Der große Andrang ist offenbar vorbei. Die Flüchtlinge sind als tägliches Thema aus den Medien weitgehend verschwunden. Auf der politischen Agenda Deutschlands und Europas sind sie aber nach wie vor präsent – und das ist gut so: Wir müssen aus der Tatsache, dass der globale Reichtum aufgrund einer ungerechten Weltwirtschaftsordnung ungleich verteilt ist, die richtigen Lehren ziehen. Wichtige Voraussetzungen für den Reichtum Europas sind unsere politische Stabilität und der lang anhaltende Frieden. An Frieden scheint die Welt derzeit jedoch noch ärmer als an wirtschaftlichen Perspektiven, und so wundert es nicht, dass Europa auch diejenigen anzieht, die vor Krieg und Vertreibung fliehen müssen.
Andererseits ist unbestritten, dass auch das reiche Europa nicht alle aufnehmen kann, die gerne kämen. Wahrscheinlich könnten wir uns finanziell noch deutlich mehr Flüchtlinge leisten, aber Deutschland ist schon jetzt personell damit überfordert, den hier Aufgenommenen zeitnah das zu geben, was ihnen zusteht. Wir haben dafür schlechterdings in unseren Ämtern, Behörden, Schulen und anderswo nicht genug qualifizierte Arbeitskräfte. Bei etlichen, vor allem den vom Krieg Traumatisierten, wächst die Verzweiflung wieder, weil sie sich in Deutschland seit Monaten in einem rechtlichen Schwebezustand befinden, der jede Eigeninitiative vereitelt. Darüber verzweifeln vor allem jene, die nach Integration, Beschäftigung und Neuanfang geradezu fiebern. Dies ist ein unwürdiger Zustand für die Flüchtlinge und für ein reiches Land wie Deutschland.
Mit Grenzbeamten, Militärs und Polizisten solcher Regime zu kooperieren, ist moralisch nicht zu vertreten.
Es ist also richtig, dass Deutschland und Europa die Fluchtursachen bekämpfen wollen. Auf meinen Reisen durch afrikanische Länder höre ich immer wieder, dass niemand seine Heimat gerne verlässt, und dass die meisten in Europa nicht das Paradies, sondern eine Notlösung sehen.
Wie aber kann Europa die Fluchtursachen bekämpfen? Die Europäische Union will das nun in großem Stil angehen. Sie stellt dafür in einem Treuhandfonds namens „EU Emergency Trust Fund for stability and addressing the root causes of irregular migration and displaced persons in Africa“ knapp 1,8 Milliarden Euro bereit. Davon sollen 714 Millionen nach Ostafrika fließen. Von dem Geld sind 30 Prozent für Friedenssicherung und Konfliktprävention vorgesehen. Der Löwenanteil von 70 Prozent wird für die Bekämpfung der irregulären Migration und für Vertriebene eingesetzt. Dabei gibt es Überschneidungen mit dem sogenannten Khartum-Prozess, der schon im Oktober 2014 begann. In dessen Rahmen stimmt sich die EU mit Ägypten, Äthiopien, Dschibuti, Eritrea, Kenia, Somalia, Sudan, Südsudan und Tunesien ab, um die nordafrikanische Migration besser regeln und kontrollieren zu können.
Die meisten dieser Länder sind höchst zweifelhafte Partner. Der sudanesische Staatschef Omar al-Bashir wird seit 2009 vom Internationalen Strafgerichtshof gesucht, und zwar wegen seiner mutmaßlichen Verantwortlichkeit für Kriegsverbrechen in der Provinz Darfur im Westsudan. Es geht um Massenmord, Vergewaltigungen und Plünderungen. Eritrea ist eine äußerst repressive Diktatur – auch nach Überzeugung der Vereinten Nationen. So heißt es unter anderem in einem UN-Bericht von Anfang Juni 2015, willkürliche Verhaftungen, Folter und Zwangsarbeit seien weit verbreitet. „Einige der Menschenrechtsverletzungen sind womöglich Verbrechen gegen die Menschlichkeit.“ Nach Schätzung des UN-Menschenrechtsrats sitzen tausende Eritreer ohne Anklage oder Aussicht auf ein Gerichtsverfahren in Haft. „Besuche von Rechtsanwälten oder Familienangehörigen sind verboten. Die Regierung macht weder Angaben zur Gesamtzahl der Gefangenen noch zur geographischen Lage der Haftanstalten. Tod im Gefängnis ist üblich. Die Gründe sind Misshandlungen, Folter, Hunger und die Verweigerung medizinischer Behandlung.“ Die Menschenrechtslage in Äthiopien ist ebenfalls mehr als problematisch. Internationalen Menschenrechtsorganisationen kritisieren die drastisch eingeschränkte Meinungsfreiheit, Angriffe auf unabhängige Medien, willkürliche Inhaftierungen sowie Folter. Im Südsudan geht die Regierung immer härter gegen Medien und andere Oppositionelle vor, während das Land wegen des Starrsinns und Machtwillens der politischen Führung seit Dezember 2013 in einem brutalen Bürgerkrieg versinkt.
Das also sind einige der Partner, mit denen die EU nun verhandelt. Sie bietet diesen Staaten Entwicklungszusammenarbeit und gezielte Projekte, durch die man die Situation der Flüchtlinge in der Region verbessern will. Dazu gehören die Versorgung somalischer Kriegsflüchtlinge in Kenia oder Berufsausbildungsprogramme für junge Eritreer in Äthiopien.
