Laut Hochrechnungen haben die proeuropäischen Parteien in der Ukraine die Wahlen für sich entschieden. Bringt das eine Lösung des Konflikts näher?

Ein proeuropäisches Bekenntnis ist noch lange kein proeuropäisches Programm. Richtig ist, die formal proeuropäischen Parteien gehen gestärkt aus den Wahlen hervor. Das war auch zu erwarten. Denn 4,6 Millionen Bürgerinnen und Bürger der Ukraine auf der Krim und im Donezk konnten an den Wahlen nicht teilnehmen. Gerade in den Hochburgen der Opposition wurde eben nicht gewählt. Ist das Ergebnis nun einer Lösung des Konfliktes förderlich? Da muss man genau hinschauen: Der Präsident hat sich im Vorfeld der Wahlen staatstragend gegeben. Der Premierminister hingegen ist in Tarnfleck-Uniform auf Panzern über die Bildschirme gerollt und hat gefordert, eine Mauer zu errichten. Seine Partei der Volksfront ist erst vor neun Wochen gegründet worden. In den Umfragen rechnete man mit einem einstelligen Ergebnis. Nun liegt er gleichauf mit dem Präsidenten. Möglicherweise gab es ja auch Absprachen, um möglichst breite Schichten der Bevölkerung zu erreichen. Nach dem Motto: „Getrennt marschieren, vereint schlagen“. Im Ergebnis sind die Tauben innerhalb der bisherigen Regierung in den Wahlen eben nicht gestärkt worden.

Die Kommunistische Partei ist nicht mehr im Parlament vertreten. Auch die Nationalisten haben schlecht abgeschnitten. Zeichen des demokratischen Neubeginns?

Die Kommunistische Partei ist das erste Mal seit der Unabhängigkeit nicht mehr im Parlament vertreten. Das ist wenig erstaunlich, denn sie ist traditionell vor allem dort stark, wo gestern eben nicht gewählt wurde. Es mag sein, dass sie noch ein bis zwei Direktmandate erzielt, doch das ist noch unklar. Das Abschneiden der Partei ist aber nicht alleine durch den regionalen Zuschnitt zu erklären. Man muss auch festhalten, dass die Kommunisten im Wahlkampf massiv gestört wurden. Die maximalistischen Kräfte und Maidan-Aktivisten haben immer wieder Veranstaltungen der Kommunisten gestört. Und nicht zuletzt läuft ja in Kiew auch ein Verbotsverfahren gegen die Partei. Auch die Rechtsnationalisten wurden geschwächt. Die Svoboda kämpft aktuell um 5-6 Prozent und somit um den Einzug ins Parlament. Darin zeigt sich, was Beobachter schon seit langem konstatieren: Die Partei war nie so stark wie sie in westlichen Medien und in Russland gemacht wurde. 6 Prozent ist sicher kein Ergebnis, das man verharmlosen darf. Aber zugleich liegt es leider durchaus in der europäischen Norm. Zu erinnern ist hier etwa an die Ergebnisse der Rechtsextremen bei der Wahl zum Europäischen Parlament.

Eine Kernkritik der Maidan-Aktivisten zielte auf das enge Beziehungsgeflecht von Oligarchen und Politik. Wird sich daran jetzt etwas ändern?

Die Wahl dürfte hieran erst mal nichts ändern. Bei jeder einzelnen Partei ist weiterhin nachweisbar, dass Politik und Oligarchen eng miteinander verbunden sind. Positiv ist aber, dass etwa 25 der Aktivisten vom Maidan ein Abgeordnetenmandat errungen haben – in ganz verschiedenen Parteien. Das kann natürlich positive Auswirkungen haben. Zumindest dann, wenn nicht das System die Leute verbiegt, sondern die neuen Abgeordneten einen neuen Politikstil prägen können.

Bei jeder einzelnen Partei ist weiterhin nachweisbar, dass Politik und Oligarchen eng miteinander verbunden sind.

Hierfür wurden von Seiten der Maidan-Aktivisten schon überfraktionelle Netzwerke ins Spiel gebracht, in denen sich die neuen Abgeordneten über Parteigrenzen hinweg vernetzen wollen. Doch was davon umgesetzt werden wird, ist bislang unklar.

