliert. In der medialen Darstellung in Deutschland scheint die Rollenaufteilung dabei relativ klar: Hier die demokratische Opposition, dort der autoritäre Präsident. Ist das stimmig?
So einfach ist es leider nicht. In der Oppositionsbewegung sind aktuell mindestens drei Parteien auszumachen, die auch im Parlament vertreten sind: "Schlag" von Vitali Klitschko, "Vaterland" von Julia Timoschenko & Arseni Jazeniuk und die rechte "Freiheit" von Oleh Tjahnibog. Daneben existieren etliche vorwiegend rechte radikale politische Splittergruppen, Hooligans und sehr viele NGOs, allerdings mit ganz unterschiedlichen Zielen. Während einige etwa den Sturz der bisherigen Macht fordern, ringen andere um Neuwahlen, eine Heranführung der Ukraine an die EU oder wollen eben einfach nur Krawall. Einig scheinen sich diese Gruppierungen alleine hinsichtlich des angestrebten Machtwechsels zu sein. Über die Mittel zur Erreichung dieses Zieles gehen die Vorstellungen allerdings weit auseinander. Radikale Stimmen, die des Wartens müde sind oder friedliche Verhandlungen insgesamt ablehnen, gewinnen aktuell spürbar an Einfluss.
Einig sind sich die Oppositionsgruppen alleine über den angestrebten Machtwechsel. Über die Mittel zur Erreichung dieses Zieles gehen die Vorstellungen weit auseinander.
Doch zu betonen ist auch, dass auch das Präsidentenlager so einheitlich nicht ist. Auf der Präsidentenseite ringen europäische Tauben und russische Falken intern um die Vorgehensweise. Dass wichtige Oligarchen zu einer friedlichen Lösung aufgerufen haben, ist dabei ein gutes Signal. Grundsätzlich gilt aber natürlich, dass die Lage sehr fragil und angespannt bleibt.
Vitali Klitschko hatte sich zuletzt persönlich eingeschaltet, um den Abzug der Demonstranten aus dem Justizministerium zu erwirken: Ein Zeichen für die Heterogenität der Opposition. Welche Machtblöcke sind zu erkennen?
Klitschko steht sicher eher für eine "Verhandlungslösung" im Konflikt. Aber sein Einfluss ist genauso begrenzt wie seine politische Erfahrung. Klitschko versucht zu beruhigen, zu deradikalisieren, wurde aber auch schon persönlich das Opfer wütender Hooligans.
Klitschkos Einfluss ist genauso begrenzt wie seine politische Erfahrung.
So wie sich die Lage über das Wochenende entwickelt hat, muss man leider bezweifeln, dass ein Verhandlungsergebnis, das nicht eine völlige Kapitulation von Janukowitsch bedeutet, von diesen aufgebrachten Demonstranten akzeptiert würde. Hier rächt sich, dass sich die Opposition immer auf die Schlagworte vom Rücktritt des Präsidenten und der Regierung beschränkt hat und keine politischen Lösungsvorschläge zur Überwindung der schweren Wirtschaftskrise gemacht hat. Man fragt sich, was diese heterogene Opposition mit der Macht anfangen will, wie sie den unrealistisch hohen Erwartungen jemals gerecht werden kann und ob eine zweite Welle der Enttäuschung und Wut vermeidbar ist.
Am Wochenende hatte Präsident Janukowitsch eine politische Einbeziehung der Opposition in Aussicht gestellt. Diese jedoch beharrt auf einem Rücktritt des Präsidenten. Wie stehen die Aussichten auf einen Kompromiss?
Das Angebot war, wenn man die Einzelheiten anschaut, eher eine vergiftete Praline. Es sah die folgenden Schritte vor: Rücktritt der Regierung Azarov, Ministerpräsident sollte der erfahrenere Arseni Jazeniuk werden, Klitschko erster Vizepremier für "humanitäre Angelegenheiten". Alle besetzten Gebäude sollten geräumt werden. Das Parlament sollte das Paket von Gesetzen überarbeiten, mit dem die bürgerlichen Freiheiten vor einer Woche handstreichartig eingeschränkt worden waren.
Eine Annahme des Angebots hätte vor allem eines erreicht: eine zusätzliche Spaltung der Opposition. Deshalb hat es nur wenig zur Befriedung der Lage beigetragen. Grundsätzlich bleibt dabei aktuell oft unbeachtet, dass die Macht von Präsident Janukowitsch in der Westukraine de facto nicht mehr besteht. Demonstrationen und Angriffe wütender Demonstranten auf Rathäuser und Regierungsgebäude sind in den letzten Tagen auch aus den bisherigen Hochburgen seiner Partei im Osten und Süden gemeldet worden.
Die Macht von Präsident Janukowitsch besteht in der Westukraine de facto nicht mehr.
