Sie fantasieren von der Herrschaft des „jüdischen Finanzkapitals“, Außerirdischen in Roswell, den Protokollen der Weisen von Zion und natürlich von Freimaurern und Illuminaten. Die Anhänger von Verschwörungstheorien kommen von rechts oder links – und werden immer mehr. Für (meist antiwestliche) Verschwörungstheorien und Demokratieverachtung sind zahlreiche Menschen durchaus empfänglich. So meint mehr als ein Drittel der Amerikaner, dass ihre Regierung ihnen die Wahrheit über 9/11 vorenthalte. Ein Drittel aller Briten vermutet dagegen, Prinzessin Diana sei nicht durch einen Autounfall sondern einen Mordauftrag der Queen ums Leben gekommen. Die Mondlandung wurde in einem Hollywoodstudio produziert und Elvis lebt. Dafür ist Paul McCartney in Wahrheit schon lange tot. Königin Elisabeth ist ein Reptil aus dem All und Teil einer geheimen Weltregierung.

Teil des Syndroms: Die den Verschwörungstheoretikern eigene Selbsteinschätzung als kritische Skeptiker. Dabei zählen sie zu den leichtgläubigsten Menschen, die es gibt. Sie glauben alles, so lange es ihrer Meinung entspricht. Nichts befeuert und verbreitet Verschwörungstheorien dabei schneller als das Internet. Denn dort ist jeder „Experte“, egal wie fundiert oder sinnfrei die Argumente auch sein mögen. Ein Blick in die Kommentare einer beliebigen Zeitungsseite – ja, sogar in die des IPG-Journals – bestätigt das auf‘s Eindrücklichste.

Menschen sind darauf programmiert, Informationen aufzunehmen, die ihre Meinung unterstützen. Die Psychologie nennt das den „Bestätigungsfehler“. Zuerst kommt die Meinung, dann die Beweise. Verschwörungstheorien sind aber auch deshalb so attraktiv, weil unser Gehirn darauf trainiert ist, Muster aus der Masse an Informationen herauszufiltern. Die Theorien  bedienen somit ein menschliches Bedürfnis nach einfacher und rascher Orientierung in einer immer komplexeren Welt. Sie verknüpfen das Allernächste mit dem Allerfernsten, die kleinsten Dinge des Alltags mit dem großen Weltgeschehen. Und jedem Ereignis verleihen sie eine unzweifelhafte Bedeutung. Der Zufall ist ausgeschlossen. Alles macht Sinn, auch und gerade das Sinnlose.

In autoritären Systemen und Diktaturen sind Verschwörungstheorien häufig Teil der offiziellen Politik.

Verschwörungstheorien gab es schon immer – harmlose und gefährliche, glaubhafte und absurde. In jüngster Zeit häufen sich allerdings die Beispiele staatlich verbreiteter Verschwörungstheorien – sei es in Russland, den USA, Ungarn, Rumänien oder der arabischen Welt. In autoritären Systemen und Diktaturen sind Verschwörungstheorien häufig Teil der offiziellen Politik. Dabei sind die Grenzen zwischen Kampagnen, Propaganda und Verschwörungstheorien oft fließend.

Doch nicht nur autoritäre Regime verbreiten Verschwörungstheorien. George W. Bushs Behauptung, der Irak verfüge über Atomwaffen, war im Grunde nichts anderes als eine Verschwörungstheorie und die Beweise, die Außenminister Colin Powell vor den Vereinten Nationen präsentierte, gefälscht. Auch für die sozialdemokratischen Wahlverlierer in Rumänien ist nicht ihre korrupte Kleptokratie schuld an der krachenden Wahlniederlage, sondern „ausländische Kräfte“ – und Facebook.

