Das Gespräch führte Claudia Detsch
Wenn es um den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft geht, führt derzeit kein Weg am Wasserstoff vorbei. Ist das ein Hype oder ist Wasserstoff tatsächlich der Zaubertrank der Klima- und Energiepolitik?
Ein Stück weit ist der Fokus auf Wasserstoff tatsächlich ein Hype. Es gibt noch viele andere Baustellen. Am allerwichtigsten ist natürlich der Ausbau der Erneuerbaren Energien. Da müssen wir noch sehr viel tun. Nur so kann der grüne Wasserstoff überhaupt eine sinnvolle Rolle spielen. Beim grünen Wasserstoff kommt der Strom für die Elektrolyse, also für die Zerlegung von Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff, aus erneuerbaren Energien wie Wind oder Sonne. Gleichzeitig muss man in einem neuen Technologiefeld natürlich eine kritische Masse an poli-tischen Maßnahmen und Investitionen ermöglichen. Da macht es Sinn, frühzeitig eine große Agenda aufzulegen, wie es jetzt geschieht.
Warum ist Wasserstoff so wichtig für eine klimaneutrale Wirtschaft? Was hat er, was andere nicht haben?
Wasserstoff ist in einigen Bereichen die einzig sinnvolle Lösung, um überhaupt CO2-neutral werden zu können. In anderen Feldern ist das anders. Überall dort, wo beispielsweise die direkte Nutzung von Strom möglich ist, ist dies fast immer besser, weil schlicht die Effizienz höher ist. Aber wo die direkte Nutzung von Strom keine Option ist, da braucht man auch Wasserstoff als Lösung.
Wasserstoff ist in einigen Bereichen die einzig sinnvolle Lösung, um überhaupt CO2-neutral werden zu können.
Über die Vorteile von Wasserstoff wird schon lange debattiert. Es ist aber lange Zeit nur wenig passiert. Warum kommt gerade jetzt der Durchbruch?
Weil man jetzt wirklich klimaneutral wirtschaften möchte. 2050 rückt näher. In Deutschland soll die Klimaneutralität sogar schon 2045 erreicht werden. Um das zu schaffen, braucht man eben auch Wasserstoff.
Wo steht Wasserstoff heute im Wettbewerb mit anderen Energieträgern, wenn es um die Kosten geht?
Im Wettbewerb mit Erdgas im Wärmebereich müsste der CO2-Preis tatsächlich sehr hoch sein, damit Wasserstoff wettbewerbsfähig ist. Wenn man nun aber davon ausgeht, dass man auch im Wärmesektor auf null CO2-Emission kommen muss, dann stellt sich diese Frage vielleicht gar nicht. Dann muss man eben fragen, wie man dieses Ziel erreicht und nicht, was günstiger ist.
Gleichzeitig gibt es im Wärmebereich den Wettbewerb mit den Wärmepumpen. Diese verursachen keine oder nur geringe CO2-Emissionen. Da stellt sich durchaus die Kostenfrage. Daher ist es sinnvoll, stärker über Wärmepumpen nachzudenken. Allerdings ist für diese meist eine umfassendere Umrüstung der Wärmeversorgung in den Häusern nötig. Eventuell kann in der Übergangsphase Wasserstoff dort eine Rolle spielen, wo nicht komplett alles ausgetauscht wird.
Das ist ja ohnehin eine intensive Debatte: Wo soll der noch überaus knappe und eben auch teure grüne Wasserstoff tatsächlich zum Einsatz kommen? Möglich ist vieles. Was macht Sinn?
Da schaut man zunächst darauf, wo heute schon Wasserstoff eingesetzt wird. Das ist vor allem in der chemischen Industrie der Fall, zum Beispiel bei der Herstellung von Stickstoffdünger, sowie vereinzelt auch in anderen Industrieprozessen. Dieser Wasserstoff wird bislang meist aus Erdgas gewonnen. Wir sprechen hier vom grauen Wasserstoff. Bisher wird nur sehr wenig Wasserstoff mit regenerativen Energien erzeugt. Dieser herkömmliche Wasserstoff verursacht also CO2-Emissionen. Dort muss auf grünen Wasserstoff umgestellt werden. In einem zweiten Schritt sollte man die Sektoren in den Blick nehmen, in denen effizientere Alternativen wie die direkte Nutzung von Strom nicht oder nur sehr beschränkte Möglichkeiten für die Dekarbonisierung bieten. So etwa im Stahlsektor.
Gerade über den Umbau der Stahlproduktion wird intensiv debattiert. Es könnte zu einer Abwanderung energieintensiver Sparten wie der Stahlindustrie kommen, wenn sich die Herstellung in Europa massiv verteuert, so die Sorge. Wie lässt sich das verhindern?
Diese Frage stellt sich, ganz klar. Man sollte nicht erwarten, dass wir eine komplette Transformation der Industrie vornehmen und alles bleibt, wie es ist. Wir müssen auch darüber nachdenken, ob es nicht geeignetere Standorte für die energieintensive Produktion gibt – Standorte, an denen Erneuerbare Energien verfügbar sind. Es wäre doch gar nicht schlecht, wenn zum Beispiel Nachbarstaaten im Mittelmeerraum von Investitionen dieser Art profitieren, sei es in Europa oder im nördlichen Afrika. Es ist letztlich auch in unserem Interesse, dass wirtschaftliche Entwicklung in diesen Regionen stattfindet.