Der Weg der Verhandlungslösung ist an sich richtig, nur muss Janukowitsch dafür akzeptable Vorschläge machen! Sieht man von den brutalen Schlägertruppen unter den Demonstranten einmal ab, geht es der übergroßen Mehrheit hauptsächlich um ein Ende der endemischen Korruption und der Willkür der Gerichte und Behörden.
Was erwarten die verschiedenen Oppositionsblöcke von der EU?
Bei aller Heterogenität der Opposition: Die Präsidentengegner erwarten viel zu viel. Die verbreiteten Vorstellungen reichen dabei von einem aktiven Eingreifen der EU über die Verhängung von Sanktionen bis hin zur Verkündung eines Marshallplans für die Ukraine. Aber die jahrelangen Verhandlungen über das Assoziierungsabkommen und der Gipfel in Vilnius haben gezeigt, dass die Ukraine hauptsächlich moralische und diplomatische Unterstützung von den EU 28 erwarten darf.
Die Vorstellungen der Opposition reichen von einem aktiven Eingreifen der EU über die Verhängung von Sanktionen bis zur Verkündung eines Marshallplans für die Ukraine.
Klar ist: Wie immer der Machtkampf auch endet, sehr viele der friedlich Protestierenden werden alsbald von der EU enttäuscht sein. Das jedoch liegt nicht zuletzt an den völlig unrealistischen Erwartungen, die leider auch von einigen Europäern wie dem damaligen Bundesaußenminister Guido Westerwelle und dem Abgeordneten des Europäischen Parlaments Elmar Brok bei ihren Gastauftritten auf dem Maidan in Kiew noch geschürt worden sind.
Bislang hat die EU die Opposition zur Gewaltlosigkeit aufgefordert und von Präsident Janukowitsch die Erfüllung seiner Zugeständnisse angemahnt. Was kann, was sollte die EU sonst noch tun?
So bitter es klingen mag, viel mehr geht nicht! Der Präsident des Europäischen Parlaments Martin Schulz hat mit den Vermittlern Kwasniewski und Cox eine ausgezeichnete Idee gehabt. Hier wäre konkret zu überlegen, deren Mandat in Richtung Vermittlung und Moderation zu erweitern. Sicher ist nur: Eine Kombination aus politischem Druck und Diplomatie sind die Instrumente. Der politische Gleichklang von Außenminister Steinmeier und der EU-Außenbeauftragten Lady Ashton macht Hoffnung, dass der Maidan nicht weiter angeheizt wird.
19 Leserbriefe
AvB
Der ganze Bericht ist nur Namensleserei. Nun, fangen wir einmal bei Ihrem Namen an und belassen wir es dabei :)
So etwas oberflächliches. Da berichtet eine Frau aus Moskau...
Es ist klar, wenn Sie ein Ahänger Putins sind oder des russichen Imperialismuses. Schlimmer noch, auf ökonomische Interessen achten müssen. Jedoch für ein Institut ist dies ein Armutszeugnis.
Weit schlimmer. Solch ein Engagement stiftet zur weiteren Gewaltanwendung an.
Vor vielen Monaten schon reiste der Bruder des ehm. USA Presidenten Bush,Neil Bush in den Staaten dort herum und verteilete Dollars.
Lena Baden
Verband der Ukrainer in Deutschland e.V.
Erschreckend blindwütig sind einige der Kommentare hier. Sollen vielleicht die Generalmarschal_innen Westerwelle und Ashton mit deutschen Panzern in Kiew einmarschieren und die Russen 'verjagen'? Oder sollen sie mit Waffenlieferungen den Bürgerkrig betreiben?
Wie immer trefflich und pointiert auch Götz Alys Worte in der Berliner Zeitung:
"Es war und bleibt realitätsblind, wenn viele Politiker und noch mehr Journalisten von der „DER Opposition“ faseln. Weder in Kairo noch in Bangkok, Kiew oder Damaskus gab es jemals DIE Opposition, sondern nur Agglomerationen verschiedenartiger Unzufriedenheiten. Wer die Aufstände in arabischen Ländern als „Frühling“ der Freiheit glorifizierte, handelte grob fahrlässig.