Krisen und Kriege bilden für Verschwörungstheorien den idealen Nährboden. Propaganda und Fehlinformationen sind längst Teil der Kriegsführung. Im Ersten Weltkrieg waren es die „Hunnen“, die belgische Kinder fraßen. Nach dem Ersten Weltkrieg verbreitete die deutsche Oberste Heeresleitung die Dolchstoßlegende vom „im Felde unbesiegten“ deutschen Heer. In Bezug auf den Zweiten Weltkrieg hält sich hartnäckig die These, Präsident Roosevelt habe vom japanischen Angriff auf Pearl Harbor gewusst und die Verluste in Kauf genommen, um die amerikanische Bevölkerung für eine Kriegsbeteiligung der USA zu gewinnen

 

Verschwörungstheorien und Propaganda in der Ukraine-Krise

Aktuell beschwört die Ukraine-Krise Ängste vor einem neuen Kalten Krieg herauf. Doch tatsächlich wird der Krieg schon längst ausgetragen – in den Medien. Die Propagandamaschinen laufen auf Hochtouren. Während für den Westen in der Ukraine friedliche Demonstranten gegen ein tyrannisches Regime und feindliche Okkupation kämpfen, haben für Russland faschistische Terroristen eine demokratisch legitimierte Regierung gestürzt. Die Proteste und der Regierungswechsel in Kiew seien ein „faschistischer Putsch“ und eine Wiederholung des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion. Wie 1941 haben feindliche Kräfte aus dem Westen mit Hilfe ukrainischer „Faschisten“, der „Banderowzy“, die Macht in Kiew übernommen und damit begonnen, ihr Mord- und Unterdrückungsregime auf den Osten der Ukraine auszudehnen. Auf allen Seiten feiern Verschwörungstheorien, Propagandamaßnahmen, historische Halbwahrheiten und dreiste Lügen derzeit fröhliche Urstände.

Auch der Abschuss der Malaysia Airlines Passagiermaschine über der Ostukraine bietet Anlass für krudeste Theorien: Die ukrainische Armee habe die Boeing versehentlich getroffen als sie eigentlich versuchte, das Flugzeug von Putin abzuschießen, der sich auf dem Heimweg vom BRICS-Treffen in Brasilien befand, berichtete die Nachrichtenagentur Interfax. Ein Anführer der pro-russischen Separatisten vermutete dagegen, dass die Flugzeuginsassen bereits vor dem Absturz tot waren. Was die Angehörigen der fast 300 Opfer darüber denken, kann man sich ausmalen. Zumal eine dichte Indizienkette dafür spricht, dass das Flugzeug von einer Rakete aus russischen Beständen im Flug getroffen wurde. Dazu gehören abgehörte Telefonate, die von der ukrainischen Regierung veröffentlicht und zunächst angezweifelt wurden, ebenso wie Gespräche und Netzeinträge, in denen sich russische Freischärler damit brüsten, ein Flugzeug vom Himmel geholt zu haben. Erst als ihnen bewusst wurde, dass es sich um eine zivile Maschine handelte, hörte die Prahlerei schlagartig auf.

Auch die Theorie des „friedliebenden Russlands“, das umzingelt in einer Welt von Feinden gar nicht anders kann, als sich gegen den heranrückenden US-Imperialismus der NATO und gegen die Einverleibung slawischer Brudervölker zu wehren, ist eine Verschwörungstheorie. Sie mag einen wahren Kern beinhalten, absurd bleibt sie dennoch. Leider findet diese Theorie zunehmend Gehör in der kulturellen und politischen Klasse Deutschlands.

Richtig, das Faible für Verschwörungstheorien ist beileibe keine russische Besonderheit. Doch in Russland werden solche Theorien geradezu kultiviert: von den großen TV-Sendern und vom politischen Establishment. So betreibt Moskau den Propagandasender „Sputnik“, ein Multimedia-Angebot, das in und aus 130 Städten in 34 Ländern und 30 Sprachen berichten soll, um einen Gegenpol zur „aggressiven westlichen Propaganda“ zu bilden. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf Deutschland, denn auch in Russland hat man erkannt, dass die deutsche Öffentlichkeit links wie rechts für russische Deutungsmuster besonders empfänglich ist. In Globalisierungsgegnern, Antieuropäern, Pazifisten, Schwulengegnern und elder statesmen sieht Moskau potenzielle Multiplikatoren – und nützliche Idioten

