Die Fragen stellte Claudia Detsch.

Regionalwahlen gelten gemeinhin als nicht besonders spannend. Warum schlägt der Ausgang der Wahlen in Madrid so hohe Wellen?  

„Katastrophe“ oder „Wunder“ von Madrid – die Einschätzungen gehen je nach politischer Positionierung auseinander. Klar ist, die Wahlen in Madrid am 4. Mai 2021 gehen in die Geschichte ein: Mitten in einer tiefen wirtschaftlichen Rezession und der vierten Welle der Covid-Infektionen im von der Pandemie besonders stark betroffenen Madrid (mehr als 20 000 Menschen sind hier an einer Covid-19-Erkrankung gestorben) gewann die Amtsinhaberin Isabel Díaz Ayuso als Kandidatin der rechtskonservativen Volkspartei Partido Popular (PP) die vorgezogenen Neuwahlen haushoch. Im Vergleich zu den letzten Wahlen 2019 steigert die PP ihr Ergebnis um 22,5 Prozent. Im Parlament bleibt die PP damit knapp unter der absoluten Mehrheit. Aller Voraussicht nach wird Isabel Díaz Ayuso erneut zur Präsidentin der Provinz Madrid gewählt werden. Dazu müssen sich lediglich die Rechtspopulisten enthalten und sie haben ihre Unterstützung bereits fest zugesagt.

Angetreten war Díaz Ayuso mit dem Slogan „Freiheit“ und einer starken Kritik an der Corona-Politik der linken Regierung. Verdankt sie ihren Sieg also Corona?

Díaz Ayuso hatte die Wahlen in Madrid tatsächlich zu einer Abstimmung über die Politik der progressiven Zentralregierung deklariert und vorab deutlich gemacht, dass sie keine Berührungsängste gegenüber den Rechtspopulisten in der noch relativ jungen Partei VOX hätte, einer Partei, die 2015 von Abtrünnigen der PP gegründet worden war. Dies untermalte sie mit Äußerungen wie „Wenn sie dich Faschist nennen, stehst du auf der richtigen Seite der Geschichte“ und mit dem Slogan „Freiheit oder Kommunismus“. Der Wahlkampf verlief merkwürdig themen- und debattenlos. Ihr feines Gespür für die Stimmungslage in der Bevölkerung, die Zuspitzung der Gegnerschaft zur Regierung Pedro Sánchez, ihre kaltschnäuzige Rhetorik wie auch die weitgehende Abwesenheit von konkreten politischen Projekten haben sie politisch in die Nähe des „Trumpismus“ gerückt.

Selten sind so viele Menschen in Madrid an die Urnen gegangen: Die Wahlbeteiligung lag am 4. Mai 2021 bei rund 76 Prozent (zuvor durchschnittlich bei rund 65 Prozent). Die ungewöhnlich hohe Mobilisierung in der ganzen Provinz nützte, anders als erwartet, vor allem der PP. Die Karte der Stimmverteilung zeigt im Osten, Norden, Westen und Süden nur eine Farbe: Blau. Der ehemals „rote Gürtel“ hat sich aufgelöst, Arbeiterviertel sind blau geworden.

Die Strategie, nach rechts zu rücken, ging für die PP auf.

Bei ihrer Wahl konnte sich Díaz Ayuso auf Stimmen sowohl der Wohlhabenden als auch der Arbeiterinnen und Arbeiter verlassen. Zudem konnte die PP Stimmen von der rechtsliberalen Partei Ciudadanos zurückgewinnen und verhinderte so den Einzug der Partei ins Parlament. Die Strategie, nach rechts zu rücken, ging für die PP ebenfalls im Hinblick auf die Konkurrenten auf der rechten Seite auf: Die Rechtspopulisten von VOX konnten kein Kapital aus der aktuellen politischen Gemengelage schlagen. Sie blieben bei rund neun Prozent der Wählerstimmen.

Welche Bedeutung haben der Triumph der Rechtskonservativen und die Niederlage der linken Regierungsparteien über Madrid hinaus für Spanien?

Auch wenn Isabel Díaz Ayuso in ihrem Wahlkampf Pedro Sánchez als Gegner bezeichnet und ihre Wahl als „erfolgreichen Misstrauensantrag“ gegen die progressive Regierung deklariert, bleibt die politische Arithmetik im Land von ihrem Sieg unberührt. Madrid ist seit 26 Jahren in konservativer Hand. In naher Zukunft gibt es keine weiteren Wahlen auf der Ebene der Regionen, die nächsten Parlamentswahlen stehen 2024 an. Bei der Wahl in Katalonien am 14. Februar 2021 ging die Schwesterpartei der sozialistischen PSOE von Sánchez als stärkste Partei hervor, die Volkspartei PP erreichte ihr schlechtestes Ergebnis.

Die Linksregierung unter Sánchez hat in ihrer Amtszeit schon viel erreicht, gerade auch für Arbeitnehmerinnen. Jedoch ist die Polarisierung in Spanien stark ausgeprägt – und scheint weiter zuzunehmen. Mit dem Untergang der rechtsliberalen Partei Ciudadanos scheint sich die Parteienlandschaft wieder in zwei Blöcke zu spalten und damit die alten Lagerkämpfe neu zu beleben.

Kann Sánchez’ Sozialistische Arbeiterpartei PSOE diese Wahlniederlage also einfach abschütteln, da sie in Madrid traditionell das Nachsehen hat?