In der Ukraine und in Thailand sind demokratisch gewählte Regierungen im Amt; in Ägypten wurde die gewählte Regierung der Muslimbrüder vom Militär weggeputscht, und zwar zur allgemeinen Erleichterung. In Bangkok verhindern Oppositionelle, die hauptsächlich aus einer royalistischen Minderheit bestehen, nach Kräften Neuwahlen. Was wäre Europa erspart geblieben, wenn sich das zaristische Russland, das kaiserliche Deutschland und Österreich-Ungarn in dem Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg zu konsequenten Reformen entschlossen hätten, dazu von außen ermutigt und gedrängt worden wären? Es gehört viel Geschichtsvergessenheit dazu, wenn westliche Europäer nach den Grausamkeiten ihres 20. Jahrhunderts Volkszorn, Barrikadenbau und gesteigerten Großgruppenhass als Vorboten von Freiheit und Recht verherrlichen."
http://www.osce.org/odihr/98578
"Brutale Schlägertruppen" vom Majdan melden sich inzwischen zum Wort:
http://www.3sat.de/kulturzeit/pdf/Offener_Brief_Andruchowytsch_Ukraine.pdf
Auf der einen Seite steht ein kriminelles Regime, zu dem Sie – als Vertreterin der Friedrich Ebert Stiftung in der Ukraine – eine unstatthafte Nähe haben; auf der anderen Seite steht der größte Teil der Bevölkerung, der sich (nach vier Jahren endlich) gegen diese korrupte Bande wehrt. Sie bezeichnen die jungen Aktivisten, die unter Einsatz ihrer körperlichen Unversehrheit gegen die uniformierten Schläger der Bereitschaftspolizei „Berkut“ kämpfen, als „Hooligans“; Sie übernehmen somit die Sprache der Repräsentanten dieses Regimes.
Lesen Sie mal die unten stehende Petion von Ukraine-Experten, die kompetenter sind als Sie !
KYIV'S EUROMAIDAN IS A LIBERATIONIST AND NOT EXTREMIST MASS ACTION OF CIVIC DISOBEDIENCE
Petition by Andreas Umland, Kyiv, Ukraine
Collective statement by experts on Ukrainian nationalism on the role of far right groups in Ukraine's protest movement, and a warning about the Russian imperialism-serving effects of some supposedly anti-fascist media reports from Kyiv
We are a group of researchers who comprise specialists in the field of Ukrainian nationalism studies, and most of the world's few experts on the post-Soviet Ukrainian radical right. Some of us publish regularly in peer-reviewed journals and with academic presses. Others do their research within governmental and non-governmental organizations specializing on the monitoring of xenophobia in Ukraine.
While we are critical of far right activities on the EuroMaidan, we are, nevertheless, disturbed by a dangerous tendency in too many international media reports dealing with the recent events in Ukraine. An increasing number of lay assessments of the Ukrainian protest movement, to one degree or another, misrepresents the role, salience and impact of Ukraine's far right within the protest movement. Numerous reports allege that the pro-European movement is being infiltrated, driven or taken over by radically ethnocentrist groups of the lunatic fringe.
Both the violent and non-violent resistance in Kyiv includes representatives from all political camps as well as non-ideological persons who may have problems locating themselves politically. Not only the peaceful protesters, but also those using sticks, stones and even Molotov Cocktails, in their physical confrontation with police special units and government-directed thugs, constitute a broad movement that is not centralized. Most protesters only turned violent in response to increasing police ferocity and the radicalization of Yanukovych's regime. The demonstrators include liberals and conservatives, socialists and libertarians, nationalists and cosmopolitans, Christians, non-Christians and atheists. ….
Winfried Schneider-Deters
(Kopie an die Friedrich Ebert Stiftung, Berlin)
sehr richtig !
Winfried Schneider-Deters, ehemaliger Leiter des Büros der Friedrich Ebert Stiftung in Kiew (1995 - 2000)
sie gehört auch heute noch dazu. Man kann nicht diesen Völkern Demokratie nach US-Vorbild aufzwingen.Es geht der USA nur darum diesen Teil von Russland heraus zu lösen. Nach Möglichkeit gleich in die NATO und Raketen dort stationieren, natürlich nur für den Frieden (..) Wir haben leider noch immer kalten Krieg.Bei allen Berichten wird nur die Opposition positiv erwähnt. Klitschko ist Handlanger. In den USA stehen schon Unternehmen bereit die, die ukrainischen Werke übernehmen wollen. Es demonstrieren nur die Wohlhabenden. Sie werden mit Fahrzeugen nach Kiew um dort gegen die Regierung zu demonstrieren gebracht. Korruption gibt es in allen Ländern. Wollen wir hoffen, das sich die Lage baldigst beruhigt.
der größte Teil der Bevölkerung?? Es gibt keine verlässlichen Umfrage die das bestätitgen. Zu Erinnerung dieses Volk das jetzt rebelliert hat diese kriminelle Regierung gewählt obwohl die Gasprinzessin die wahlen zur ihrem gunsten versucht hat zu manipulieren. Dies jungen Aktivisten haben schon Dutzende Polizisten ermordert viele hunderte verletzt. Diese jungen friedlichen Aktivisten werfen Molotovcoctails und filmen dabei die brennenden Polizisten. Ich bin neugierig wie man gegen solche friedlichen aktivisten in deutschland vorgehen würde. Die Ereignisse in Hamburg Stuttgart Frankfurt können da schon eine richtungsweisende antwort geben