Der Großteil des Geldes fließt jedoch in die Ausbildung und technische Ausrüstung von Grenzbeamten, Polizisten, anderen „Sicherheits“-kräften und der Justiz. Zu diesem Zweck wurde beispielsweise an der Polizeischule Kairo unter europäischer Beteiligung ein Schulungszentrum für die Mitgliedstaaten des Khartum-Prozesses eingerichtet.
Zu den Partnern der EU gehören ausgerechnet jene, die sie doch eigentlich bekämpfen will, nämlich die Schmuggler und Schlepper.
Während vieles noch vage ist, was den Khartum-Prozess und den EU-Treuhandfonds betrifft, wurde ein Projekt schon beschlossen. Es heißt „Better Migration Management“ und ist mit rund 40 Millionen Euro ausgestattet. Die deutsche staatliche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) soll an der Umsetzung des Projekts beteiligt werden. In einem Aktionsplan der Europäischen Union heißt es, durch das Projekt solle die Leistungsfähigkeit beim Management der Fluchtbewegungen verbessert werden. „Vor allem soll illegale Migration bekämpft und verhindert werden, darunter Menschenschmuggel und Menschenhandel.“ Das will man unter anderem durch den Bau von „Reception Centers“ inklusive Zellen im Sudan erreichen und durch die Bereitstellung besserer Ausrüstung für Sicherheitskräfte. Ergänzt werden soll das Projekt unter anderem durch den „EU Internal Security Fund on police cooperation“. Schon in der Projektbeschreibung wird dabei auf das Risiko verwiesen, dass die zur Verfügung gestellte Ausrüstung und die Ausbildung der nationalen Sicherheitskräfte für repressive Maßnahmen genutzt werden könnten.
Erstaunlich ist auch, dass die EU mit den Sicherheitskräften dieser Regime arbeitet, obwohl sie in demselben Aktionsplan feststellt: „Die Netzwerke der Menschenschmuggler und Menschenhändler in der Region sind hochgradig organisiert und ausgeklügelt, häufig unter Mittäterschaft von Offiziellen.“ Anders gesagt: Zu den Partnern der EU gehören ausgerechnet jene, die sie doch eigentlich bekämpfen will, nämlich die Schmuggler und Schlepper. Denn wer kann ausschließen, dass unter denen, die Ausrüstung und Ausbildung erhalten, auch verkappte Menschenschmuggler und -händler sind?
Mit Grenzbeamten, Militärs und Polizisten solcher Regime zu kooperieren, ist moralisch nicht zu vertreten. Zudem ist die Zusammenarbeit mehr als kontraproduktiv, wenn die Schmuggler und Schlepper, die man bekämpfen will, Teil der Regime sind. Denn dann werden sie durch die Kooperation womöglich noch gestärkt, durch bessere Ausrüstung, bessere Ausbildung und mehr Geld.
Etwas anderes sind Projekte im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit, sofern davon wirklich die Bevölkerung profitiert. Deutschland beispielsweise will seine Entwicklungszusammenarbeit mit Eritrea wieder aufnehmen, unter der Voraussetzung, dass sich die Menschenrechtslage und anderes in Eritrea grundlegend verbessern. Das jedenfalls versichert der persönliche Afrika-Beauftragte von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Günter Nooke. Wie messbar solche Fortschritte sind, sei einmal dahin gestellt. Das Projekt, das Deutschland in Aussicht stellt, hilft im besten Fall tatsächlich der Bevölkerung. Es geht um ein oder mehrere Zentren für berufliche Bildung für insgesamt rund vier Millionen Euro. Aber selbst das hat einen Haken: In Eritrea – und anderen repressiven Staaten – gibt es als Partner für solche Projekte keine privaten, unabhängigen Organisationen oder Träger. Einziger Ansprechpartner in Eritrea oder auch in Äthiopien, ist die Regierung.
Sie wird durch eine solche Zusammenarbeit in jedem Fall gestärkt. Sie bekommt Geld oder den Gegenwert davon, wird also wirtschaftlich stärker – und dadurch auch politisch stabilisiert. Selbst wenn solche Projekte vielleicht wirklich der Bevölkerung helfen, helfen sie auf jeden Fall der Regierung. Und das sind mit Blick auf Ostafrika viele Despoten. Mit ihnen paktieren Deutschland und Europa, um sich die Flüchtlinge von den Grenzen zu halten.
Trotzdem ist es wohl richtig, gezielte Projekte zu fördern, die der Bevölkerung Perspektiven verschaffen. Die Zusammenarbeit mit Sicherheitskräften, Polizei oder Militärs repressiver Regime sollte dagegen für Europa nicht zur Debatte stehen. Europäische Politiker, auch deutsche, beschwören gerne europäische Werte. Wer diese Werte wirklich hochhält, kann mit gewissen Despoten nicht paktieren.
2 Leserbriefe
Ansonsten sollten wir (Deutschland) bei uns zu Hause daran arbeiten, die ungerechte (Welt-)Wirtschaftsordnung hauptsächlich deswegen zu ändern, damit es uns besser geht - und dann auch der Welt. Wir (Weltbevölkerung) können genug für alle produzieren, auch die Afrikaner für sich. Man muss sie nur lassen, auch ihre Diktaturen zu überwinden.