Nein, für die PSOE war die Wahl in Madrid durchaus eine schwere Niederlage. Sie verlor mehr als zehn Prozent der Stimmen und landete bei knapp 17 Prozent, noch hinter der jungen progressiven Partei Más Madrid. Die PSOE trat im Frühjahr 2021 zunächst mit dem Ziel an, sich in der Mitte zu positionieren, in der irrigen Annahme, konservative Wählerinnen und Wähler der rechtsliberalen Ciudadanos für sich gewinnen zu können. Sie distanzierte sich von ihren potenziellen Koalitionspartnern, den beiden progressiven Parteien Más Madrid und Unidas Podemos. Im Zuge der sich zuspitzenden Polarisierung im Wahlkampf leitete die PSOE unter Spitzenkandidat Angel Gabilondo 14 Tage vor der Wahl eine Kehrtwende ein und sprach sich für eine Koalitionsregierung mit den beiden Parteien aus. So positionierte sich die PSOE zwischen Baum und Borke und ließ die Wählerschaft weitgehend im Unklaren über ihr politisches Projekt.

In Madrid zeigte sich das Potenzial eines populistisch-trumpistisch geführten Wahlkampfes des vereinten rechten und rechtspopulistischen Lagers.

Zudem zeigte sich in Madrid das Potenzial eines populistisch-trumpistisch geführten Wahlkampfes des vereinten rechten und rechtspopulistischen Lagers. Effektive linke Politik für spezielle Zielgruppen, beispielsweise in der Arbeits- und Sozialgesetzgebung, scheint sich bei Wählern nicht automatisch auszuzahlen. Zudem spielen neue Formen der Information und Kommunikation eine wichtige Rolle. Dessen ist man sich in weiten Teilen des progressiven Lagers möglicherweise noch nicht ausreichend bewusst.

Ex-Vizeministerpräsident Pablo Iglesias verabschiedet sich wegen des enttäuschenden Ergebnisses seiner linken Partei Unidos Podemos aus der Politik. Er war quasi die Lichtgestalt der Bewegung. Hat Podemos ihre Glanzzeit schon hinter sich?

Wie sich die Parteienlandschaft insgesamt verändert, bleibt abzuwarten. Einige der jüngeren Parteigründungen scheinen ein eher kurzes Leben zu haben: Die 2006 gegründete (rechts)liberale Partei Ciudadanos, die zeitweilig die drittstärkste Kraft in Spanien war, ist nach diversen Wahlniederlagen im Verschwinden begriffen. Podemos (aus der Bewegung der „Empörten“ hervorgegangen und 2014 gegründet) konnte mit Iglesias als Spitzenkandidat in Madrid ihren Untergang bei den Wahlen mit gut sieben Prozent gerade noch verhindern. Er hatte sich jedoch deutlich mehr erhofft und ist als Konsequenz tatsächlich von allen politischen Ämtern zurückgetreten.

Mit seinem Abschied aus der Regierung haben sich allerdings auch die Voraussetzungen für ein geeintes Auftreten der linken Regierungskoalition erhöht. Die neue Vizepräsidentin in spe, Arbeitsministerin Yolanda Díaz, ist parteiübergreifend angesehen. Sie legt einen versöhnlicheren politischen Stil als ihr Vorgänger an den Tag.

Erfolgreich war allerdings eine weitere linke Partei, Más Madrid. Was hatte sie, was PSOE und Podemos nicht hatten? Ist mit dieser neuen Bewegung über Madrid hinaus zu rechnen?

Für die kleinere progressive Partei Más Madrid waren die Voraussetzungen günstiger: Ihre Spitzenkandidatin, die Ärztin und Abgeordnete Mónica García, war schon in den vergangenen zwei Jahren die Hauptwidersacherin von Díaz Ayuso. Insbesondere bei dem wichtigen Thema Gesundheitspolitik in Zeiten von Covid-19 war Mónica García eine sehr sichtbare und streitbare Führungsfigur der parlamentarischen Opposition. Mit ihr konnte Más Madrid ihren Stimmenanteil nun auf knapp 17 Prozent erhöhen.

Möglicherweise brachte García die richtige Mischung aus Verantwortung, Erfahrung und frischem Wind in den Wahlkampf.

Möglicherweise brachte García die richtige Mischung aus Verantwortung, Erfahrung und frischem Wind in den Wahlkampf. Sie trat mit dem Slogan „Madrid heilen“ an. Viel Aufmerksamkeit und Sympathie brachte Mónica García auch ihre Weigerung ein, einer gemeinsamen Liste mit Podemos mit Pablo Iglesias als Spitzenkandidaten zuzustimmen. Mit ihrem Statement (sinngemäß: Frauen sind nicht mehr dafür zu haben, in Krisenzeiten einzuspringen und dann in die zweite Reihe zurückzutreten) war sie mit einer klaren Botschaft und einem moderaten progressiven Programm in den Medien sehr präsent.

Inwieweit es aber gelingt, den Erfolg in Madrid auch auf die nationale Ebene auszudehnen, bleibt abzuwarten. Die 2019 als Abspaltung von Podemos gegründete Partei Más País hatte bisher bei Wahlen landesweit lediglich um die zwei bis drei Prozent erreicht.

Es scheint, als hätten kleinere, vor allem moderate Parteien in der polarisierten und sich weiter polarisierenden Parteienlandschaft in Spanien kaum eine Chance auf eine dauerhafte Konsolidierung. Zu groß ist in einem politisch aufgeheizten Klima die Sogkraft der beiden politischen Blöcke. Hier zeigt sich allerdings ein deutlicher Unterschied zwischen dem rechten und linken Lager: Während im rechten Lager die Duldung und Koalitionsbildung mit der extremen Rechten geräuschlos ermöglicht wird, sind die Fragmentierungen im linken Lager immer wieder ein Hindernis für die Gestaltung von Politik mit konkreten Machtoptionen.