Man sollte nicht erwarten, dass wir eine komplette Transformation der Industrie vornehmen und alles bleibt, wie es ist.
Sie sehen die Partner also in der Nachbarschaft? Allerdings bringt sich gerade Australien massiv als Produzent grünen Wasserstoffs in Stellung. Auch über Chile wird debattiert. Da fragt man sich natürlich, wie es eigentlich um die Kosten des Transports steht.
Meiner Einschätzung nach wird die räumliche Nähe durchaus eine Rolle spielen. Der Transport dürfte einen wesentlichen Einfluss auf den Endpreis haben. Die Lieferung über Pipelines ist wohl die kostengünstigste Variante. Und es wäre auch gut, wenn Vorprodukte in der Nähe produziert würden.
China ist hier übrigens ein Beispiel. Die Idee der Konnektivität zwischen China und den der Volksrepublik nahestehenden Wirtschaftsräumen wird offensiv verfolgt und gefördert. Ich denke, auch die Europäische Union muss in Zukunft stärker in solchen Kategorien denken: Wie kann ein Wirtschaftsraum entstehen, der langfristig die Position Europas sichert und stärkt – das sollte eine zentrale Frage sein.
Viele Länder des Nahen Ostens oder Nordafrikas leiden aber selbst unter Energiearmut bzw. auch zunehmendem Wassermangel. Und Wasser braucht es nun mal zur Herstellung von Wasserstoff. Plädieren Sie dennoch dafür, dass diese Regionen Wasserstoff nach Europa exportieren sollten, um so einen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung zu leisten?
Auch Osteuropa und Russland werden eine große Rolle spielen, nicht nur Nordafrika oder der Nahe Osten. Ich denke aber, dass Nordafrika nicht generell an Energiearmut leidet. Das wird weiter südlich zu einem Thema. In den nördlichen Ländern Afrikas hat die Bevölkerung durchaus Zugang zu Strom. Aber man muss natürlich schon auf den Einzelfall schauen, gerade auch in der Übergangsphase. Wenn Marokko heute eine überwiegend fossilgetriebene und importabhängige Stromwirtschaft hat, stellt sich tatsächlich die Frage, ob es Sinn macht, dort stark in grünen Wasserstoff zu investieren, um ihn anschließend zu exportieren. In der Folge könnte die Dekarbonisierung der Stromwirtschaft im Land selbst langsamer vorangehen. Das ist ein wichtiger Gesichtspunkt. Aber ich würde grundsätzlich nicht ausschließen, dass sich auch solchen Ländern eine ökonomische Perspektive bietet. Das gilt gerade dann, wenn man nicht nur vom Export von Wasserstoff ausgeht, sondern eine stärkere Integration in neue loka-le Wertschöpfungsketten stattfindet.
Sie haben Osteuropa und Russland angesprochen. Über die neue Pipeline Nord Stream 2 wird noch immer erregt debattiert. Befürworter argumentieren, dass sie in Zukunft auch Wasserstoff transportieren könnte. Bleibt Russland auch im Wasserstoffzeitalter unser wichtigster Energie-handelspartner?
Das kann gut sein. Russland hat enorme Ressourcen im Bereich der Erneuerbaren Energien. Sie könnten eingesetzt werden, um grünen Wasserstoff herzustellen. Was Nord Stream 2 an-geht, hätte man in diese Richtung debattieren müssen. Mittlerweile ist Nord Stream 2 fertig-gestellt und es wird wohl Gas fließen. Ich hätte mir gewünscht, dass die Nutzung der Pipeline an die Bedingung geknüpft worden wäre, Dekarbonisierung in Russland und in Europa in Gang zu bringen und zu fördern.
Ich hätte mir gewünscht, dass die Nutzung der Pipeline an die Bedingung geknüpft worden wäre, Dekarbonisierung in Russland und in Europa in Gang zu bringen und zu fördern.
Wie schätzen Sie die Nutzung von Gas generell ein? Klar, am besten ist der grüne Wasserstoff. Aber davon gibt es noch wenig und er ist teuer. Sollte gasbasierter Wasserstoff für den Übergang genutzt werden? Oder ist das ein Irrweg, weil wir über den Bau der Infrastruktur die Nutzung von Gas noch auf Jahrzehnte festschreiben?
Ich glaube, man muss erstmal ziemlich deutlich differenzieren zwischen blauem und türkisem Wasserstoff. Blauer Wasserstoff ist grauer Wasserstoff, dessen CO2 bei der Entstehung jedoch abgeschieden und gespeichert wird. Im Englischen bezeichnet man das als Carbon Capture and Storage, CCS. Das bei der Wasserstoffproduktion erzeugte CO2 gelangt also nicht in die Atmosphäre. Türkiser Wasserstoff ist Wasserstoff, der über die thermische Spaltung von Methan hergestellt wurde. Anstelle von CO2 entsteht dabei fester Kohlenstoff.
