Mit der Amtsenthebung von Präsidentin Park Geun-hye hat Südkoreas Nationalversammlung am 9. Dezember 2016 das Unvermeidliche beschlossen. Der Skandal um mutmaßliche Günstlingswirtschaft und Korruption im engsten persönlichen Umfeld der Präsidentin hat das Vertrauen in Park vollends erodieren lassen. Seit Ende Oktober hatten jeden Samstag in der Hauptstadt Seoul und anderen Großstädten immer mehr Menschen gegen die konservative Präsidentin demonstriert. Mehrfach gingen dabei mehr als eine Million Menschen friedlich auf die Straße. Am 3. Dezember sollen es dann landesweit bis zu 2,3 Millionen gewesen sein.

Parks Versuche, die Bevölkerung mit halbherzigen Entschuldigungen, der Entlassung von Untergebenen oder noch einem konditionierten Rücktrittsangebot zu beschwichtigen, sind gescheitert. Die demonstrierende Bevölkerung reklamierte immer deutlicher für sich das demokratische Recht, die Präsidentin abzusetzen. Die hatte sich entweder zusammen mit ihrer Busenfreundin Choi Soon-sil mutmaßlicher korrupter Machenschaften bedient oder sich offenbar so stark von dieser manipulieren und in die Amtsgeschäfte hineinregieren lassen, dass die Staatschefin für eine laut Umfragen große Mehrheit untragbar wurde.

Parks Ruf war schon vorher angekratzt. Denn sie hatte nie erklären wollen, warum sie am 16. April 2014 beim Untergang der Fähre „Sewol“ mit 304 Todesopfern, überwiegend Schulkindern, sieben Stunden lang nicht erreichbar war. Wurde früher spekuliert, die alleinstehende Park habe womöglich ein Rendezvous gehabt oder vielleicht an einer schamanistischen Sitzung teilgenommen, galt in letzter Zeit eine medizinische oder kosmetische Behandlung als wahrscheinlicher. Klarheit gibt es aber bis heute nicht.

Offenbar war die Präsidentin nicht wie von ihr im Wahlkampf versprochen für die Menschen da und hielt es auch nicht für nötig, diesen Rechenschaft abzulegen. Derweil nahm die eigentlich vermeidbare und durch Korruption und Vetternwirtschaft verstärkte Schiffskatastrophe, die das Versagen von Aufsichtsbehörden und Rettungsdiensten noch verschärfte, ihren tragischen Lauf.

Demonstranten setzen Amtsenthebungsverfahren durch

Die stetige Ausweitung der samstäglichen Massenproteste zwischen Ende Oktober und Anfang Dezember überraschte Politiker wie Medien. Die Opposition reagierte zunächst zögerlich und musste zum Amtsenthebungsverfahren gegen Park erst gedrängt werden. Diesem stimmte dann sogar fast die Hälfte von Parks eigener konservativer Fraktion zu. 

Korruption und Vetternwirtschaft sind dabei an Südkoreas Staatsspitze nicht ungewöhnlich. Es wurde schon gegen sämtliche Präsidenten seit der Demokratisierung 1987 ermittelt, spätestens nach Ende ihrer jeweiligen Amtszeit. So überraschte dann die sehr große Zahl der Demonstranten ausgerechnet bei Park. Doch offensichtlich ging es nicht nur um die von ihr ausgelöste Wut und Enttäuschung. Park hatte sich im Wahlkampf mangels eigener Kinder und naher Verwandter, die in anderen Fällen für Korruption gesorgt hatten, selbst für nicht korrumpierbar erklärt.

Mobilisierend wirkte jetzt vielmehr auch die erneute Ernüchterung über Südkoreas Politik- und Wirtschaftssystem insgesamt. Unter Parks Vater Park Chung-hee, der das Land von 1961 bis 1978 mit eiserner Hand in eine Entwicklungsdiktatur verwandelt hatte, waren die Grundlagen für den Wirtschaftsboom und den Aufstieg zum Industrieland gelegt worden. Der Slogan vom „Wunder am Han-Fluss“ machte die Runde.

Der Diktator hatte auch den Grundstein für die engen Bande zwischen Politik und Südkoreas Chaebol genannten Großkonzernen gelegt. Deren Aufstieg begann unter Park Chung-hee. Sie sollen heute für rund 80 Prozent des südkoreanischen Bruttosozialprodukts verantwortlich sein. Doch längst ist im Zusammenhang mit den Chaebol Korruption ein Dauerthema. Sie wurde aber letztlich bisher stets als unvermeidlich verklärt und damit gerechtfertigt, dass doch das ganze Land von dieser symbiotischen Beziehung profitiert habe. Als Präsidentin knüpfte Park Geun-hye in ihrer Rhetorik und Symbolik denn auch stets an die als glorreich verklärte Politik ihres Vaters an.

Erstaunlich friedliche Proteste

Überraschend war an den Demonstrationen, wie friedlich und ordentlich sie abliefen, in einem Land, das für blutige Straßenschlachten bekannt ist. Die Proteste glichen Happenings ganzer Familien im hunderttausendfachen Schein von Kerzen, LEDs und Handys. Anschließend räumten die Demonstranten sogar noch ihren Müll weg.