 

Verschwörungstheorien in der arabischen Welt

In der arabischen Welt sind Verschwörungstheorien geradezu Teil der politischen Kultur. Und die zwei Hauptverschwörer stehen fest. Der „große“ und der „kleine Satan“, die USA und Israel. Viele Araber (und Muslime) fühlen sich nicht ganz zu Unrecht als ohnmächtige Opfer global agierender Mächte. Mit der Gründung des Staates Israel hat dieser die ehemaligen Kolonialmächte als Feindbild Nr.1 abgelöst. Folglich kursiert eine Vielzahl von Verschwörungstheorien, in denen „den Juden“, Israel und dem Zionismus vorgeworfen wird, die arabischen Gesellschaften schwächen und letztendlich die Welt beherrschen zu wollen. Der Antisemitismus erfüllt dabei – wie in der europäischen Geschichte auch – verschiedene Funktionen: Er lenkt von tatsächlichen Problemen ab und den Unmut auf einen äußeren Feind.

Eigene Fehlleistungen gibt es nicht. „Die Anderen“ sind für das eigene Elend verantwortlich – auch in der Türkei. So wittert Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan eine internationale Verschwörung gegen die Türkei. Hinter den Protesten auf dem Gezi-Platz stünde die Lufthansa, die sich von Erdoğans Plänen, einen dritten Flughafen in Istanbul zu bauen, bedroht gefühlt habe. Und für den Großscheich der al-Azhar Moschee in Kairo ist der „Islamische Staat“ eine „zionistische Verschwörung“ zur Zerschlagung der arabischen Welt. Der Mubarak-Richter Mahmoud al-Rashidy erklärte dagegen unlängst den Arabischen Frühling in seiner Freispruchbegründung zu einem zionistisch-amerikanischen Plot, um Ägypten zu zerstören.

Wenn sich Washington mit „Kopf-ab-Islamisten“ am saudischen Hof verbündet, um „Kopf-ab-Islamisten“ in Mossul loszuwerden, dann ist das ein klassischer Widerspruch amerikanischer Nahost-Politik.

Mit einer besonders abstrusen Verschwörungstheorie macht die iranische Nachrichtenagentur Fars in regelmäßigen Abständen Schlagzeilen. Danach wird die US-Regierung von einem Alien-Bund gesteuert, der vor 80 Jahren auch die Nazis unterstützte

Diese paranoiden Theorien symbolisieren sicher auch die arabische Ohnmacht gegenüber den Launen einer Supermacht und einer westlichen Scheinheiligkeit, die von Werten spricht und Interessen meint. Wenn sich Washington mit „Kopf-ab-Islamisten“ am saudischen Hof verbündet, um „Kopf-ab-Islamisten“ in Mossul loszuwerden, dann ist das ein klassischer Widerspruch amerikanischer Nahost-Politik.

 

Gegen Verschwörungstheorien hilft nur Aufklärung

Es ist ein Leichtes, sich über Verschwörungstheorien lustig zu machen. Doch sie sind oft alles andere als harmlos. Die typische Frage der Verschwörungstheoretiker lautet: „Glaubst du an Zufälle?“.  Denn Zufälle gibt es nicht. Irgendein Strippenzieher hat die Fäden in der Hand. Es geht immer um alles, meist um die Weltherrschaft oder zumindest um die „Vorherrschaft über den eurasischen Kontinent“. Für jedes Übel dieser Welt  lassen sich Schuldige finden. Dabei neigen Verschwörungstheorien immer schon zum Antisemitismus. „Sie brauchen einen Feind, der überall ist, anpassungsfähig und im Besitz von Mächten, die an jeden Ort vordringen können: Geld und Ideen. Der Inbegriff dieses Feindes ist der Jude, mal als Bankier, dann als Intellektueller.“

Bereits im Mittelalter waren es bekanntlich Juden, die Brunnen vergifteten. Die Französische Revolution war ein Werk der Juden und Freimaurer, die Nazis fantasierten von einer „jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung“ und in den USA wurde nach dem Zweiten Weltkrieg eine Zeit lang der Kommunismus für ein jüdisches Komplott gehalten – ebenso wie in der Sowjetunion der Kosmopolitismus. 