Beim blauen Wasserstoff ist die Klimabilanz schwer zu beurteilen im Moment, weil noch nicht viele Studien vorliegen. Wichtig ist, wie viele Emissionen bei der Extraktion und dem Transport von Erdgas freigesetzt werden. Das unterscheidet sich stark von Region zu Region. Mir erschließt sich allerdings nicht ganz, warum man CCS bei der Wasserstoffherstellung nutzen sollte. Da bräuchte es jetzt eine intensive Debatte: wenn man CCS nutzen möchte, warum dann gerade im Wasserstoffbereich und nicht auch in anderen Bereichen, wo es vielleicht sinnvoller ist? Wenn man das Verfahren befürwortet, sollte man es ggf. auch bei der Stromgewinnung einsetzen. Eigentlich ist CCS in Deutschland längst vom Tisch, aber beim blauen Wasserstoff ist es plötzlich wieder in Ordnung, darüber zu sprechen. Das ist seltsam.
Und wie sieht es mit türkisem Wasserstoff aus?
Am türkisem Wasserstoff rund um Methanpyrolyse hat Russland ein sehr starkes Interesse, denn diese Technologie ermöglicht weiterhin die Nutzung von Erdgas, ohne dass Emissionen bei der Wasserstoffherstellung entstehen. Allerdings schwebt Russland hier sicher eine noch jahrzehntelange Nutzung des Erdgases vor und dies ist mit erheblichen Emissionen von Methan, einem sehr schädlichen Treibhausgas, bei Extraktion und Transport verbunden. Das ist also ein zweischneidiges Schwert. Wenn man aber in einer Übergangsphase die Nutzung von türkisem Wasserstoff an eine Verringerung dieser Methanemissionen knüpfen könnte, dann wäre das ggf. auch positiv für den Klimaschutz. Man sollte sich nicht komplett der Idee des türkisem Wasserstoffs versperren.
Deutschland will Wasserstoffweltmeister werden. Halten Sie das für realistisch? Wer sind die Mitbewerber?
Ja, das erscheint mir schon realistisch. Mitbewerber ist natürlich immer China. Europa und Deutschland haben eine gute Position in einigen Bereichen der Wertschöpfungskette. Man muss genau schauen, welche Segmente der Wertschöpfungskette sich realistisch in Europa entwickeln lassen. Das müsste noch eingehender analysiert werden.
Deutschland ist durchaus Vorreiter, auch was das Investitionsvolumen über staatliche Förderung angeht.
Sind die europäischen Mitgliedstaaten alle auf einem ähnlichen Niveau oder gibt es Vorreiter?
Deutschland ist durchaus Vorreiter, auch was das Investitionsvolumen über staatliche Förderung angeht. Aber es gibt natürlich auch andere Länder, die Ambitionen haben, beispielsweise Portugal. Man sollte aber in Europa mehr darauf schauen, die einzelnen Strategien der Mit-gliedstaaten stärker aufeinander abzustimmen.
Welche Weichen müssen jetzt gestellt werden, um die Förderung von Wasserstoff in Europa voranzutreiben?
Derzeit werden zunächst größere, auch gemeinschaftliche Projekte auf europäischer Ebene gefördert. Auf diese Weise sollen unterschiedliche Cluster entstehen. Das ist ein sinnvoller Ansatz. Es gibt aber auch eine große Diskussion darüber, welche Formen von Wasserstoff zum Einsatz kommen. Da müsste die Debatte über blauen Wasserstoff und Carbon Capture and Storage (CCS) offen und ehrlich geführt werden. Im Moment verschließt man sich der Option CCS in Deutschland, nimmt aber in Kauf, dass anderswo diese Strategie verfolgt wird. Es kann nicht sinnvoll sein, implizit Dinge zu fördern und sich gleichzeitig nicht explizit diesem Thema zu öffnen. Diese Diskussion fehlt noch. Das sehen wir auch im Bereich der Atomenergie.
Einige europäische Mitgliedstaaten möchten aus Atomstrom erzeugten Wasserstoff als emissionsarm deklarieren und zu einem wichtigen Bestandteil der Klimapolitik machen. Dies gilt beispielsweise für Frankreich und einige osteuropäische Staaten. Stehen uns auf europäischer Ebene polarisierte Debatten bevor?
Natürlich. Deutschland hat die Entscheidung getroffen, keine Atomenergie einsetzen zu wol-len. Es gibt weitere Mitgliedstaaten, die das getan haben, Italien beispielsweise. Andere Länder wie Frankreich setzen noch stark auf Atomenergie, auch wenn sie langsam zurückgefahren wird. Deutschland kann Frankreich nicht zwingen, die Atomenergie abzuschaffen, umgekehrt kann Frankreich Deutschland nicht zwingen, sie zu akzeptieren. Aber wegen der Energiewende werden beide Länder wohl in Zukunft stärker im Energie- und Strombereich zusammenar-beiten. Das könnte auch bedeuten, dass man letztlich Atomenergie unterstützen wird. Das ist einer dieser Widersprüche in der Europäischen Union, der nicht mehr auflösbar sein wird.