Es fiel auch auf, dass die Proteste von keiner Gruppen dominiert wurden und auch keine Anführer hatten. Studierende und Gewerkschafter, sonst die treibenden Kräfte der meist militanten Opposition der Straße, beteiligten sich, dominierten aber nicht. Es artikulierte sich vielmehr eine breite, reife und friedliche Zivilgesellschaft jenseits von Partei- und Organisationsgrenzen.

Manche bezeichnen die jüngste Protestbewegung abfällig als populistisch. Doch sie zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie die Einhaltung der gesetzlichen Regeln einfordert und korrupte Politiker und Wirtschaftskapitäne für ihre Gesetzesbrüche zur Verantwortung gezogen sehen will. Im Fokus der Demonstranten steht die schon oft beklagte Nähe zwischen führenden Politikern und den Chaebol. Deren wichtigste Vertreter hatten sich fast alle von Park und ihrer Vertrauten finanziell einspannen lassen.

Doch inzwischen ist die Bevölkerung immer weniger bereit, die korrupte Sonderbeziehung zwischen Politik und Chaebol zu dulden. Denn es sieht immer öfter so aus, als profitierten nur einige Günstlinge der poltischen und wirtschaftlichen Elite. Derweil herrscht in breiten Teilen der Bevölkerung der Eindruck, sich selbst vergeblich abstrampeln zu müssen.

Demonstranten fordern überfällige Reformen ein

Die Bevölkerung hat die von ihr in den 1980er Jahren erkämpfte Demokratie längst verinnerlicht und will sie weiter entwickelt sehen. Doch die korrupten Sonderbeziehungen zwischen Politik und Chaebol stammen noch aus den Zeiten der Diktatur, als Bevölkerung und Parlament noch nicht das Recht auf Mitsprache, Aufklärung und Transparenz hatten. Zugleich werden längst nicht mehr die früheren Wachstumsraten erreicht, die in der Vergangenheit als Rechtfertigung dienten.

Der große Reformbedarf in Südkorea war nicht nur beim Untergang der Fähre deutlich geworden. Im Krisenjahr 2016 unterstrichen auch die Insolvenz von Südkoreas größter Reederei Hanjin Shipping (im August) sowie Samsungs milliardenschwerer Flop mit dem Smartphone Galaxy Note 7 aufgrund fehlerhafter Akkus (im Oktober) die Notwendigkeit von Reformen.

Parks Amtsenthebung muss nun das Verfassungsgericht innerhalb der nächsten 180 Tage mit einer Mehrheit von mindestens sechs der neun überwiegend konservativen Richter für gültig oder ungültig erklären. Der vorsitzende Richter scheidet altersbedingt Ende Januar aus dem Amt, der zweite im März. Umstritten ist, ob der amtierende Staatspräsident, der bisherige Ministerpräsident und Park-Vertraute Hwang Kyo-ahn, befugt ist, Nachfolger zu ernennen. Das Gericht steht zweifellos unter großem öffentlichem Druck, gegen Park zu urteilen. Doch diese Entscheidung ist nicht sicher.

Park ist politisch erledigt

Unabhängig davon kann Park als Präsidentin politisch nichts mehr bewirken. Ihre nur eine mögliche Amtszeit würde laut Verfassung im Februar 2018 regulär enden. Sollte sie im Amt bleiben, tut sie Südkorea damit keinen Gefallen. Denn Park wird stets von ihrem eigenen Skandal überschattet und absorbiert werden und dürfte bei einer Rückkehr in ihr Amt nur weitere Proteste anheizen.

Die Einleitung des Amtsenthebungsverfahrens ist bisher nur ein Etappensieg auf der Grundlage wahrlich historischer Proteste. Jetzt kommt es nicht nur darauf an, Parks Absetzung möglichst friedlich zu vollziehen, sondern nach demokratischen Neuwahlen eine neue Regierung zu bilden, die mit den überfälligen Reformen ernst macht.

Auch dabei ist der Sieg der linksliberalen Opposition keinesfalls sicher. Ein Rückblick auf Südkoreas erste freie Wahlen 1987 zeigt, wie fatal es sein kann, wenn sich die Opposition auf mehrere Kandidaten verteilt. Bisher hat die Opposition schon vier potenzielle Bewerber. Gespalten hat sich inzwischen allerdings auch Parks konservative Saenuri-Partei, von der sich ein Teil den früheren UN-Generalsekretär Ban Ki-moon als Präsidentschaftskandidaten wünscht. Offizielle Kandidaturen gibt es aber auch hier noch nicht.

Der Weg zu wirklichen Reformen, wie ihn die Demonstranten gefordert haben, ist noch lang und steinig. Trotzdem sind die so überraschenden wie starken Proteste, mit denen die Park-Regierung und die Chaebol-Bosse ihr blaues Wunder am Han-Fluss erlebt haben, ein Grund zur Hoffnung auf Reformen.