Die Wahlbeteiligung lag nur bei knapp über 50 Prozent. Wie ist das zu erklären?

Die niedrige Wahlbeteiligung war tatsächlich überraschend, denn es ist die niedrigste seit der staatlichen Unabhängigkeit. Hier hat es im Land enorme Unterschiede gegeben. Im Westen gibt es Regionen, in denen 70 Prozent der Wahlberechtigten zur Wahl gegangen sind. Selbst in Gegenden des nicht-besetzten Ostens und Südens waren das zum Teil nur 40 Prozent. Das ist also ein Unterschied von 30 Prozent. Zwar war die Wahlbeteiligung bei Parlamentswahlen immer niedriger als bei Präsidentschaftswahlen, doch mir scheint, dass zwei Ursachen verantwortlich sind: Offensichtlich ist nun schon die erste Enttäuschungswelle bei den Bürgerinnen und Bürgern deutlich geworden, die von der anhaltenden Verzahnung der Politik und der Oligarchen abgeschreckt wurden. Der zweite Grund ist, dass im Süden und im Osten des Landes einige der von früher bekannten Abgeordneten nicht mehr kandidiert haben. Die bislang sinnstiftende Partei der Regionen ist ja nicht mehr angetreten. In Kiew selbst wird die geringe Wahlbeteiligung aber eher heruntergespielt. Kommentare in den Kiewer Zeitungen schreiben schon vom großen Erfolg, dass vor dem Hintergrund der enormen Probleme überhaupt so viele Menschen an die Wahlurnen gegangen sind.

Was für eine Regierung kommt jetzt?

Offenbar hat der Präsident heute angekündigt, eine möglichst breite Regierung bilden zu wollen. Hintergrund ist sein Interesse, eine verfassungsändernde Mehrheit im Parlament zustande zu bekommen. Wenn es ihm nur um das Erreichen einer Mehrheit ginge, könnten sich Präsident und Premierminister zusammenschließen. Das würde reichen. Doch um eine verfassungsändernde Mehrheit zu erlangen, braucht die Regierung 300 von 450 Stimmen im Parlament, bzw. von 423 der tatsächlich besetzten Sitze.

Eine verfassungsändernde Mehrheit ist nicht zuletzt erforderlich, um die geplante Dezentralisierung weiter voranzubringen.

Damit ist klar, dass Julia Timoschenko und ihre Vaterlandspartei und etwa die politische Bewegung des Bürgermeisters von Lemberg, die immerhin aus dem Stand 13 Prozent erzielt hat, eingebunden werden müssen. Eine verfassungsändernde Mehrheit ist nicht zuletzt erforderlich, um die geplante Dezentralisierung weiter voranzubringen. Aber es geht auch darum zu regeln, wer künftig welche Posten im Institutionengefüge besetzen darf – das Parlament oder der Präsident.

Die Separatisten planen in den von ihnen kontrollierten Gebieten eigene Wahlen. Um was geht es?

Das ist sozusagen die ukrainische Umsetzung der Minsker Vereinbarung vom September 2014. Dort wurde vereinbart, dass in den besetzten Gebieten des Ostens lokale Wahlen durchgeführt werden sollen. Hier geht es um die Errichtung von Lokalvertretungen in den Regionen, die teilweise von den Separatisten besetzt sind. Im aktuellen Streit zwischen Kiew und Separatisten geht es vordergründig um den Zeitpunkt, aber damit verbunden eigentlich um die Modalitäten des Wahlprozesses. Während der Präsident eine Wahl im Dezember will, fordern die Separatisten Wahlen am 2. November. Sie wollen einfach so schnell wie möglich irgendwie wählen, während Kiew einen ausreichend vorbereiteten Wahlprozess mit Beobachtern will. Was das Ergebnis der Wahlen angeht, ist übrigens keine Überraschung zu erwarten, egal wann sie durchgeführt werden. Das einzig Positive Resultat dürfte sein, dass es künftig zumindest einen einheitlichen Ansprechpartner auf Seiten der Separatisten geben dürfte. Denn bislang sind diese Kräfte ja auch untereinander heftig zerstritten.