Die Realität stellt oft jede Verschwörungstheorie in den Schatten.

Schwierig wird die Sache auch, weil Verschwörungen natürlich durchaus existieren: Preisabsprachen, Schweigekartelle, Mordkomplotte und Folterkeller gibt es ja nicht nur in der Fantasie. Im Gegenteil: Die Realität stellt oft jede Verschwörungstheorie in den Schatten. Beispiele gibt es zuhauf. Auch hinter der jüngsten Verschwörungstheorie steckt ein wahrer Kern. Demnach gibt es eine „Ölpreis-Verschwörung“ zwischen Amerikanern und Saudis. Durch das amerikanische Fracking sinkt der Ölpreis, gleichzeitig pumpt Saudi-Arabien Öl in die Märkte. Verbündet sich Riad mit Washington, um Iran oder Russland in die Knie zu zwingen? Oder fördert Saudi-Arabien wie verrückt, um mit niedrigen Preisen den Ölboom in den Vereinigten Staaten abzuwürgen? Oder sind die Gründe profaner und Saudi-Arabien spekuliert schlicht darauf, dass seine Konkurrenten mit hohen Förderkosten vom Markt verschwinden? Es darf spekuliert werden.

1990 deckte der italienische Untersuchungsrichter Felice Casson die Existenz von Gladio auf. Gladio war der Codename für eine geheime paramilitärische Einheit der NATO in Italien, die im Fall einer Invasion des Warschauer Paktes Guerilla-Operationen und Sabotage durchführen sollte. Casson konnte beweisen, dass Mitglieder der antikommunistischen Geheimallianz von den 1960ern bis in die 1980er Jahre zahlreiche politisch motivierte Terroranschläge und Morde begingen, die der italienischen Linken in die Schuhe geschoben wurden. Gladio zahlte Millionen an politische Parteien und Journalisten, um linke Mehrheiten zu verhindern und war wahrscheinlich in die Entführung und Ermordung von Premierminister Aldo Moro verwickelt. Die parlamentarische Untersuchung ergab zudem, dass Gladio auch in zahlreichen anderen europäischen Ländern existierte. Dies führte zu parlamentarischen Anfragen in mehreren Ländern. In Italien, Belgien und der Schweiz kam es zu Untersuchungskommissionen.

Auch das Ausmaß der Überwachungen und Bespitzelungen durch die USA wäre vor Edward Snowden wohl von den meisten als Verschwörungstheorie bezeichnet worden. Dass Amerikas Ansehen in der Welt heute auf einem historischen Tiefstand steht, ist nicht nur die Schuld der „Islamisten“ oder der „anti-Amerikanisten“ in Europa oder anderen Teilen der Welt.  Es ist auch das Werk von Regierungsbehörden wie NSA und CIA, die Menschen folterten und ein Überwachungssystem errichteten, das einer freien Gesellschaft unwürdig ist.

Mit anderen Worten: Nicht jede Verschwörung ist ein Konstrukt oder ein Hirngespinst. Auch deshalb wird es Verschwörungstheorien immer geben. Zum außenpolitischen Problem werden sie insbesondere dann, wenn staatliche Akteure sie nicht mehr nur zu Propagandazwecken nutzen, sondern offenbar zunehmend selbst an sie glauben. Auch hier gilt: Verschwörungstheorien können am besten durch Ehrlichkeit, Transparenz und eine aufgeklärte Öffentlichkeit bekämpft werden. Wenn der Westen den grassierenden Verschwörungstheorien den Boden entziehen will, muss er Glaubwürdigkeit und Gerechtigkeit verkörpern. Davon ist er weit entfernt. Und das ist keine Verschwörungstheorie.